"Siehe, es ist ein Raum bei mir"

Predigt zu 2. Mose 33,12-23 im Gottesdienst zur Einführung in den Kreissynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises An Sieg und Rhein

Damit wir, liebe Schwestern und Brüder, aus den Niederungen des Alltags, herkommend von der Synode die einen, aus dem politischen Tagesgeschäft die anderen, aus dem Stress von Beruf und Familie, aus dem Denken, Lenken und Leiten unseres Kirchenkreises, seiner Gemeinden, Dienststellen und des Diakonischen Werkes, damit wir aus all diesen Niederungen des Alltags heraufgeführt werden auf die Höhe in Raum und Zeit, predige ich den vorgeschlagenen Text für den 2. Sonntag nach Epiphanias.

Denn hinauf, da geht es in der Epiphaniaszeit:
Die Waisen kommen aus dem Morgenland, was im Griechischen das Anatolä, das Aufgehen ist: Es ist das Evangelium am 6. Januar, am Anfang der Epiphanias-Zeit.
Und an ihrem Ende, am letzten Sonntag nach Epiphanias finden wir uns wieder auf dem Berg der Verklärung – in guter Gesellschaft mit den Leitfiguren des Glaubens: Mose, Elia und den Nachfolgern Petrus, Jakobus und Johannes.

Will nicht verhehlen, dass man dort oben keine Hütten bauen kann, sondern wieder hinab steigen muss in die Niederungen des Alltages, da geht’s morgen weiter.

Dort kann man manchmal mit dem Blick der Verklärung sehen, wie viel Macht den Hornochsen gewährt wird, wie willig geopfert wird und getanzt um das goldenen Kalb oder was wir sonst uns zu Anbetung und Verehrung schaffen, ein Gott aus Gold.

Mose jedenfalls hatte es erleben müssen, als er hernieder kam vom Berg des Herrn, mit den Tafeln des Bundes in der Hand, dass sie sich ein goldenes Kalb gemacht hatten, ihm opferten und es umtanzten.

Und es trieb ihm den Zorn ins Gesicht, er schmiss hin, dass die Tafeln zerbrachen, wie man wohl so manches Mal durchs Hinschmeißen mehr bewirken kann, als durch Reden.

Immerhin finden sich noch ein paar Getreue, einige die umkehren und neu anfangen wollen, so dass Mose wieder hinaufsteigt auf den Berg, um Gott von seinem Zorn abzubringen.

Der immerhin lässt sich ein, das Volk ziehen zu lassen, will seinen Engel voranschicken, aber selbst nicht mitziehen: „Ich selbst will nicht mit dir hinaufziehen, denn du bist ein halsstarriges Volk, ich würde dich unterwegs vertilgen.“

Da hilft’s auch nichts, dass das Volk sich schmückt, um ihm zu gefallen – so mag man vielleicht zornige Ehegatten befrieden – nicht aber den lebendigen Gott.

An dieser Stelle, ihr Lieben, dort wo die vermeintliche und bis zum Überdruss gepredigte Selbstverständlichkeit, dass Gott mit uns ist, in Frage steht, lasst uns nun hinein hören und sehen in 2. Mose 33 ab Vers 12:

[Textlesung nach Luther]

Gebet:
Gott, wende uns Dein Antlitz zu.
Werde uns erträglich in deinem Wort.
Darum: Hilf beim Reden und beim Hören
und in beidem: Hilf beim Predigen.
Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, was ist eigentlich die Grundsituation des Menschen im 21. Jahrhundert?

Die immerhin wäre ja relevant nicht nur für uns als kirchlich Handelnde, sondern auch als persönlich in dieser Welt Lebende, Liebende, Glaubende, Hoffende.

Wer eine Antwort darauf haben will, die von vielen Kulturwissenschaftlern, Anthropologen, Soziologen, Medienwissenschaftlern und so manchen Theologen geteilt wird, sollte tun, was ich quasi als Selbstversuch in den letzten Wochen unternommen habe, und sich dieser Situation aussetzen:
Gehen Sie in Facebook!

Und Sie werden erleben, dass zu unserer Zeit die Grundsituation des Menschen mehr denn je geprägt ist durch das Sein in der Öffentlichkeit.

Coram publico, fast einsichtig für alle Welt, leben Menschen heute ihr Leben und ihre Beziehungen.
Ein Klick auf Facebook und ich weiß,
dass Jens im Zug aus Salzburg sitzt,
Markus gerade für die Firma bei Ikea einkauft,
was Gabi ganz spaßig findet – „Kannst Du mir noch ein Billy mitbringen?“
– während Sabrina fragt: „Ist Vanessa schöner als ich?“

Man mag diese Dominanz der Öffentlichkeit ganz abscheulich finden und sich als Kirchengemeinde lieber in sein stilles Kämmerlein zurückziehen, hätte dann aber den Herrn missverstanden:
Im stillen Kämmerlein sollst du beten.
Reden aber sollst du auf den Gassen und Straßen und Plätzen: coram publico. Die Öffentlichkeit ist ein Ort der Kirche.

