Mir hei e kei angscht...

Predigt zu Mt 14,22-33 mit Texten von Kurt Marti

Am 31. Januar 2011 feiert Kurt Marti seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Grund wurden Liturgie und Predigt mit Texten von Kurt Marti gestaltet.


gnadenwirtschaft

haben
und teilen

wenig haben
austeilen

weniger haben
mehr austeilen

in der wüste
die lustige
wirtschaft

wo das wort
zum wirte
geworden

bis alles verteilt
und alle gehabt
Die aber gegessen hatten, waren etwa fünftausend Mann, ohne Frauen und Kinder.

Und danach?
„…trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.

Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See.

Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.

Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Und er sprach: Komm her!

Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.

Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!

Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich.

Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!"
I.
Du bist wahrhaftig Gottes Sohn. Und sie fielen nieder auf die Knie vor jenem, der die Macht hat, das Leben auszuteilen aus wenigem, der die Macht hat hinwegzuschreiten über alles, was dem Leben feind ist – am Ende gar der Tod.

Kein Zweifel, eine Geschichte vom Auferstandenen wird hier erzählt, ein Bild, wie er uns begegnet auf dem Meer der Zeit, im Auf und Ab des Alltags, dort, wohin er uns gesandt hat. „Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen. Dort werden sie mich sehen“

In Galiläa, im Alltag der Jünger, auf dem Schiff, das ihr Tagwerk war, da begegnet der Auferstandene. Auf dem Berg blieb Jesus alleine zurück. Und sandte sie fahren aufs Meer…

Das ist die Situation der Gemeinde nach Jesu irdischem Leben.

Er ist für uns nicht greifbar, ungewiss wann, wo und wie er uns begegnet im Auf und Ab des Alltages.

jesus

1.
mit einer schar von freunden (Freundinnen auch)
durch galiläas dörfer und Städte ziehend
hat er kranke geheilt und geschichten erzählt
von der weltleidenschaft des ewigen gottes

2.
Privilegien der klasse der bildung galten ihm nichts
zu seinem umgang zählten tagelöhner und zöllner
wo mangel sich zeigte an nahrung oder getränk
teilte er fische brot und wein aus für viele

3.
die gewalt von gewalthabern verachtete er
gewaltlosen hat er die erde versprochen
sein thema: die Zukunft gottes auf erden
das ende von menschenmacht über menschen

4
in einer patriarchalischen welt blieb er der sohn
und ein anwalt unmündiger frauen und kinder
wollten galiläer ihn gar zum könig erheben? er aber
ging hinauf nach Jerusalem: direkt seinen gegnern ins garn

5
auf einem jungesel kam er geritten- kleinleute-messias:
die finger einer halbweltdame vollzogen die Salbung an ihm - ...
bald verwirrt bald euphorisch folgten ihm die freunde
                                                                die jünger
um bei seiner Verhaftung ratlos unterzutauchen ins dunkel

6,
über sein schweigen hin rollte der schnelle prozeß
ein afrikaner schleppte für ihn den balken zum richtplatz hinaus
stundenlang hing er am kreuz: folter mit tödlichem ausgang –
drei tage später die nicht zu erwartende wendung

7.
anstatt sich verstummt zu verziehen ins bessere jenseits
brach er von neuem auf in das grausame diesseits
zum langen marsch durch die viellabyrinthe
der Völker der kirchen und unserer unheilsgeschichte

8.
oft wandelt uns jetzt die furcht an er könnte
sich lang schon verirrt und verlaufen haben
entmutigt verschollen für immer vielleicht - oder bricht er
noch einmal (wie einst an ostern) den bann?

9.
und also erzählen wir weiter von ihm die geschichten seiner rebellischen liebe
die uns auferwecken vom täglichen tod
-und vor uns bleibt: was möglich wär' noch
II.
Und möglich wäre auch dies, erzählt der Evangelist: dass du mit Mühe und Not dein Leben, vielleicht gar ein „grausames diesseits“ meisterst, und plötzlich kommt er an, hat sich nicht verlaufen, kommt an und „bricht den bann“:

Schreitet über die Wellen und Not, über Angst und Sorge, gerade auf dich zu. Und es beginnt ein neuer Morgen: die vierte Nachtwache im Morgengrauen kann ihn sehen, wie die Jüngerinnen im frühen Morgengrauen zum Grabe kamen und Zeuginnen des Auferstandenen wurden.

Und wenn er dann kommt, dann erschrecken sie oder meinen, es sei ein Gespenst. Denn seine Wirklichkeit ist anders, als wir für möglich halten.

Zu kurz fragt, wer nur nach der Wahrscheinlichkeit oder Unmöglichkeit fragt, übers Wasser zu laufen. Und nicht sieht, welch machtvolle Bilder der Evangelist Matthäus zeichnet, um es auf den einen springenden Punkt zu bringen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn.

