Es lebe der Alltag! - Predigt zu Johannes 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti


13:30 Uhr: Die Kutschen treffen am Buckingham Palast ein.

14:25 Uhr: Die Queen, das Brautpaar und die engsten Familienmitglieder erscheinen auf dem Balkon des Palastes. Ein Kuss wird erwartet. Das Paar enttäuscht nicht.

14:30 Uhr: Eine Fliegerstaffel überfliegt den Palast.

Dann ein letztes Winken. Die Türen schließen sich. Das war’s.

Was bleibt sind Pappbecher am Straßenrand, Fähnchen ohne Nutzen und das merkwürdige Gefühl des Alltags.

„Unter Alltag versteht man routinemäßige Abläufe bei zivilisierten Menschen im Tages- und Wochenzyklus.
Der Alltag ist durch sich wiederholende Muster von Arbeit und Arbeitswegen, Konsum …, Freizeit, sozialer sowie kultureller Betätigung und Schlaf geprägt. Der Alltag wird unter anderem als Gegensatz zum Feiertag oder Festtag bzw. zum Urlaub gesehen“ liest sich das in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Alltag_29.04.2011).

Was bleibt, ist immer der Alltag.

Feiertage haben ihre Zeit, Festtage ihr Datum, aber am Ende landest Du immer wieder dort, wo du alle Tage bist, im Alltag.

Oft genug entwertet gegenüber den besonderen Zeiten, wenig wertgeschätzt, missachtet: 80% der Zeit, in der du lebst. Geht es auch anders?

II.
Liebe Gemeinde, der Sonntag Quasimodogeniti lehrt uns, den Alltag sehen als Gottes Zeit.

„Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenen Löwen
Und sanften Wölfen“

„Nur das Gewohnte ist um uns…“

„Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“
(Marie Luise Kaschnitz)

„Wie die neugeborenen Kindlein…“

In der alten Kirche wurde an Ostern getauft. Dann bekamen die Täuflinge ihre weißen Kleider an. Eine Woche lang wurden täglich Gottesdienste gefeiert, wurden die Getauften hinein gefeiert in die Gemeinde. Am 1. Sonntag nach dem Osterfest zogen sie ein letztes Mal in den weißen Kleidern in die Kirche ein. Danach legten sie die Fest-Kleider ab und zogen ihre Alltagskleidung an.

Doch der Alltag war nun anders: Wie neugeboren, die Getauften, wie Kindlein, weil es nun hieß, den neuen Glauben, das neue Leben im Alltag zu erfahren und zu bewähren, was im Zweifelsfall heißt, sehen, wie es die Großen machen, die Alten, die die es schon können, und lernen zu glauben, ohne zu sehen.

Das jedenfalls die Botschaft des Evangeliums dieses Sonntages, der Geschichte von Thomas, der die Finger in die Wunde Jesu legen will und hört: „Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben“.(Joh 20,29)

III.
„Danach“, so fängt unser Predigttext an, der die Geschichte nach Ostern weitererzählt. Nach den Hochtagen des Osterfestes, „danach“ geht die Geschichte weiter.

Lange Zeit galt es als ein wissenschaftlicher Konsens, anzunehmen, dass wir es in unserem Predigttext mit einem späteren Anhang kirchlicher Redaktoren zu tun haben.

Kann man doch die Verse zuvor als einen Schluss des Evangeliums lesen: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“

Erst neuere Auslegungen verweisen auf die Pointe der Erzählung, wer auch immer sie gesetzt haben mag.

