"Es ist Leben in ihm!" - Konfirmationspredigt zu Apostelgeschichte 20,7-12

Liebe Konfirmanden und Konfirmandinnen, liebe Festgemeinde,

vor jeder Konfirmation frage ich mich, was das Besondere gerade dieser Gruppe ist, die nun vor mir sitzt und konfirmiert wird.

Das hat etwas mit der Würdigung und Wertschätzung einer Gruppe zu tun, vielleicht auch ein Stück weit etwas mit Abschied nehmen und Erinnerungen bewahren.

Im letzten Jahr, habe ich zum Beispiel die Gruppe konfirmiert, bei der die meisten Konfis mitgespielt haben beim Fußball-Konfi-Cup und dabei zugleich das schlechteste Ergebnis für Troisdorf jemals erzielt haben. Und so habe ich dann den Fußball als Aufhänger für meine Predigt benutzt.

Und bei Euch? Bei Euch fällt mir das ein bisschen schwerer, sind wir doch erst kurz vor Ende Eurer Konfirmandenzeit zusammengekommen.

Wir erinnern uns: Pfarrerin Andrea Luiking hatte mit Euch begonnen, ist dann aber im Februar nach Ummendorf in eine andere Pfarrstelle gewechselt. Und so hatten wir nur ganz wenig Zeit miteinander.

Mir hat das einigen Stress bereitet. Euch offensichtlich nicht.

Und damit bin ich bei dem, was ich bei Euch besonders wahrgenommen habe: Ihr seid, so hab‘ ich Euch erlebt, Menschen, die machen sich keinen Stress, die ruhen in sich selbst, auch noch 20 Minuten nach Beginn der Probe für den Konfirmationsgottesdienst. In der Ruhe liegt die Kraft.

Das mag bei Euren Familien in den letzten Tagen anders ausgesehen haben: „Voll der Stress“, die Vorbereitung der Konfirmation. Der große Bahnhof für die Feier – ein Stresstest für jede Familie, aber der Bahnhof muss ja gebaut werden.

Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf Druck, Spannung oder Veränderung. So gesehen kein Wunder, dass eine Konfirmation auch Stress bereitet, wird sie doch als eine große Veränderung im Leben der jungen Menschen, eine Veränderung auch der Rolle der Eltern wahrgenommen.

Ihr geht deutlich mehr einen Schritt in Eure Selbständigkeit und wir als Eltern müssen uns einmal mehr auf’s Loslassen und Abschied nehmen einstellen.
Das kann schon Stress machen.

Ich habe einen Predigt-Text gefunden, der mir zu passen scheint, für Euch, die Ihr keinen Stress verbreitet und für alle Familien, denen der Stress in den letzten Tagen zugesetzt hat.

Eine eher abseitige Geschichte aus der Zeit der ersten Christenmenschen. Damals reiste der Apostel Paulus mit einer Gruppe von Begleitern von Gemeinde zu Gemeinde, um sie im Glauben zu unterrichten und zu stärken. In jeder Gemeinde bleibt er nur für kurze Zeit, dann geht es weiter.

Wir hören vom letzten Abend in der Gemeinde in Troas. Alle haben sich zum Fest und zum Abschied in einem großen Wohnhaus versammelt, denn Kirchen gab es damals ja noch nicht.  Die Bude ist brechend voll. Angespannt erwartet man die letzten Ermutigungen und Empfehlungen durch den Apostel. Es ist heiß und stickig in dem Raum, in dem viele Lampen brennen.

Paulus‘ Begleiter schreiben in ihrem Reisetagebuch, der Apostelgeschichte, über diesen Abend:
Am ersten Tag der Woche, als wir uns versammelt hatten, um das Brot zu brechen, sprach Paulus zu ihnen, und da er am nächsten Tag aufbrechen wollte, zog sich seine Rede bis Mitternacht hin.

Es brannten viele Lampen in dem Obergemach, wo wir beisammen waren.

Ein junger Mann mit Namen Eutychus saß im offenen Fenster und sank, während Paulus immer weiter redete, in tiefen Schlaf und stürzte im Schlaf vom dritten Stock hinunter.

