Gott einen Gefallen tun

Predigt zu Jer 9,22-23

Heute Morgen möchte ich sie mit den Worten des Propheten Jeremia einladen, Gott einen Gefallen zu tun und sich zu rühmen, dass Sie ihn kennen – ich lese uns den Predigttext Jeremia 9,22-23:
„So spricht der HERR.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

Sondern, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen,
dass er klug sei und mich kenne,
dass ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
I.
Im Sommer 1940 sitzt der deutsch-jüdische Philosoph Walter Benjamin auf der Flucht vor der Gestapo in Marseille, bevor er sich am 26. September an der spanischen Grenze aus Verzweiflung das Leben nimmt.

Während dieser Sommertage in Marseille arbeitet er denkend weiter, verfasst Thesen und Ideen – zum Teil auf Zeitungsstreifbänder flüchtig notiert.


Darunter findet sich der Satz:

„Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es `so weiter´ geht, ist die Katastrophe.“ [Vgl.: Albrecht Grözinger in Predigtstudien 2011/2012, IV,1, 127]


„Dass es `so weiter´ geht, ist die Katastrophe.“


Als wäre nicht zu wissen, dass es so, wie es geht, nicht weiter gehen kann.


Nicht nachvollziehbar, bei genauer Betrachtung, dass wir uns den Ideologien von Fortschritt und Wachstum soweit verschrieben haben, dass wir nahezu jeden Preis dafür zu zahlen bereit sind.


Und seien es globale Klimaerwärmung oder Katastrophen wie in Fukushima, seien es Menschenrechtsverletzungen wie an den Europäischen Außengrenzen oder die wirtschaftlichen Ausbeutungen im Zuge der Globalisierung und letztlich auch die Rettungsschirme aller Art.


Die Ignoranz gegenüber der Notwendigkeit aufzuhören und umzukehren von den politisch Verantwortlichen über die wirtschaftlich Handelnden bis zu uns kritiklos Konsumierenden, das ist die Katastrophe.


„Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es `so weiter´ geht, ist die Katastrophe.“


Nicht nachzuvollziehen.


II.

„Sprich zu ihnen: So spricht der HERR:
Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde?
Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für?
Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen.
Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden.
Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche:
Was hab ich doch getan!
Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.
Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.“
Wenn Gott die Welt nicht mehr versteht…

Nicht mehr versteht, wie sie einfach nicht lassen können, was sie nicht tun sollen.


In vielen Fragen, verzweifelten Fragen und Ausrufen bringt es der Prophet Jeremia zur Sprache: das Unverständnis Gottes über das katastrophale „Weiter so“ seines Volkes:


Die Politik erstarrt in Selbstabschottung.

Gewalt ist Strukturprinzip.
Recht wird in Unrecht verkehrt.
Weisheit wird zu instrumenteller und zynischer Vernunft.
Religion, Kult und Prophetie haben ihre kritische Kraft verloren. Menschen wachen Gewissens lässt das System keine Spielräume mehr. [Vgl.: Jan-Dirk Döhling, GPM 66 (2011) 4,111-117.]


Und Gott?


Gott verzweifelt an seinem Volk:

„Ach, dass ich eine Herberge hätte in der Wüste, so wollte ich mein Volk verlassen und von ihnen ziehen…“ (Jer 9,1)

Am liebsten ergriffe er die Flucht, wüsste er nur, wohin mit sich und seinem Leiden an der Ignoranz des Volkes.


III.

Aber er gibt nicht auf, sondern ruft und mahnt und rüttelt auf.

Und Jeremia ist einer von denen, die es tun in seinem Namen:


„So spricht der HERR.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
 

Sondern, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen,
dass er klug sei und mich kenne,
dass ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
Die Aufgabe der Prophetie, und wir haben nun mal eben auch ein prophetisches Amt, ist es, dem „Weiter so“ Einhalt zu gebieten, das Aufhören anzumahnen, das Grundübel aller Katastrophe anzusprechen, nämlich dieses, dass wir im „Weiter so“ die Relation verloren haben.

