Von der Auferstehung derer, die tot waren, mitten im Leben
Eine Ostergeschichte, erzählt zu Markus
1,40-45
Die Gnade unseres Herrn Jesus
Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit
uns allen. Amen.
Was ist das für eine Geschichte,
liebe Gemeinde?
Eine Wundergeschichte werden wir auf
den ersten Blick sagen und mit unserem Verstand hängen bleiben an dem Satz, der
unserem Verstand zu schaffen macht, weil er ihm nicht einleuchten will, jener
Satz, wo es heißt: „Und sogleich ist der
Aussatz von ihm weggegangen und er ward gereinigt.“
Diese Heilung eines Aussätzigen, das
Wunder der Krankengenesung, das zieht uns in seinen Bann, als wäre es die ganze
Geschichte, die wir gelesen hätten.
Ist es aber nicht! Da steht vieles
davor, vor diesem Satz, und vieles dahinter, im Anschluss an diesen Satz und
noch mehr zwischen den Zeilen, als dass wir uns begnügen dürften, uns mit der
bloßen Problematik der Heilung eines Kranken auseinanderzusetzen.
Was ist das für eine Geschichte,
liebe Gemeinde?
Eine Ostergeschichte, möchte ich
behaupten und ihr darum den Titel geben: „Von der Auferstehung derer, die tot
waren, mitten im Leben“.
Ich möchte mit ihnen diese Geschichte
gerne als Ostergeschichte entdecken und darum mit dieser Geschichte unser Kirchenjahr
durchschreiten, vom Advent an auf Ostern hin.
I. Advent
Ist Ostern das Ziel, dann ist der
Advent der Anfang.
Wie auch das Kirchenjahr mit dem
Advent, das heißt mit der Ankunft beginnt, so fängt auch unserer Geschichte mit
dem Ankommen an: „Da kommt zu ihm ein
Aussätziger“.
Allein dieser Satz, liebe Gemeinde,
ist schon etwas Besonderes.
Denn für gewöhnlich hätte er ja das
Weite zu suchen gehabt, der Aussätzige, er, geplagt von Geschwüren der Haut, er
gekleidet in zerrissenen Kleidern, ungeschoren
und ungepflegt die Haare an Kopf und Bart, verhüllt, wie es geboten war
seit Moses Zeiten, mit Klappern und Rufen „unrein, unrein“ vor sich selber,
stellen sie sich das vor, vor sich selber warnend, ausgestoßen aus den
befestigten Städten, der heiligen Stadt Jerusalem zuallererst, verdrängt in
Wüsten und Einöden, verworfen aus dem Lande der Lebendigen. Mitten im Leben tot
zu sein, das ist das Schicksal der Aussätzigen aller Zeit.
Diese Geschichte vom Aussätzigen,
liebe Gemeinde, wir nehmen sie zu leicht, wenn wir den Aussatz nur als
oberflächliche Erkrankung des Menschen ansehen, mit ein paar Salben heute
leichter und unspektakulärer wegzukriegen, als in jener Geschichte.
Aussatz - das ist mehr als nur eine
Erkrankung der Haut, das ist eine Erkrankung des ganzen Menschen in all seinen
Bezügen.
Haut, die Haut, in der ich mich
wohlfühle oder auch nicht, die Haut, die jeder zu retten sucht, die Haut, die
man zu Markte trägt, die Haut, die man jemandem über den Kopf zieht, die Haut,
die man so teuer wie möglich zu verkaufen sucht, das ist der Mensch, die alte
Haut, die treue Haut, die nackte Haut, die verwundete Haut. Haut, liebe
Gemeinde, das steht für Mensch.
Wer meint, ein Aussätziger sei nur an
der Oberfläche seines Körpers krank, der verkennt, wie sehr die Haut die Quelle
der elementarsten und ursprünglichsten Gefühle von Lust und Schmerz ist,
verkennt, dass sie die erste und tiefste Verbindung des Menschen und seines
Inneren zu seiner Außenwelt ist, die wunderbare Nahtstelle zwischen Innen und
Außen, das ist die Haut.
Ein Aussätziger ist niemals nur an
seiner Haut krank, sondern beschädigt in seiner ganzen Existenz, an Leib und
Seele und Geist und in seinen sozialen Bezügen krank. Mitten im Leben tot zu
sein, das ist das Schicksal der Aussätzigen.
Denn was anderes ist der Tod, als die
Zerstörung der Beziehung zwischen Menschen, als das Ende von Nähe und
Zuneigung, als Sprachlosigkeit und Beziehungslosigkeit. Darum also rede ich von
Toten, blicke ich auf diese Geschichte. Von Menschen, die tot sind mitten in
ihrem Leben, weil ihre Beziehungen zerbrochen, abgeschnitten und unheil sind.