Und wovon wäre da zu reden?

Davon, dass die Grundsituation des Menschen und der Gesellschaft, die er sich schafft, nicht recht verstanden ist, wenn sie sich nicht vergegenwärtigen, dass ihr Leben nicht nur coram publico, also in der Öffentlichkeit stattfindet, sondern auch coram deo, vor und im Angesicht Gottes.

Das ist der Auftrag der Kirche, dies den Menschen und der Gesellschaft ins Bewusstsein zu rufen: Wir leben im Angesicht Gottes.

Von der Interpretation der Erschaffung des Menschen her – Und Gott sprach: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ – zieht sich wie ein roter Faden durch die Erkenntnis der Theologie dieses Einvernehmen: Wir Menschen leben im Angesicht Gottes. Als Gegenüber, geschaffen zur Begegnung mit ihm.

II.
Danach freilich sehnt sich das Volk weit weniger, als uns lieb ist. Der „Gotteshunger“, scheint mir doch so dürftig zu sein, dass er sich mit Fast-Food-Snacks zufrieden gibt.

Zu groß das rheinische Selbstvertrauen: „Et hätt noch immer joot jejangen“, als dass sich viele nach mehr sehnen, als den „Herrgott einen guten Mann“ sein zu lassen.

Das übrigens war zu Moses Zeiten nicht anders, dass erst in der existentiellen Erfahrung, dass Gott nicht selbstverständlich mit uns ist, sich die Menschen ihrer Grundsituation im Angesicht Gottes bewusst geworden wären.

Manchmal lernt man erst in der Entbehrung lieben und verkümmern Beziehungen gerade dort, wo sie so selbstverständlich sind, dass man ihrer Pflege keine Mühe mehr gönnt.

Insofern, Ihr Lieben, ist gerade die Hebräische Bibel immer wieder eine große Anfrage an so manche durch eine banalisierte protestantische Rechtfertigungslehre weichgespülte Gott-hat-uns-alle-lieb Predigt.

Die Ernsthaftigkeit der Situation, im Angesichte Gottes zu leben, die Hebräische Bibel führt sie uns immer wieder vor Augen.

III.
Paradoxerweise immer wieder in einer Spannung, die wohl nur im Glauben zu ertragen ist:

Nämlich dass ich nicht ohne Gott leben kann – aber auch nicht vor ihm.

Für das Volk ist es die Katastrophe, wenn Gott nicht mitgeht. Wir brauchen gar nicht erst loslaufen, wenn er uns nicht begleitet. Da hilft uns auch kein Mose – und ihr dürft das jetzt gerne herunter brechen bis zum KSV. Da könnt ihr wählen oder losen, wen ihr wollt, wenn ER nicht mit geht, dann können wir‘s vergessen.

Aber umgekehrt gilt auch: „Mein Angesicht kannst Du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“

Es ist ja nicht zu ertragen, im Angesicht Gottes zu leben.

„Warum blickst du nicht einmal von mir weg und lässt mir keinen Atemzug Ruhe?“ (Hiob 7,19) klagt der leidende Hiob. Und es ist noch ein weiter Weg des Leidens, ehe er am Ende sagen kann: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“ (Hiob 42,5)

Mag sein, dass, wer nie an Gott gelitten, ihn auch nicht gesehen.

IV.
Wie aber kann das gehen, dass Gott uns doch erträglich wird?

Mose versucht es mit vorsichtiger Annäherung. Die sollten wir gewähren, uns und den anderen.

In Klammern: Wissen wir eigentlich, was wir da tun, wenn wir Menschen zum Glauben einladen? Was wir ihnen zumuten? Gott unter die Augen zu treten… Klammer zu.

„Wenn ich Gnade gefunden habe vor deinen Augen, so lass mich deinen Weg wissen.“

Für einen in Leitungsposition eine nachvollziehbare Bitte:
Einmal sicher sein können, auf dem richtigen Weg zu sein.
Aus der Fülle der Möglichkeiten, die richtige gewählt zu haben.

„Nichts ist gut in Afghanistan!“ – aber wissen, was der richtige Weg ist, es gut zu machen, das wäre gut.
Dies nicht wissen, heißt abwägen müssen, entscheiden müssen, Verantwortung tragen und gegebenenfalls – egal wie wir entscheiden – in der Entscheidung notgedrungen schuldig werden.

Lasst es als drastisches Beispiel stehen für die vielen Konflikte – PID, Stammzellforschung, Sterbehilfe, Israelisch-Palästinensischer Konflikt, aber auch: Wie erziehen? Wie Geld anlegen?... - die vielen Konflikte, die jene erleiden, die Entscheidungen zu treffen haben in Politik, Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft. Und oft nicht wissen können, was der rechte Weg ist.

Wie oft stecken Entscheidungsträger genau in dieser Zwickmühle, nicht zu wissen, was coram deo, vor Gott, richtig ist, und dies dann auch noch coram publico, in aller Öffentlichkeit verantworten zu müssen.