Du bist wahrhaftig Gottes Sohn.

Dass uns in Jesus Christus Gott wahrhaftig begegnet, darum geht es.

„Ich bins…“, sagt er ihnen. Und es klingt wie ein fernes Echo jener Antwort der Stimme aus dem Dornbusch, als Mose fragt: Wenn sie mich fragen: „Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?“

„Ich bin, der ich sein werde…“, sagte die Stimme. „Ich bin’s“

Um die Begegnung mit dem lebendigen Gott geht es – mitten im Alltag.

Und sie ruft Erschrecken und Ehrfurcht hervor, wo man sich dessen bewusst ist, dass Gott ein „Ich bin“ ist und keine leere Worthülse.

Demgegenüber beklagt Kurt Marti die Passion des Wortes Gott:

die passion des wortes GOTT

das blutet aus allen wunden
das wird vergewaltigt noch und noch
das ist verraten zertrampelt zerschossen geköpft
gerädert gevierteilt gezehnteilt
verlorene glieder wurden durch monströse prothesen ersetzt
das ist sich selber und uns und allem entfremdet
ist schizo und neuro und psycho
zerstochen über und über von nadeln mit denen
fremde substanzen injiziert worden sind
das agonisiert ohne ende
ist vielleicht schon tot oder noch nicht oder
                                              das consilium der ärzte diskutiert noch zur zeit
und ALSO wurde das wort GOTT
                  zum letzten der wörter
                  zum ausgebeutetsten aller begriffe
                  zur geräumten metapher
                  zum proleten der sprache
Passion des Worts Gott, dort, wo wir alle Ehrfurcht vor ihm verloren haben und in es hineinprojizieren, was uns gefällt.

Was herauskommt, ist ein Volksgott, langweiliger als ein Volksgolf, wie dieser ganz pragmatisch, aber ohne Leidenschaft. Ein Gott, der weder fasziniert noch ängstet.

Hier aber ein Erschrecken. Furcht und Zittern. Und der barmherzige Ruf: „Seid getrost. Ich bin’s. Fürchtet euch nicht.“

III.
Wie nötig der Ruf in der Frucht, die uns das Leben einflößt.

„In der Welt hab ich Angst“ – dichtet Kurt Marti.

in der welt hab ich angst
in der welt hast du angst
in der welt die wir lieben

väter meutern
kinder wollen zurück
in die schöße
aus denen sie kamen

frauen gebären
auf verlorenem posten

bäcker
kneten kalk
ins tägliche brot
(schütz vor
strontium 90)

bunker
werden gebaut
im bauch der erde

wir wollen
uns lebendig begraben
und auferstehen tot

nicht ER:
begraben tot
und auferstanden lebendig
In der Welt haben wir Angst. Und Grund genug dazu, Nachricht für Nachricht.

„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Der Auferstandene steht auf gegen die Angst.

„Fürchtet euch nicht“, das ist der Ruf des Auferstandenen in die Angst, die uns lähmt. Fürchtet euch nicht.

Wovor? Vielleicht vor der Angst.

"In der Welt habt ihr Angst… Und ich sage dennoch: Komm - Trotz deiner Angst - übers Wasser - zu mir."

Kei angscht

Mir hei e kei angscht

will me
für angscht chönne z‘ha
kei angscht
vor dr angscht
dörfti ha

mir hei e kei angscht
Wenn ich’s zu übersetzen versuche:

Wir haben keine Angst
Um Angst haben zu können
dürfte man keine Angst
vor der Angst haben.

Wir haben keine Angst
Also nicht, dass wir Angst haben, ist das Problem, sondern dass wir ihr die Macht lassen, uns zu beherrschen, dass wir aus lauter Angst vor der Angst das Leben nicht wagen.

Darum ist Petrus in all seinem Kleinglauben ein Vorbild im Glauben.
Denn er läuft los. Gegen alle Bedenken, gegen die Angst vor Misserfolg, vor Blöße, vor Ertrinken, vor Tod läuft er los:
"Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten,
wo kämen wir hin,
und niemand ginge,
um zu schauen,
...wohin man käme,
wenn man ginge."
Also lasst uns laufen, er wird uns halten.
Lasst uns das Leben wagen, denn in ihm sind wir aufgehoben.

In ihm, den Marti besingt als eine Höhle die uns birgt: Von allen Seiten umgibst du mich

höhle

dunkel leuchtende höhle
wo wir
wärme suchen und zuflucht
bei feuer und freunden

schöne höhle du gott
in der wir
immer schon gingen
und wussten es nicht

In der wir immer schon gingen und wussten es nicht. Und erst, wenn du wieder mal die Erfahrung gemacht hast, dass er dich zur rechten Zeit an der Hand nahm, begreifst Du, dass er wahrlich Gottes Sohn.

„Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht“ – sein Name.

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