Zeige Deine Wunde

Predigt zu 2. Korinther 11,18-12,11.

Passend zur närrischen Zeit, liebe Gemeinde, ist als Predigttext zu diesem Gottesdienst die sogenannte „Narrenrede“ des Apostels Paulus aus dem 2. Korintherbrief vorgeschlagen.

Bei Leibe keine Büttenrede.


Und doch, so der Apostel am Ende, eine Idiotie, zu der er sich hat hinreißen lassen, weil es in Korinth Menschen gab, die sich in den Vordergrund drängten, die sich ihres Könnens, ihrer Herkunft, ihres Erfolges, ihres Glaubens rühmten und damit Eindruck geschunden haben.


Ganz offensichtlich sieht sich der Apostel ins Abseits gedrängt, bangt er um den rechten Fortgang der von ihm begonnenen Wege in der Gemeinde in Korinth.


Die Emotionen kochen hoch. Und wie das so ist, wenn man kocht, dann muss man Dampf ablassen und am Ende, wenn der Druck raus ist, staunt man manchmal über sich selbst.


Ich finde die Rede grandios.


Und mag sie daher nicht auf die paar Verse kürzen, die für die Predigt eigentlich vorgeschlagen sind, sondern lese ihnen einen größeren Zusammenhang der Rede.


Ich fand in der Suche nach einer treffenden Übersetzung die der Basisbibel:

Ich sage es noch einmal: Niemand soll meinen, ich sei ein Narr.
Falls ihr das doch tut, müsst ihr es auch ertragen, dass ich mich wie ein Narr aufführe.
Dann kann ich wenigstens auch einmal ein bisschen angeben!
Was ich jetzt sage, ist nicht im Sinne des Herrn.
Ich rede wie ein Narr.
Aber das liegt in der Natur der Angeberei.
Weil so viele mit ihren eigenen Vorzügen angeben, will auch ich es einmal tun.
So klug wie ihr seid, lasst ihr euch doch die Narren gerne gefallen.
Denn ihr lasst euch ja so einiges gefallen:
Dass man euch wie Diener behandelt, euch ausnutzt und hereinlegt.
Ihr ertragt sogar anmaßendes Auftreten und lasst euch förmlich ins Gesicht schlagen.
Zu meiner Schande muss ich sagen, dass wir dazu nun wirklich zu schwach waren.
Was auch immer jemand in seiner Anmaßung vorbringt – ich rede jetzt als Narr: Das kann ich genauso gut vorbringen.
Diese Leute sind Hebräer? - Ich auch.
Sie sind Israeliten? - Ich auch.
Sie sind Nachkommen Abrahams? - Ich auch.
Sie dienen Christus? - Ich rede wirklich wie ein Wahnsinniger:
Ich noch viel mehr.
Ich habe mich weit mehr abgemüht.
Ich war öfter im Gefängnis.
Ich habe viel mehr Schläge bekommen.
Ich war wieder und wieder in Lebensgefahr.
Von den Juden habe ich fünfmal die "vierzig weniger einen" Peitschenhiebe bekommen.
reimal wurde ich von den Römern mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt.
Dreimal habe ich Schiffbruch erlitten.
Einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem offenen Meer.
Ich war oft auf Reisen.
Dabei drohten mir Gefahren durch reißende Flüsse und Räuber.
Meine Landsleute wurden mir ebenso gefährlich wie die Heiden.
Gefahr drohte in der Stadt, in der Wüste und auf dem Meer.
Und schließlich stellten auch falsche Brüder eine Gefahr dar.
Ich nahm Mühe und Anstrengung auf mich.
Oft musste ich ohne Schlaf auskommen.
Ich litt Hunger und Durst und hatte häufig nichts zu essen.
Ohne angemessene Kleidung war ich der Kälte schutzlos ausgesetzt.
Davon abgesehen, ist da auch noch die tägliche Belastung, die dauernde Sorge um alle Gemeinden.
Gibt es hier jemanden, der schwach ist, ohne dass ich seine Schwäche mitempfinde?
Gibt es jemanden, der vom Glauben abfällt, ohne dass es mich wie Feuer brennt?
Wenn man schon angeben muss, dann will ich mit den Zeichen meiner Schwäche angeben.
Der Gott und Vater des Herrn Jesus – er sei in Ewigkeit gelobt – weiß, dass ich nicht lüge.
In Damaskus ließ der Bevollmächtigte des Königs Aretas sogar die Stadt der Damaszener bewachen, um mich festzunehmen.
Ich wurde in einem Korb durch ein Fenster außen an der Stadtmauer hinuntergelassen. So entkam ich seinem Zugriff.
Man muss wohl angeben, auch wenn es nichts bringt.
Dann will ich jetzt auf Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen.
Ich weiß von einem Menschen, der zu Christus gehört. –
Der wurde vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel emporgehoben.
Ich weiß nicht, ob er sich dabei in seinem Körper befand.
Genauso wenig weiß ich, ob er außerhalb seines Körpers war.
Gott allein weiß es!
Ich weiß, was mit diesem Menschen geschah.
Wie gesagt:
Ob es mitsamt seinem Körper geschah oder ohne seinen Körper, weiß ich nicht.
Das weiß nur Gott allein.
Ich weiß aber, dass er in das Paradies emporgehoben wurde.
Dort hörte er unsagbare Worte, die kein Mensch aussprechen darf.
Im Hinblick auf diesen Menschen will ich angeben.
Aber im Hinblick auf mich selbst kann ich nur mit meiner Schwäche angeben.
Wenn ich allerdings tatsächlich angeben wollte, würde ich mich damit noch nicht einmal zum Narren machen.
Ich würde einfach nur die Wahrheit sagen.
Ich verzichte aber darauf.
Denn man soll mich nur nach dem beurteilen, was man direkt von mir sieht oder hört – auch wenn diese Offenbarungen wirklich außergewöhnlich sind.
Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, ließ Gott meinen Körper mit einem Stachel durchbohren.
Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich wirklich nicht überheblich werde.
Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet, ihn wegzunehmen.
Aber der Herr hat zu mir gesagt:
"Du brauchst nicht mehr als meine Gnade.
Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung."
Ich gebe also gerne mit meiner Schwäche an.
Denn dann kann die Kraft von Christus bei mir einziehen.
Deshalb freue ich mich über meine Schwäche – über Misshandlung, Not, Verfolgung und Verzweiflung.
Ich erleide das alles für diese Kraft von Christus.
Denn nur wenn ich schwach bin, bin ich wirklich stark.
Jetzt habe ich mich wie ein Narr aufgeführt.
So weit habt ihr mich gebracht!
I.
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht wie es ihnen mit der Rede des Paulus geht. Für mich wirkt sie wie ein Befreiungsschlag.