Als man ihn aufhob, war er tot.

Paulus aber ging hinunter, legte sich auf ihn, umfasste ihn und sagte: Lasst das Geschrei! Denn es ist Leben in ihm.

Und er stieg wieder hinauf, brach das Brot und aß; und noch lange redete er mit ihnen, bis der Morgen anbrach; dann ging er fort.

Den jungen Mann aber holte man wieder herein; er lebte, und das erfüllte sie mit Zuversicht.
Apg 20, 7-12 (Zürcher mit Luther-Ergänzung.)

Warum finde ich diese Geschichte so passend?

1.
Ich fang mal gar nicht bei Euch direkt an, sondern bei uns Eltern – da seid ihr mit drin, ist klar.

Liebe Eltern: Es ist ja eine Geschichte vom Abschied-nehmen, die uns erzählt ist und sie sensibilisiert mich für die Frage, wie wir diese Abschiede wohl am besten gestalten können.

Denn: Unser Leben mit unseren Kindern besteht ja aus lauter Abschieden.

Vom ersten Tag an nabeln sich die Kinder von uns ab. Und je näher der Tag rückt, an dem sie endgültig aus dem Haus gehen, desto mehr haben wir das Bedürfnis, vielleicht auch den Stress, ihnen noch möglichst viel mit auf den Weg zu geben.

Und verfallen dabei manchmal in den Fehler des Apostels: Wir labern und labern und labern, machen Stress mit allzu vielen guten Worten, als könnten wir damit nachholen, was uns in den letzten 12, 13 Jahren nicht gelungen ist.

Und finden häufig ein Gegenüber, das davon angeödet und ermüdet ist.

Ich bin sicher, hätte der Apostel weniger gepredigt und stattdessen gleich das Brot gebrochen, Eutychus wäre nicht aus dem Fenster gefallen.

Heißt für mich noch einmal entdecken: Kinder wollen nicht zugetextet werden, sondern brauchen die Erfahrung lebendiger Beziehungen. Und Feste wie die Konfirmationsfeier bilden dafür einen wunderbaren, nicht aber den einzigen Rahmen.

Nicht Zu-texten, sondern gemeinsam leben, feiern, im Gespräch sein, spielen, Musik machen, tanzen, schweigen, reisen, Bilder anschauen, …. ist wohl eher das, was uns nahe hält bei denen, die uns lieb sind.

Und macht uns weniger Stress.
Leben, nicht labern! Mir macht der Text Lust drauf.

2.
Immer noch nicht in direkter Ansprache bei Euch, wohl aber für Euch:

Liebe Kirche, es ist eine Geschichte, in der der Erzähler Wert darauf legt, dass es ein junger Mann ist, der da aus dem Fenster fällt. Und öffnet mir damit drastisch die Augen für die Jungen Menschen in unseren Gemeinden.

Sie sind ja da, die Jugendlichen in unseren Gemeinden. Das wird bei Ihnen zu Hause nicht viel anders aussehen als bei uns: Sind da als Konfirmandinnen und Konfirmanden, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, in Kinderkreisen und Jugendgruppen und Kindergottesdiensten. Sie sind ja da, die jungen Leute, in der Kirche und auch in der Gesellschaft.

Und erhalten doch immer wieder nur die Plätze am Rande und erleben Rituale und eine Sprache, die nicht die ihre ist.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Lebenswelten von jungen Menschen und Erwachsenen immer weiter und immer schneller auseinander entwickeln. Nicht nur in der Kirche.

Hier aber haben wir die große Chance, die verschiedenen Lebenswelten zusammen zu bringen.

Das Beste Beispiel für mich waren die Gottesdienste, die ihr selber als Konfirmandengruppe gestaltet habt. Mit Euren Ideen, Eurer Sprache, Euren Bildern, Filmen, Musiken, euren Fragen und eurem Glauben.

Und am Ende sind auch die Alten beseelt nach Hause gegangen.