Und lasst uns davon öfter einmal reden coram publico, auf dass dem Populismus die Öffentlichkeit nicht allein gehört.

Dem der so bittet: „Lass mich deinen Weg wissen“ wird nicht zugesagt, dass sein Wunsch erfüllt wird, wohl aber dies: „Ich will dich zur Ruhe leiten“.

Immerhin eine Verheißung, mit der sich leiten lässt: dass trotz aller Unsicherheit, allen Zweifels, aller Ungewissheit, aller Fehlentscheidungen auch, er uns zur Ruhe geleitet.

Nein, wir wissen Gottes Wege nicht, aber wir können sie gelassen gehen. So paradox ist das mit dem Glauben.

V.
Wir können Sie gelassen gehen, denn was uns voraus ist, das ist Gottes Gnade: „Woran soll man erkennen, dass wir dein Volk sind, wenn du nicht mit uns gehst?“, so bittet Mose weiter. Und bekommt es zugesagt nur aus diesem Grund: „denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“

Dass Gott mit uns auf dem Weg ist, ihr Lieben, das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Gnade, weil es sein Name ist: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Weil er Bund und Treue hält ewiglich auch dort, wo wir nicht auf seinen Wegen wandeln,

So schlecht ist es darum nicht, vom Gottesgeschenk der Taufe zu reden und es unters Volk zu bringen. Weil wir schwerlich zum Glauben und damit in die Nähe Gottes einladen können, ohne die Bundestreue Gottes auch sakramental zu verorten, Menschen das Angebot zu machen, in ihrer Taufe den Ort der Gnade Gottes verlässlich zu erfahren.

Weil Gottes Gnade uns voraus ist, darum können wir auf seinen Wegen wandeln, auch wenn wir sie nicht kennen.

VI.
Und worin zeigt sich diese Gnade?

Wohl darin, dass Gott uns nicht mehr zumutet, als wir zu ertragen in der Lage sind.

Mose geht ja auf’s Ganze, will die Herrlichkeit Gottes sehen. Nicht wissend, was er da eigentlich bittet.
Und wird davor bewahrt, Gott in die Augen schauen zu müssen.

Dass Gott uns selbst aus der Situation der unmittelbaren Begegnung entlässt, ist ein Erweis seiner Gnade.
Dass wir leben können in der Welt, als ob es Gott nicht gäbe, ein Erweis seiner Barmherzigkeit.

„Siehe, es ist ein Raum bei mir“ – jüdische Auslegung kennt die Vorstellung, dass die Erschaffung der Welt nur möglich war, weil Gott sich zurückgezogen hat. Dass nur in seiner Selbstbegrenzung ein Raum entstanden ist, in dem wir leben können, verantwortlich und ihm gegenüber.

Dass „Gott alles in allem ist“, ist eine Verheißung für die Ewigkeit. Für diese Zeit aber gilt, dass er uns Raum und Zeit gewährt, zu leben, zu lieben, zu glauben und zu hoffen und auch: zu scheitern. [Vgl. Hans Jonas greift den Gedanken mehrfach auf, z.B. Der Gottesbegriff nach Auschwitz, Tübingen 1984]

VII.
Und er selbst?

Ist ein Gott, der vorübergeht, nicht einer, der sich halten und fassen lässt, kein Gott, der sich und seine Doxa binden lässt in Dogmen, der seine Wirklichkeit bannen lässt in Ritualen.

Auch dort, wo seine Liebe ein Gesicht bekommen hat, unter uns lebte in Fleisch und Blut, war er kein Gott, des Bleibens, sondern des Gehens: Und da stehen die Jünger auf dem Berg, und er hob die Hände auf, segnete sie und fuhr gen Himmel.

Was bleibt, ist ein Gott der sich nachsehen lässt: Oft realisieren wir ja erst im Nachhinein, dass Gott unter uns gewirkt hat.

Oft müssen wir erst Erfahrungen im Leben machen, ehe wir zum Glauben in der Lage sind. Bei Gott, hast DU immer das Nachsehen, und das ist gut so.

VIII.
Bleibt noch ein letztes, was ich sagen will, Euch und jenen Freunden, die sich da in der Öffentlichkeit von Facebook und Twitter tummeln:

Nämlich der Hinweis darauf, dass es einen Ort gibt, wo ich das Nachsehen haben darf.

Dass es inmitten der gnadenlosen Zeit eine Höhle gibt, in der uns Gott gnädig birgt.

Und einen Raum, in dem ich Ruhe finden kann in allem Fragen, Denken, Entscheiden und Scheitern.

Und wenn ich jetzt noch sage: Das ist der Evangelische Kirchenkreis An Sieg und Rhein, seine 33 Gemeinden, funktionalen Dienste, Dienststellen und das Diakonische Werk, spätestens dann haben uns die Niederungen des Alltages wieder.

Trotzdem: Schön war’s da oben und vielleicht hilft es uns ja auf dem Weg hier und heute, zu werden, was wir sind: Kirche Jesu Christi unterwegs – gelassen und heiter und fest.
Amen.

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