Da ist jemand in die Ecke gedrängt und muss mit kräftigen verbalen Ellenbogen sich wieder Raum erobern, andere bei Seite drängen, sich Platz verschaffen.


Für mich passt das ganz gut in die Konturen, die das Bild des Apostels für mich in der letzten Zeit gewonnen hat.


Ich habe das an Neujahr in der Predigt im Bonhoefferhaus schon einmal behauptet und fühle mich mit dieser Lektüre bestätigt: Bei Paulus haben wir es im Grunde mit einem sehr introvertierten Menschen zu tun.


Das sind ja solche, die in Gesprächen und Diskussionen nicht die großen Worte führen.

Solche, die eher als stille Wasser gelten.
Solche, die sich weitaus wohler fühlen, wenn sie schreiben können als wenn sie vor anderen Menschen reden müssen.
Solche, die im Zweifelsfall erst einmal nachdenken müssen, ehe sie reden – bei Extrovertierten ist das ja bekanntlich eher andersherum. Bei denen gilt ja das Motto: Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage.
Solche, die sich vieles gefallen lassen, ehe sie explodieren.

Dann aber gewaltig.

Er sei „mutig, wenn er fern sei“, aber „unterwürfig, wenn er anwesend sei“ (2. Kor. 10,1f.) werfen ihm seine Gegner in Korinth vor und dass er „ungeschickt sei in der Rede“ (2. Kor. 11,f).


Sie dagegen scheinen kein Problem zu haben, alle ihre Vorzüge zu unterstreichen und heraus zu posaunen, sich gut zu verkaufen und darzustellen.


So also in die Ecke gedrängt, so provoziert, kocht es aus Paulus heraus.


II.

Ich gönne uns ein erstes Innehalten. Damit wir den Wert noch einmal erkennen, der für uns darin liegt, dass solch eine harte Auseinandersetzung Eingang in den biblischen Kanon gefunden hat.

Wie war das noch gleich mit dem Wort Gottes, das lebendig, kräftig und schärfer ist. Oder der Rede Jesu, der nicht gekommen ist, dass er den Frieden bringe, sondern das Schwert (Mt 10, 34).


Ist Harmonie wirklich ein Wert an sich in der Kirche?


Oder bedarf die Kirche nicht auch immer wieder des klaren, scharfen Wortes, der deutlichen Auseinandersetzung und des Streites?


Ja manches Mal auch der Provokation, damit das Gespräch über die Grundfragen des Lebens und des Glaubens wieder in Gang kommen.


III.

Provokation.

Joseph Beuys war ja so ein Provokateur. Der Künstler mit dem Filzhut provozierte in den 70er Jahren mit einem Environment in einem Münchner Fußgängertunnel. Environment ist eine Installation, die sich auf ihre Umgebung bezieht.


