Vorbei! - Ein dummes Wort!
Predigt am Pfingstsonntag 2019 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus
zu Johannes
16,1-15
Pfingsten, liebe Gemeinde, sind wir
gewohnt zu feiern als das „Geburtsfest der Kirche.“ Mal fröhlich und heiter,
mal räsonierend über die Geistvergessenheit der Kirche, mal euphorisch redend
von einer besseren Zukunft.
Ich habe für dieses Pfingstfest in
der Vorbereitung einen Predigttext ausgewählt, der dazu nicht so ganz passen
will. Denn er redet nicht über die Kirche, sondern zur Gemeinde.
Und spricht sie an in ihrer grundsätzlichen
Krise, die sich nicht aus Mitgliederschwund und Finanzkraft-Verlust speist,
sondern aus den leeren Händen, mit denen wir dastehen.
Nichts ist vorzuweisen, was greifbar
wäre.
Der, um den sich alles dreht, ist
vorbei, gestorben am Kreuz, „auferstanden“ behaupten wir, aber nicht da, kannst
nicht drauf zeigen und ihn vorführen. Vorbei.
Der Predigttext geht zurück an den
Anfang der Krise: Jesus auf dem Weg mit den Jüngern, spricht von seinem nahen
Tod und was dann werden soll. Es hat Tradition, dass neben der Geschichte aus
der Apostelgeschichte an Pfingsten aus den Abschiedsreden Jesu gepredigt wird.
Ich stelle mich in diese Tradition, wenn ich heute einen Abschnitt aus der Abschiedsrede
Jesu predigte, die Johannes im 16. Kapitel komponiert hat…
Das habe ich zu euch geredet, dass
ihr nicht zu Fall kommt. Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt
aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst.
Und das werden sie tun, weil sie
weder meinen Vater noch mich erkennen.
Aber dies habe ich zu euch geredet,
damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt
habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der
mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?
Doch weil ich dies zu euch geredet
habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut
für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster
nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.
Und wenn er kommt, wird er der Welt
die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das
Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die
Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über
das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
Ich habe euch noch viel zu sagen;
aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der
Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich
selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig
ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen
wird er's nehmen und euch verkündigen.
Alles, was der Vater hat, das ist
mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch
verkündigen.
I.
„Vorbei! Ein dummes Wort.“
Mit diesem Ausruf lässt Goethe in
seinem Faust II den Mephisto über die Nichtigkeit alles Vergänglichen
räsonieren:
„Vorbei und reines Nichts: vollkommnes Einerlei!
Was soll uns denn das ewge Schaffen?
Geschaffenes zu Nichts hinwegzuraffen?
»Da ists vorbei!« Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut, als wär es nicht gewesen…“
Was soll uns denn das ewge Schaffen?
Geschaffenes zu Nichts hinwegzuraffen?
»Da ists vorbei!« Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut, als wär es nicht gewesen…“
„Der Teufel winkt das vergehende
Leben verächtlich durch“[1] Es ist so gut als wär es nicht gewesen.
Es mag die Situation der Jünger
treffen, die in ihrem Leben auf Jesus gesetzt haben, die Netze verlassen, um
Menschen zu fischen, und nun in der Inszenierung des Johannes damit
konfrontiert werden, dass Jesus sterben wird. Ist damit alles „Vorbei“?
Es mag die Situation der Gemeinde des
Johannes treffen, die große Umwälzungen erlebte: Die Trennung der jungen
Gemeinde von der Synagoge ist greifbar im Evangelium und Hintergrund der
Verunglimpfung der Juden in ihm. Mit dieser Trennung verließ die Gemeinde auch
einen Raum des Schutzes und erlebte die beginnenden Verfolgungen. Und immer
noch keine Wiederkunft des Herrn. Ist nun alles „Vorbei“?
Es mag auch uns treffen in unserer
Situation: Die fetten Jahre sind vorbei, in denen alles möglich schien. Wie die
meisten der Gemeinden in unserem Kirchenkreis diskutieren wir, wie und wo wir
sparen können und haben natürlich keine Lust, irgendeine uns liebgewordene Gewohnheit
aufzugeben.
Die Zeiten, in denen gesellschaftliche
Fragen, ethische Fragen, zu Fragen des Glaubens wurden, Kirchen die Orten
lebhafter gesellschaftlicher Diskussionen waren – was haben wir gestritten, um
Frieden und wie wir ihn sichern können und welcher Weg der von Gott gebotene
sei, - was haben wir gestritten um die
Apartheid in Südafrika und auf welchem Wege wir als Kirchen im Norden unseren
Beitrag zu leisten haben, sie zu bekämpfen, - die Zeiten, in denen die Kirchen
und ihre Gemeinden Motor eines globalen Denkens waren… Stattdessen die
nüchterne Wahrnehmung: Die Zeit großer gesellschaftlicher Akzeptanz der Kirchen
ist vorbei.
