"Woran Du Dein Herz hängst..." - Predigt im Nachtfaltergottesdienst zu Jesaja 40,11-31

„Woran du nun Dein Herz hängst, das ist dein Gott“.

Liebe Gemeinde, Erfahrungen, die sie vielleicht kennen:
·        das pochende Herz vorm ersten Rendezvous,
·        das rasende Herz aus Wut und Zorn,
·        das springende Herz voll frühlingshafter Fröhlichkeit,
·        das steinerne Herz in festgefahrenen Konflikten,
·        das schmerzende Herz im Stress des Alltages,
·        das erschrockene Herz angesichts von Leid und Tod…

Wie kein anderes Organ ist es in den meisten Kulturen und im eigenen Empfinden das Herz, das uns Auskunft gibt darüber, wie es uns wirklich geht, ob wir uns etwas zu Herzen nehmen oder etwas nicht übers Herz bringen, ob wir uns ein Herz fassen, und sei es, um vor jemandem das Herz auszuschütten.

Wie kein anderes Organ ist es das Herz, das auch unsere Beziehungen klärt: Wie gut, wenn einer das Herz auf dem rechten Fleck hat, mir sein Herz schenkt oder ich ihr meines, weil ich sie ins Herz geschlossen habe.

Vor diesem Hintergrund wenig überraschend, dass Martin Luther auch den Glauben zur Herzensangelegenheit erklärte: „Woran du nun dein Herz hängst, das ist dein Gott“.

Denn Glauben, das ist ja eine Frage der Beziehung.

II.
Beziehungen sind mal so mal so: belanglos die einen, heftig die andern, zärtlich die dritten und intensiv und verkorkst und anstrengend und aufregend und inspirierend und…

Und vielleicht so:

Es gibt Beziehungen, die tun mir gut.
Und solche, die ziehen mich runter.

Es gibt Beziehungen, in denen ich aufatmen, leben kann,
und solche, die mich einengen, mich festhalten und binden.

Beziehungen, die mich frei machen
und solche, die mir die Freiheit rauben.

Ob eine Beziehung das eine oder das andere wird, hängt immer an uns beiden.  Daran, ob einer mir Freiheit lässt ebenso wie daran, ob ich diese Freiheit überhaupt will.

III.
„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“ – Eine Beziehung besonderer Art, der Glaube.

Auch er kann uns einengen oder den Raum weit machen,
kann uns das Leben schwermachen oder leicht,
kann uns festlegen oder aufstehen lassen,
kann uns binden oder frei machen…

Für Luther entscheidet sich genau daran, ob mein Glaube recht ist oder falsch, an der Erfahrung, die ich mit dem Gott mache, an den ich mein Herz hänge:

Ein Glaube, der nicht zum Leben, zur Freiheit hilft, ist ein Irrglaube, ist Götzendienst.

Luther folgt damit der Tradition der alten Propheten in ihrer Auseinandersetzung mit dem Götzendienst der Zeit:

Dort gibt es zum Beispiel einen Propheten, dessen Worte im Buch des Propheten Jesaja aufgeschrieben sind. Er schreibt wohl in einer Zeit, in der Israel von den Babyloniern geschlagen und besetzt ist, die Oberschicht ins fremde Land deportiert ist und konfrontiert mit einer Religionswelt voller Göttermythen und Sagen. Dort sitzen sie nun, fern vom Tempel, an dem sich bisher ihr Glaube festmachen konnte und in Ritualen gepflegt werden konnte.

Kein Wunder, dass die Versuchung groß war, sich neue Götter zu suchen und zu verehren.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für den Propheten die Frage: Was macht eigentlich den Unterschied aus, zwischen unserem Gott und den fremden Göttern?

Hören wir einmal eine der Reden des Propheten:

Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand,
und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne
und fasst den Staub der Erde mit dem Maß
und wiegt die Berge mit einem Gewicht
und die Hügel mit einer Waage?