Und darum haben auch wir diese
Geschichte nötig, weil auch in unserem Leben der Tod mächtig ist, weil auch
unter uns und vermutlich selbst in unserer Gemeinde nicht alle Beziehungen heil
sind, es Sprachlosigkeit zwischen Menschen gibt, selbst wenn sie miteinander
reden, Menschen außen vor bleiben, weil die drinnen den Schutz ihrer
Gemeinschaft brauchen. So, wie man damals den Aussatz absonderte, damit man
sich nicht infizierte.
So ist jeder und jede, der
ausgegrenzt ist, isoliert, bedrängt in der Seele, leidend im Geist und krank am
Leib, ein solch aussätziger Mensch, vergleichbar jenem mit der kranken Haut,
der da seinen Advent veranstaltet und zu Jesus kommt: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen!“
Das, liebe Gemeinde, ist schon etwas Besonderes:
Dass er sich zu seiner Qual stellt: Ich bin unrein!
Dass er sich seine Not auf die
Schulter lädt und vor Gott bringt, alle Grenzen zwischen heilig und unheilig,
zwischen rein und unrein missachtend, die Not seines Lebens vor Gott trägt und
darauf hofft, dass der ihm in Jesus nahe kommt, seinerseits die Türen öffnet,
die Schranken aufhebt, die Riegel sprengt:
O
Heiland reiß die Himmel auf,
herab,
herab vom Himmel lauf.
Reiß
ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß
ab, wo Schloß und Riegel für.
So singen wir mit dem Aussätzigen zum
Advent:
Wo
bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf
sie all ihr Hoffnung stellt?
O
komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm,
tröst uns hier im Jammertal.
II. Weihnachten
Wie er nun so bittend daliegt auf
seinen Knien, der Aussätzige, der mit den Geschwüren an Haut und Seele, da
wurde Jesus erregt vor Mitleid über diesen Menschen und Zorn über die Macht des
Bösen in der Welt, des Leides und des Todes und er streckte seine Hand aus,
gebietend wie einst Mose dem Schilfmeer, und rührte ihn an.
Fassen sie sich ruhig einmal selbst
an die Haut. Spüren sie ruhig einmal nach, wie sich das anfühlt, die Wärme
ihrer Haut, ihre Beschaffenheit. Wie sensibel sie ist, die Haut! Darum ist die
Berührung ja auch selbst für Gesunde eine riskante Geste, das Anfassen angenehm
nur, wo es zärtlich geschieht und von Vertrauen und Zuneigung begleitet ist.
Da wurde er erregt und seine Hand
ausstreckend rührte er ihn an, ihn den Aussätzigen, den zu berühren der Ekel
verbietet oder die Angst vor Ansteckung.
Ach ja, der Ekel, den ich mir nicht
eingestehe und der mich doch überkommt angesichts des Eiters in der Beuge des
Süchtigen oder wenn ich rieche den Penner auf seiner Platte aus Müll, Korn und
Urin.
Und die Angst, die Sklavenhalterin
der Seele, die mich nicht frei lässt zur zärtlichen Geste, - es könnte ja
ansteckend wirken. Das passt nicht ins Machtspiel, das wir spielen. Darum
wahren wir die Distanz. Er aber rührte ihn an.
Da wurde es für diesen Aussätzigen
ein wenig wie Weihnachten: Diese Hand auf seiner Haut, auf dem schuppigen Kopf
vielleicht oder der schorfigen Schulter, die erste Berührung seit Ausbruch
seiner Krankheit, das erste Gefühl der Zuwendung auf seiner Haut. Da sind die
Schranken zerbrochen, da ist die Ausgrenzung aufgehoben, da wendet sich Gott
selbst dem Unreinen zu. Das ist ein Gefühl wie Weihnachten:
„Heut schleußt er wieder
auf die Tür
zum schönen Paradeis.
Der Cherub steht nicht
mehr dafür,
Gott sei Lob, Ehr und
Preis,
Gott sei Lob, Ehr und
Preis!“
III. Epiphanias
Und dann die Antwort: „Ich will, du sollst rein gemacht werden.“
Und sogleich ist der Aussatz von ihm weggegangen und er ward gereinigt.
Nach allem, was gesagt ist, mag uns
dieser Teil des Wunders gar nicht mehr so wunderlich vorkommen. In der Tat, da
ist der Aussatz schon von ihm gefallen, wo Jesus ihn berührt, die Schranken
durchbricht, sich nicht geniert, diesen Menschen anzufassen. Da ist das Wunder
längst schon passiert.
Und wenn nun der Körper dieses
Kranken mit seiner Heilung antwortet, dann könnten uns die Mediziner vieles zur
Erklärung beitragen, die Ärztinnen und Ärzte, die so viel über die Bedeutung
der Seele für die Erkrankung des Leibes zu sagen wissen.
