Gebet als Widerstand

Eine Predigt in fünf Akten zu 2. Mose 32, 7-14

I. Akt: Vor dem Altar auf offener Bühne

„Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß;
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss…“

So beginnt in Berthold Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ der Epilog…
…nachdem die drei Götter auf der Suche nach dem guten Menschen die Rolle des Gutmenschen der armen Prostituierten Shen Te zugesprochen haben, die aber verzweifelt feststellen musste, dass sie als guter Mensch in einer schlechten Welt nicht gut sein kann. Die Götter interessiert es wenig. Sie singen ihr „Terzett der entschwindenden Götter auf der Wolke“ und entfliehen aus dem Dilemma des guten Menschen, während sich der Vorhang schließt.

Vor den Vorhang tritt ein Spieler und wendet sich entschuldigend an das Publikum mit einem Epilog, einer Nachrede auf das Stück:

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen. […]
Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein.
Das kam schon vor. Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andere Welt?
Vielleicht nur andere Götter? Oder keine? […]
Wir sind zerschmettert und nicht nur zum Scheine!
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis‘ dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“
Ein guter Schluss, das ist eine tiefe Sehnsucht in mir und vielleicht auch in Dir: Ein guter Schluss in einer Welt, die nicht gut ist.

Um diese Sehnsucht nach einem guten Schluss wissend, ist es für mich umso erstaunlicher, dass ich ihn da, wo er mir erzählt wird, leicht überhöre, und wo er aufgeschrieben ist, leicht überlese.

Und damit bin ich nicht allein.

Ich habe in den letzten Tagen immer mal wieder Menschen, denen ich begegnet bin, nach der Geschichte vom „goldenen Kalb“ gefragt.

Und war überrascht, dass es den meisten ging wie mir, dass sie den Schluss nicht mehr präsent hatten: Sie erzählten davon, wie Israel sich ein goldenes Kalb machte, wie es darum tanzte und es für seinen Gott hielt, erzählten vom Zorn Gottes… aber wussten den Schluss nicht mehr zu erzählen.

Ich kann auch engagiert darüber predigen, was heute für Menschen ihr goldenes Kalb ist. Und übe mich in Kapitalismus- und Konsumkritik, in Verurteilung von Egoismus und Nationalismus, und so manch anderem, woran Menschen ihr Herz hängen… „woran Du aber Dein Herz hängst und dich darauf verlässt, das ist dein Gott“ lehrte uns Martin Luther.

Aber wie wir rauskommen aus der Nummer des Kreisens um uns selbst, um falsche Götter, raus aus dem Verkaufs unserer Seelen und der schlechten Welt… das habe ich vergessen.

Mag sein, dass es symptomatisch ist für unsere Kirche und daher der Problemanzeige wert, dass wir gut sind im Erklären des Schlechten, aber schlecht sind im Erzählen des Guten…
 
„Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis‘ dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.“

II. Akt: Am Ambo die Schrift lesend

Der gute Schluss… das Gebet des Mose. Zwiesprache mit Gott:

Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt.

Subtil, wie Gott Mose die Verantwortung zuschiebt: Dein Volk, dass du aus Ägypten geführt hast… Kein Wort davon, wieviel Überzeugungsarbeit Gott leisten musste, ehe Mose vor den Pharao trat. Jetzt ist es „Dein Volk, dass du aus Ägypten geführt hast“.

Der Erfolg hat viele Väter, wenn es aber schiefläuft, dann reicht man sich die Verantwortung weiter die eine heiße Kartoffel.

„Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe dies Volk gesehen. Und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre…“

So ist das, wo der Zorn die Regie führt: „Lass mich!“ Da will man keine Argumente mehr hören, keine Widerrede, keinen Zweifel zulassen:

„…lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre; dafür will ich dich zum großen Volk machen.“ 

Ein verlockendes, verführerisches Angebot: Die Verheißung wird auf Dich übergehen. Du wirst nicht nur verschont, sondern wirst auch zu dem großen Volk werden, zu dem ich Abrahams Nachkommen zu machen versprach. Aber Mose schlägt in den Deal nicht ein.

„Mose wollte den HERRN, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?“

Er spielt Gott den Ball zurück, übrigens nicht zum letzten Mal (siehe 3. Mose 11). Nein, es ist nicht mein Volk, es ist Dein Volk, Du hast es aus Ägypten geführt, nicht ich. Es ist Deine Geschichte Gott, mit diesem Volk, wie es Deine Welt ist, in der wir leben. Diesem Blick zurück folgt ein Blick ins Jetzt:

„Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden?“

Da packt er Gott bei seiner Ehre. Funktioniert immer gut, zu fragen, was denn die Leute wohl sagen…

Und schließlich dann die Perspektive der Zukunft, für die Gott seine Geschichte mit dem Volk begonnen hat, ein Blick auf die Verheißung, die er gegeben hat:

„Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.“ 

Am Ende dann der gute Schluss:

„Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.“ 

III. Akt: Auf der Kanzel dozierend

Liebe Gemeinde, was verlieren wir, wenn wir diesen Schluss nicht erzählen? Oder andersherum gefragt: Was gewinnen wir?