Da schließt das Evangelium um „danach“ gleich weiter erzählt zu werden. „Danach offenbarte sich Jesus abermals…“

Für mich sehr deutlich ein erzählerischer Hinweis – von wem auch immer – dass die Geschichte des Auferstandenen auch „danach“ noch weiter geht.  Nach allem, was geschrieben und erzählt ist. Nach allem, was als ursprüngliche Erzählung gelten darf. Nach allem, was wir an Fest- und Feiertagen zelebrieren. „Danach offenbarte sich Jesus abermals…“

Die Geschichte des Auferstandenen geht weiter, kommt nicht zum Ende zwischen den Deckeln biblischer Bücher, verharrt nicht an hohen Feiertagen, lässt sich nicht binden in Kirchen und ihren Zeremonien: „Danach offenbarte sich Jesus abermals…“

IV.
Und was dann kommt, ist eine Einübung für uns ins Nicht-Sehen und Doch-Glauben.

Johannes erzählt die Geschichte der Jünger im Alltag: Zurückgekehrt an den See Genezareth, den Johannes See Tiberias nennt.

Brutaler kann die Wirklichkeit des Alltags kaum zur Sprache kommen: Tiberias, als Residenz gebaut des romfreundlichen Königs Herodes und benannt nach einem Kaiser, der den Tempel zerstören wird, bzw. zur Zeit des Evangeliums vermutlich bereits zerstört hat. In diesem grausamen, niederdrückenden Alltag „offenbarte sich Jesus abermals.“

Die Jünger gehen ihrer Arbeit nach, werfen als Fischer ihre Netze aus, „aber in dieser Nacht fingen sie nichts…“

Die Vergeblichkeit des alltäglichen Mühens, alle Frustration, die auch wir kennen, ist präsent.

Und wird zur Sprache gebracht in der einen Frage: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“

„Nein“, haben wir nicht.
Wir sind hungrig. Hungrig nach Leben, nach Erfolg unserer Arbeit, nach Sicherheit unserer Existenz, hungrig danach, der Verantwortung, die wir tragen, auch gerecht werden zu können. „Nein“, wir haben nichts zu essen.

„Werft das Netz aus, so werdet ihr finden…“

V.
Wir kennen diese Geschichte. Haben sie schon einmal gehört als Geschichte der Berufung des Petrus: „Ich will dich zu Menschenfischern machen“. (Lk 5).

Hier begegnet sie uns wieder, neu und anders erzählt von Johannes, nach Ostern, als Geschichte, die sich wiederholt im Alltag der Jünger.

Wie wir denn bei genauem Hinsehen auch andere Geschichten in der einen Geschichte entdecken: die Speisung der vielen, den Wandel des Petrus auf dem See, das letzte Mahl…

In seiner Alltagsgeschichte erzählt Johannes die alten Geschichten neu als glückliche Wiederholung. Was erzählt ist zuvor, jetzt wird es noch einmal durchbuchstabiert im Leben der Jünger nach Ostern.

Und damit eröffnet uns Johannes eine Perspektive, wie es gehen kann, „danach“. Nämlich so, dass wir im Alltag die erzählten Geschichten Jesu mit den Jüngern wiederentdecken, glücklich wiederholen, neu erfinden als unsere Geschichten.

Dass wir beginnen, die Begegnungen mit dem Auferstandenen nicht im Extravaganten, im Außergewöhnlichen zu suchen, sondern zu finden in den Geschichten unseres Alltags. Den kleinen Wundern, die ihn füllen wie die Netze der Fischer.

Der Alltag ist der Ort, da sich der Auferstandene offenbart.

VI.
Der Alltag – wer hätte ihm das zugetraut.

Vielleicht nur der, der das Glauben gelernt hat. Der immer neu Gott ins Spiel bringt des Lebens. Der bereit ist, sich Geheimnissen zu öffnen, der es wagt zu deuten: Die 153 Fische sind geheimnisvoll und geben Anlass zu vielen Deutungen und Spekulationen. Ich meine wiederrum gewollt, damit wir uns einüben, auch die kleinsten Kleinigkeiten zu würdigen und ihre Geheimnisse zu achten.

Und der bereit ist, sich einzulassen auf ihn, der das Leben teilt, nicht nur am See Tiberias, sondern auch unter uns.

Und wenn dir Dein Alltag leer und nutzlos vorkommt, dann wirf das Netz noch einmal aus.

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