Doch was hätten wir gewonnen, wenn
wir dieses Wunder erklären könnten und einem Aussätzigen sagen: „Pass mal auf,
ist alles ganz einfach, klärt sich medizinisch ganz leicht. So und
so...psychosomatisch. Verstanden?“
Würde der nicht sagen: „Mir stellt
sich das aber ganz anders da: Ich bin Gott begegnet und da wurde ich rein. In
meinem so finstern Leben ist Gottes Stern aufgegangen, in meiner Dunkelheit
sein Licht - Epiphanias habe ich erlebt, das Fest der Erscheinung. Jesus ist
kommen in mein Leben, Grund ewiger Freude, und hat von mir genommen die Fesseln
meiner Isolation.
„Jesus ist kommen, nun
springen die Bande,
Stricke des Todes, die
reißen entzwei.
Unser Durchbrecher ist
nunmehr vorhanden;
er der Sohn Gottes, der
machet recht frei,
bringet zu Ehren aus
Sünde und Schande;
Jesus ist kommen, nun
springen die Bande.“
Wo dies geschieht, dass Menschen,
Gräben überwinden, Beziehungen wiederaufnehmen, da erscheint etwas von Gott,
der die Liebe ist.
Verstanden?
IV. Passion
Verstanden hat es auch der Aussätzige
in unserer Geschichte nicht ganz. Und so nimmt die Passion ihren Lauf.
Mit seiner Heilung geht er hausieren,
rühmt seine Genesung und vielleicht auch jenen Wundertäter, der das
vollbrachte, rühmt ihn, der so gar nicht gerühmt werden wollte.
„Hab acht!
Zu niemandem!
Gar nichts sagst Du!
Sondern verschwinde!
Laß deine Reinheit vom Priester
feststellen und gib Gott die Ehre, wie es sich gebührt.“
Doch die Sensation ist uns wichtiger
als die Ehre Gottes. Für eine gute Story allein würden auch wir ihn wohl
ausliefern, das wäre uns allemal so viel wert wie 30 Silberlinge.
Nein, Gott die Ehre geben, das ist
nicht der Menschen Ding. Einen Wundertäter und Scharlatan rühmen wir allemal
lieber als den Gott, der uns nahekommt.
Und das hätte doch die Botschaft zu
sein gehabt: Gott ist mir, ist den Menschen nahegekommen in diesem Jesus da.
Dass Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige rein werden und Taube hören, Tote
auferstehen und den Armen das Evangelium verkündigt wird, das sind doch nur die
Zeichen der Zeit. Zeichen der Zeit, in der Gott uns nahe kommt.
Er aber fing an, vieles zu verkünden
und die Geschichte auszubreiten, so dass Jesus nicht mehr öffentlich in eine
Stadt hineingehen konnte, sondern draußen, an einsamen Orten blieb.
Welch wunderbarer Wechsel hat in
dieser Geschichte stattgefunden. Der, der am Anfang ausgesetzt in der
Einsamkeit war, sucht und findet nun sein Publikum in den Städten. Der andere
aber, Jesus, er muss nun draußen bleiben wie ein Aussätziger:
„Fürwahr,
er trug unsere Krankheit
und
lud auf sich unsere Schmerzen.“
V. Ostern:
Doch ist das nicht das Ende der
Geschichte. Jesus, er bleibt nicht der Einsame. Am Ende heißt es: Sie aber
kamen zu ihm von überallher.
Plötzlich kommen sie heraus,
plötzlich suchen sie die Einöde und Wüste auf, plötzlich gehen sie heraus in
die Gegenden der Aussätzigen und Ausgegrenzten.
Sie verlassen die engen Grenzen ihrer
Städte, sie treten heraus aus den Fesseln ihrer Konventionen, sie treten heraus
aus der Hölle ihrer selbstgefälligen Abgrenzung gegen alles Hässliche, Kranke,
Einsame.
Er
hat zerstört der Höllen Pfort
und
all die Sein heraus geführt
und
uns erlöst vom ewgen Tod.
Es ist ja nicht so, als würden nicht
auch die in den Städten unter dem Abbruch der Beziehung leiden, als wäre es
nicht auch für die Gesunden eine Beschädigung ihres Lebens, die Kranken zu
isolieren und auszugrenzen. Wo eine Beziehung zerbrochen wird, da geschieht das
auf beiden Seiten zum Schaden und Verlust.
Der Tod, er leistet immer ganze
Arbeit. Aussätzige galten als lebendig Tote; die gesunde Gesellschaft ist es
nicht minder.
Wo Menschen aber wieder die Beziehung
suchen, wo sie die Mauern ihrer Städte verlassen und heraustreten zu den Ausgeschlossenen,
da ereignet sich Auferstehung mitten im Leben.
Darum ist uns diese Geschichte
erzählt, dass sich auch an uns das Wunder der Auferstehung ereignet, dass wir
die Grenzen überschreiten, Beziehungen heilen, Berührungen suchen, weil Gott
die Grenze zu uns überschritten hat, unsere Beziehungen geheilt hat. Er hat uns
angerührt.
Es freu sich alle
Christenheit
und lobe die
Dreifaltigkeit
von nun an bis in
Ewigkeit. Halleluja!
Und der Friede Gottes, welcher höher
ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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