Unsere Schlusserzählung erzählt von einem durch und durch menschenähnlichen Gott – anthropomorph: Mit Gefühlen und Emotionen, die wir kennen: zornig, trotzig, beleidigt… und einem Handeln, das unserem nicht so sehr nachsteht: Verhandeln, Verantwortung abschieben, Argumentieren, Sich-umstimmen-lassen…

Diese Art von Gott zu reden, mag uns befremden, und wir mögen sie allzu menschlich empfinden. Für mich ist es der Versuch zu erzählen, dass Gott eben kein unbewegter Beweger ist, der irgendwie am Anfang etwas in Bewegung gesetzt hat, selbst aber unbewegt Derselbe bleibt.

Es ist für mich der Versuch, Gott in Beziehung zu erzählen. Gott zu erzählen nicht als menschliches Konstrukt, sondern als begegnendes Gegenüber. Gott ist Gott in Beziehung zu uns Menschen: Ich bin, der ich sein werde… so stellt er sich selber vor.

Nur ein so geglaubter Gott, nur ein so erfahrener Gott, kann Adressat unserer Gebete sein. Nur ein Gott in Beziehung kann auch durch Beziehungsarbeit – Gebet als Beziehungsarbeit – sich anrühren, verändern lassen.

Und dazu reicht das Gebet eines einzelnen. In der Erzählung vom goldenen Kalb wird das wunderbar kontrastiert, wie die Tat der Vielen durch das Gebet des einen Gerechten aufhoben wird.

Vielleicht ein Grundzug jüdisch-christlicher Erzählung, dass ein Gerechter genügt, eine Gerechte genügt, die Welt vor dem Verderben zu retten: Ob Noah, Mose, Jesus oder wer weiß – vielleicht auch du und ich… Das immerhin wäre ein guter Schluss.

IV. Akt: In der Gemeinde – retardierendes Moment

Allein, liebe Gemeinde,… und ich vermute, es geht vielen von ihnen ähnlich, darum stelle ich mich jetzt mitten unter sie… allein, der erzählte, der gute Schluss, er deckt sich nicht mit meiner Erfahrung.

Was haben wir nicht gebetet?! Wie oft hier in der Kirche oder wo auch immer gebetet… gegen die Kriege, gegen die Diktaturen, gegen Unterdrückung, für Frieden, für Gerechtigkeit, für Freiheit…

Und dennoch kriegt Putin weiter, richten die Mullahs im Iran zu Tode, bangen israelische Familien um ihre Lieben und liegt ganz Gaza in Trümmern.

Unser Beten, hat es was gebracht, was hat es bewirkt?

Auch will ich gestehen… Ich wünschte mir angesichts der Lage der Welt manchmal eben doch einen Gott, der zornig ist, und der die Diktatoren vom Thron stürzt und die Folterknechte vom Erdboden vertilgt und die Raffgierigen an ihrem Reichtum ersticken lässt…

Allein, Gott schweigt.

Für mich, und vielleicht geht es dem ein oder der anderen hier auch so, für mich ist das die größte Anfechtung für mein Beten, für mein Glauben… das Schweigen Gottes.

Der gute Schluss, den wir uns wünschen, den wir erbitten, erbeten und erflehen, bleibt aus.

„Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bittres Ende.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen…“

V. Vor dem Altar auf offener Bühne

Und nun?
 
"Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach…
Auf welche Weis‘ dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Und eben darum, liebe Gemeinde, kann ich für meinen Teil es nicht bleiben lassen. Ich kann es nicht bleiben lassen, das Beten. Weil ich die Welt nicht so sein lassen kann, wie sie ist. Weil ich den guten Schluss will und brauche, darum kann ich es nicht bleiben lassen.

Gebet ist Widerstand und Aufstand, Rebellion und Revolution.
Gegen die Übel der Welt und für das Leben!

Wer betet, findet sich nicht ab, dass die Welt so viel Raum hat für Böses. Wer betet will eine bessere Welt.

Gebet ist aber auch Widerstand und Aufstand gegen das Schweigen Gottes. Ein Ringen mit ihm und seinem Nichts-Tun.

„Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen. Lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden“ lese ich beim Prophet Jesaja (66,7). Gott nicht in Ruhe lassen; ihm mit seinen Verheißungen in den Ohren liegen!

Mein Beten, es ist ein doppelter Widerstand: Gegen das Unheil der Welt und gegen einen Gott, der uns den guten Schluss noch schuldig ist.

Und bis dahin?

Wär’s gut…
„Sie selber dächten auf der Stelle nach…
Auf welche Weis‘ dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.“

Denn Beten ist das eine, aber nicht das einzige. Das Tun des Gerechten, das Handeln und Eintreten für diese Welt – das andere. Und beides gehört zusammen, wenn es denn einst ein gutes Ende finden soll.


Darum:
„Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Kommentare

  1. Und dann hat Mose das Kalb zerstört, und alle mussten das pulverisierte Zeug trinken. Wir alle sind homo consumens, nicht zu retten, eh wir diese Einsicht nicht geschluckt, verinerlicht, verdaut haben.

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