Beuys installierte damals folgende Szene: vor einer Betonwand in fahlem Neonlicht stehen zwei Leichenbahren aus der Pathologie, darunter zwei Kästen mit geknetetem Fett und je einen Fieberthermometer, über den Bahren sind zwei Kästen mit Reagenzgläsern angebracht. Die Reagenzgläser enthalten Vogelschädel. An der Wand hängen zwei Tafeln mit der Aufschrift: „Zeige deine Wunde!“


Die Provokation bestand nicht nur darin, dass Beuys - wie ein Boulevardblatt schrieb - : „den teuersten Sperrmüll aller Zeiten“ für Kunst erklärte, sondern in der Aufforderung, dort wo das Leben pulsiert – inmitten der Großstadt, dort, die Verletzbarkeit, die Verwundbarkeit und letztlich auch die Vergänglichkeit in Krankheit und Tod zu thematisieren.


Zu zeigen, was man nicht sehen will – das war die Provokation.

IV.
Die Rede des Paulus hat für mich ähnlich provokativen Charakter.

Weil sie wohl einsteigt in das Spiel der Selbstbehauptung und Selbstinszenierung: „Sie sind dies und das – ich bin es weit mehr“

- um mit einem Federstrich seines Gänsekiels alles, was er in die Waagschale werfen kann, für nichtig zu erklären.

Selbst die Entrückung bis in den 3 Himmel und den Blick ins Paradies.


Im Philipperbrief macht er das übrigens noch drastischer, wenn er sagt: Alles, was man mir positiv anerkennen kann, das achte ich für „Dreck“ - hat Luther übersetzt, angemessen wäre in unserer Sprache schlicht „Scheiße“ (Phil 3,8).


Vielleicht dass uns mit dieser klaren Ansage die Provokation deutlich wird: Alles, was man mir in dieser Gesellschaft hoch anrechnen würde, das ist doch letztlich… Dreck.


Und damit alle Maßstäbe, die unter uns so hoch gehalten und wertgeschätzt sind.


Stattdessen?

Stattdessen zeigt Paulus seine Wunden: 

den Stachel im Fleisch, den Engel des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt.

Und rühmt sich der Schwächen, die er hat und nicht los wird, da mag er beten wie er will.


V.

Provokation: In alle Selbstinszenierung, die uns heute an und aufgetragen ist, in all mein Bewusstsein etwas leisten zu müssen, etwas vorweisen zu können, der radikale Verweis auf Gottes Gnade, die gerade in den Schwächen zum Ziel kommt.

Das mag verrückt klingen. Wer das lebt, muss doch unter gehen in unserer am Leitbild der Extroversion orientierten Gesellschaft.


Aber Paulus dreht den Spieß um. - Und wer sich einlässt auf seine Sicht, wird ihm zustimmen.


Welch eine Idiotie, sich dem ständigen Druck der Selbstinszenierung auszusetzen.


Welch eine Idiotie, so zu tun, als wäre ich nicht verletzbar, trüge keine Wunden mit mir herum, brauchte keinen Arzt für meine Seele und mein Herz.


Und welch eine Zusage, dass ich leben darf, mit meinen Schwächen, mit meinem Scheitern, mit meinen Macken und mit meiner Schuld, leben darf aus der Gnade Gottes, die sich darin mächtig erweist.


„Denn wenn ich schwach bin, bin ich wirklich stark“. Wenn ich meine Wunden zu zeigen vermag, meine Verletzbarkeit, meine Nöte und Ängste.


Nein, die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, wohl aber die Kranken.


Und werden es erleben, wie sie heil werden im ach so wunden Leben:


Ein Arzt ist uns gegeben, der selber ist das Leben
Christus, für uns gestorben, der hat das Heil erworben.


Kommentare

  1. Eigentlich hatte ich heute gar keine Lust, in die Kirche zu gehen. Bin aber jetzt froh, es getan zu haben (wie auch manches Mal vorher).

    Joseph Beuys mit Sachen, die sinnvoll sind und die man verstehen kann!?
    Paulus nicht (nur) ein dröger Theoretiker!?

    Was ist die Basisbibel?

    Rundum gelungener GD, auch Musik, keinerlei Kritik. ;-(

    Danke!

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  2. Was ist die Basisbibel?

    Darüber informiert am Besten die Basisbibel, nachzuschauen im Web unter folgendem Link: http://www.basisbibel.de/ueber-die-basisbibel/

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  3. Vielen Dank! Ich habe mit Ihrer Gemeinde und Ihrem Wirken nichts zu tun, habe mich aber an dieser Predigt sehr erfreut!

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  4. Ich bin sehr froh darüber, dass es doch immer wieder Theologen gibt, die einen unverstellten, eigensinnigen, lebendigen und kritischen Blick in die Welt und für Biblische Texte entwickelt haben.
    Vielen Dank dafür.

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