Die Relation zu Gott und der Welt.


Dass wir nur noch um uns selbst und unseren Fortschritt kreisen,

uns der falschen Dinge rühmen und unsere Identität aus den falschen Kriterien ableiten.

So jedenfalls verstehe ich das „sich rühmen“: „Ich bin ein Weiser, ich bin ein Starker, ich bin ein Reicher, ich bin, was ich habe, schaut her!“


Und eben darum meint der Ruf des Propheten nicht die Weisheit, die Stärke und den Reichtum an sich, sondern dies, dass ich mich dessen rühme, mich daran festmache, es zum Grund meiner Identität erkläre.


Es geht nicht um eine Ablehnung der Weisheit an sich, sondern darum, dass ich sie nicht zum allein bestimmenden Kriterium meines Seins mache. Und aus dem Blick verliere jene, denen Weisheit nicht geschenkt und Bildung verwehrt ist.


Es geht nicht um eine Ablehnung der Stärke an sich, sondern darum, dass ich mich nur noch auf sie beziehe und mein Identität an ihr fest mache. Wie viele an einem solchen Selbstkonzept schon gescheitert sind, wenn die Kräfte nachließen. Und wie viel Unheil dieser Welt erspart bliebe, gäbe es nicht immer wieder dieses brutale Festhalten an der Macht.


Es geht nicht darum, Reichtum an sich zu verteufeln, sondern darum, dass ein Mensch sich nicht über seinen Reichtum definiert und gerade darüber unfähig wird, das Gemeinwohl zu sehen und zu fördern.


Das ist das Grundübel, dass Menschen auf sich selbst bezogen, bedacht auf den eigenen Vorteil und Fortschritt die Relation, die Beziehung, verlieren zu Gott, der Welt und den Mitmenschen.


IV.

Demgegenüber appelliert der Prophet daran, das Leben wieder in Bezug zu Gott zu setzen und Ruhm und Ehre dem zu geben, dem sie gebühren, dem Gott, der für Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden steht.

Appelliert daran, mit diesem Gott eine Leidenschaft, eine Lust zu teilen, dem Leben zu dienen.


„Denn solches gefällt mir“ – das hebräische Wort findet sich wieder im erotischen Kontext des Hohenliedes.


Ich sag es mal so: Was Gott wirklich prickelnd findet, ist, wenn Menschen sich anstecken lassen von seiner Lust am Menschen.


Seine Lust am Menschen, die sich darin zeigt, dass Gott selbst Barmherzigkeit übt – Liebe, Gunst, Treue, Huld könnte man übersetzen,

dass Gott Menschen zu ihrem Recht verhilft
und dass er Gerechtigkeit walten lässt, was so viel heißt, wie dass er allen Menschen Zugang verschafft zu den Möglichkeiten des Lebens.

Denn solches gefällt mir.


V.

Ob das reicht, dass Gott Menschen wissen lässt, womit sie ihm einen Gefallen tun können?

Der Prophet Jeremia würde darauf wahrscheinlich eine sehr frustrierte und ernüchternde Antwort geben. Es hat sich eben nichts getan, es ist einfach `weiter so´ gegangen. Die Katastrophe des Untergangs war unausweichlich.


Und wir? Haben es selbst in der Hand, im Kopf und unter den Füßen.


Vielleicht gelingt es uns ja gemeinsam mit dem neuen und heute zu wählenden Presbyterium neben allem, was gut läuft in unserer Gemeinde und dessen wir uns rühmen können, und was gewiss noch eine Weile so weiter gehen kann, vielleicht gelingt es uns doch auch noch einmal innezuhalten und zu fragen, wo in unserer Gemeinde die Fragen von Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit ihren Platz haben.


Amen


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wir stehen im Morgen - Liedpredigt

„…s’ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!“

Wir sind alle Gottes Kinder!