In diese Situationen, in denen wir
mit der Erfahrung des Vergänglichen in unserer Kirche und in unserem Glauben
konfrontiert werden, in diese Situationen hinein lässt der Evangelist Johannes
Jesus seinen eigenen Nachruf in Szene setzen: Die Abschiedsreden.
Auf dem Weg zum Kreuz macht Jesus seinen
Jüngern klar, dass „Vorbei“ ein ganz und gar dummes Wort ist, weil das Leben
Jesu – in und trotz seiner Endlichkeit und seiner Vergänglichkeit – niemals
vorbei sein wird.
II.
Doch wer dafür einsteht, sind nicht
wir, liebe Gemeinde, sind nicht unsere Ideen und Initiativen, unser Tun und
Agieren, unsere Haushalte, Stellenpläne und Gebäude sondern der, der gesandt
ist, der Fürsprecher, der Paraklet, der Geist der Wahrheit, der Heilige Geist.
Jene Kraft Gottes, die wie ein roter
Faden sich durch die Bibel alten und neuen Testamentes zieht, wo immer Gott
machtvoll eingreift und an und durch Menschen wirkt.
In den Abschiedsreden des Johannes
nimmt der Heilige Geist Gestalt an.
„Und wenn er kommt, wird er die Welt
überführen und aufdecken, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist…“ und uns
damit ins Bild setzen, wie unsere Situation wirklich ist.
Der Heilige Geist ist es, der in uns
das Bewusstsein schafft, im Gegenüber zu Gott zu leben. Und damit die
Voraussetzung schafft, unter der ich überhaupt erkennen kann, wie beschädigt
das Verhältnis zu Gott ist, wie groß der Abstand zu ihm und seinem Willen, das,
was traditionelle kirchliche Sprache: „Sünde“ nennt.
Erst wer eine Ahnung von Gott
bekommen hat, dem können die Augen aufgehen über die eigenen oder die
gesellschaftlichen Brüche im Verhältnis zu ihm.
Zugleich aber öffnet der Geist die
Augen und Herzen für das Werk Jesu Christi, der zum Vater geht und damit den
Riss heilt zwischen Gott und seiner Menschheit, die Verhältnisse in Ordnung
bringt, heilt, was beschädigt ist.
Und drittens lehrt uns der Geist die
herrliche Freiheit der Kinder Gottes, die aus diesem Drama erwächst: Weil die
Welt zurechtgebracht ist, weil Gott sich zu ihr hält und sie bei sich hält,
haben gott- und lebensfeindliche Mächte ihr Gericht schon erfahren: Nichts kann
uns scheiden von der Liebe Gottes. Da mögen sie noch so toben und wüten.
III.
Klassisch formuliert.
Für mich will ich es so behalten und
begreifen:
Ich brauche und sehne mich nach
Gottes Geist, um Christ zu werden und zu bleiben in dieser Welt.
Ich brauche und sehne mich nach
Gottes Geist, um nicht aufzugeben, sondern mutig, fröhlich, mündig und frei zu
leben in dieser Welt.
Ich brauche und sehne mich nach
Gottes Geist, um meinen Mund aufzutun – uns, die wir angesichts des „Vorbei“ so
gern verstummen wie die Jünger, die nicht mal fragen: „Wo gehst Du hin?“.
Meinen Mund aufzutun:
Menschen einzuladen, zu staunen über
die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern,
meinen Mund aufzutun, um mit den
Müden zur rechten Zeit zu reden, meinen Mund aufzutun für die Schwachen zu
schreien,
meinen Mund aufzutun, um uns, die wir
uns eingerichtet haben in sündhafter Bequemlichkeit, aufzurütteln.
Und er wird mich leiten, der Geist
der Wahrheit.
IV.
Darum kann Jesus sagen: Es ist gut.
Es ist gut, dass ich gehe. Weil dieses
Von-uns-Gehen die Bedingung unserer Mündigkeit ist.
Es ist paradox, aber weil Jesus
vorbei ist, kann er mitten unter uns wirken durch die Kraft des Heiligen
Geistes.
Weil Jesus vorbei ist, müssen wir
nicht zu ihm pilgern, sondern pilgert er mit uns auf den Wegen unseres Lebens
in der Kraft des Heiligen Geistes.
Weil er von uns gegangen ist, ist er
mitten unter uns.
Das, liebe Gemeinde, feiern wir an
Pfingsten. Dass wir leben aus der Kraft dieses Geistes lebendig, mündig und
frei um Jesu Christi willen.
Amen.
[1]
(Johanna Haberer, Machtvoller Abschied, GPM 65(2011), Heft 2, S.282ff, daraus
auch weitere Zitate)
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