Wer bestimmt den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn?
Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes?
Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen?
Oder was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen?

Der Meister gießt ein Bild und der Goldschmied vergoldet's und macht silberne Ketten daran.

Wer aber zu arm ist für eine solche Gabe, der wählt ein Holz, das nicht fault, und sucht einen klugen Meister dazu, ein Bild zu fertigen, das nicht wackelt.

Wisst ihr denn nicht? Hört ihr denn nicht? Ist's euch nicht von Anfang an verkündigt? Habt ihr's nicht gelernt von Anbeginn der Erde?

Er thront über dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken; er spannt den Himmel aus wie einen Schleier und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt;
Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei?, spricht der Heilige.

Hebt eure Augen in die Höhe und seht!
Wer hat dies geschaffen?
Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen;
seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.

Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«?

Weißt du nicht? Hast du nicht gehört?
Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.

Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Soweit der Prophet. Eine tolle Rede.

Eine tolle Rede, die mit dem Schöpfergott beginnt und sich damit in Konkurrenz begibt zu vielen Schöpfungsmythen, die gerade im babylonischen Raum weit verbreitet waren und vielleicht am ehesten einen Konsens aller Religionen bilden könnten: Dass Gott die Welt geschaffen hat, der Unbewegte Beweger, Ursprung aller Dinge, ja!

Aber für den Propheten ist das gar nicht das Entscheidende, um Gottes Unvergleichbarkeit zu behaupten, sondern das, was dann folgt: Dass dieser Schöpfergott all seine Macht einsetzt, damit müde Männer munter werden, Gefallene aufstehen können, Hoffnungslose Hoffnung schöpfen können, Unvermögende Kraft empfinden und Menschen, die  auf Gott hoffen, auffahren mit Flügeln wie Adler…

Das ist die Erfahrung des rechten Glaubens: Dass wir … ich nutze jetzt mal dieses Symbol der Freiheit – auffahren mit Flügeln wie Adler.

Ja, woran du dein Herz hängst, das kann dich unfrei machen. Und dann dreht sich alles nur noch um mein Ansehen, meine Karriere, meine Gelehrsamkeit, mein Geld, meine Familie, meine Religion, mein…, mein…, mein…

Glaube an Gott aber lässt dich auffahren mit Flügeln wie Adler. Und ich sehe die Welt aus anderer Perspektive. Mit gehörigem Abstand, dort über den Wolken, wo die Freiheit wohl grenzenlos sein muss und so manches, was mir groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein.

Was ich uns wünsche: Die Erfahrung dieser Freiheit. Einer Freiheit, die uns auch frei dazu macht, Beziehungen einzugehen, von Herzen uns zu sehnen, zu lieben, mich zu freuen und zu streben… aber darüber nicht zum Sklaven zu werden. Denn zur Freiheit hat euch Christus befreit.

„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“ – Unser Gott aber wird Dein Herz frei machen.

Amen.

Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Pistorius, eben bin ich auf Ihre Predigt gestossen, da ich zu dem Bibelvers aus Matthäus 6,21 "Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" einen Familiengottesdienst feiern werde.
    Ihre Gedanken sind sehr anregend - am besten hat mir der letzte Satz gefallen: Unser Gott aber wird dein Herz frei machen! vielleicht zitiere ich den auch... Ansonsten habe ich einen anderen Schwerpunkt gesetzt: unter dem Thema "Mein Herzensschatz" geht es um eine Bilderbuchgeschichte mit Tieren, in der ein Hase blaue Kiesel sammelt und so sehr damit beschäftigt ist, dass er den Kontakt zu seinen Freunden verliert - erst als er in Not gerät merkt er, wie wertvoll Freunde sind... am Schluss hat er statt Kiesel seine Freunde in seinem Herzens-Schatzkästchen! Freue mich schon drauf! Viel Freude auch Ihnen weiterhin beim Weitergeben der Frohen Botschaft!

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