Darum, liebe Kirche, begreife das Wunder, dass junge Leute zu Dir gehören, lass sie nicht an den Fenstern hocken, sondern gib die Mitte frei, gib ihnen den Raum zu gestalten, mit zu reden, zu entscheiden und Verantwortung zu tragen. Und sei damit Vorreiterin in unserer Gesellschaft.

Immerhin, das solltet ihr wissen, dürft ihr in der evangelischen Kirche im Rheinland schon bei der nächsten Wahl im Februar 2012 mit wählen!

3.
So, jetzt aber: Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, und nun zu Euch stresslosen jungen Leuten.

Das ist ja eine große Gabe, so ruhig und gelassen sein zu können. Angesichts des Stresses, der an Euch herangetragen wird, zum Beispiel durch die Verkürzung der Schulzeit, angesichts all dieses Stresses sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und selbstbewusst und stoisch Eure Wege zu gehen. Hut ab!

Selbst der Kirchenschlaf, ist nicht zu verachten, gilt er doch dem Volksmund als der gesündeste Schlaf.

Da mag was dran sein: Denn wer Schlafen kann, gibt sich vertrauensvoll dem Unbewussten preis. Und da mag ich in der Kirche mich von Gott geborgen, behütet und beschützt wissen und kann also selig schlafen.

Beunruhigend für mich ist allerdings, dass der gute Kirchenschläfer aus dem Fenster stürzt und stirbt.

Liegt vielleicht im Kirchenschlaf doch auch Gefahr?
Hat Eure Ruhe und Gelassenheit vielleicht auch eine trügerische Seite, auf die Ihr Acht haben solltet?

Martin Niemöller, ein Pfarrer der in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leistete, hat in einer Predigt einmal gesagt: „Der Satz, `wer schläft, sündigt nicht´ ist ein Irrtum. Wer zur falschen Zeit die Augen zumacht, kann sich sehr wohl schuldig machen.“

Zuviel Kirchenschlaf ist ungesund. Dafür gibt es in unserer Welt viel zu viel, vor dem wir nicht die Augen verschließen dürfen. Im Übrigen nicht nur viel zu viel Ungerechtigkeit und Not, sondern auch viel zu viel Schönheit und Wunder.

Wer schläft, kann weder protestieren noch loben.

Also: Aufwachen! Hellwach ins Leben gehen. Von mir aus auch mal Stress machen. Sich aufregen und ereifern. Wäre nicht schlecht. Oder die Freude hinausposaunen. Die Füße heben und das Leben tanzen. Aus dem Rahmen fallen, nicht nach unten, sondern nach vorne, mitten in die Gesellschaft… es würde ihr gut tun.

So, das waren nun die Appelle und Ermahnungen, der Anspruch, gibt es vielleicht auch noch einen Zuspruch, eine Ermutigung?

Gewiss.

Da liegt dieser arme Kerl tot auf der Erde, wird erzählt. Und alle machen dem üblichen Katastrophen-Zinnober. Gaffer am Rande der Leblosigkeit.

Nur der Apostel legt sich über ihn, berührt ihn, - wie es aus früherer Zeit erzählt wird von Elia und Elisa, den Propheten, die Tote zum Leben erweckten,-  berührt ihn, wie wir Euch gleich die Hände auflegen und dann der Satz, der alles dreht: „Was soll das Geschrei, es ist Leben in ihm!“

„Was soll das Geschrei, es ist Leben in ihm!“.

So tot, lieber Christenmensch, kann keiner sein, dass nicht Gottes Kraft ihn zum Leben erweckt.

So tot, kann keiner sein, dass nicht Gottes Odem des Lebens aus Erde vom Acker lebendige Wesen macht. Dass die Steine gewälzt werden von den Gruften, dass die Pforten der Hölle zerstört werden und das Leben frei wird.

Das ist die Erfahrung des Glaubens, um die es geht: Das Leben zu entdecken, in aller Fülle, in aller Freiheit und über alle Grenzen hinweg, selbst die des Todes.

Sich das Leben schenken lassen und leben im Segen Gottes, heute und alle Zeit.
Amen.

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