Wir sind alle Gottes Kinder!

Predigt zu Galater 4,1-8

in der Christvesper an Heilig Abend 2023

in der Markuskirche Hemmerich 

Liebe Gemeinde,

ich gestehe ja: Ich mag es… vorübergehend jedenfalls:

Ich mag den Glanz der Lichter, den Duft der Tannennadeln, die Buden auf dem Weihnachtsmarkt, den Baum im Wohnzimmer, die Lieder in den Ohren… bis ich irgendwann die Nase voll habe von all dem Glühweinduft und die Ohren keine „Stille Nacht“ mehr hören können und ich froh bin, wenn der Weihnachtsbaum nicht mehr die gewohnte Ordnung des Wohnzimmers durcheinanderbringt.

Weihnachten ist ein Fest der Sinne und in all seiner Sinnlichkeit auf Dauer für mich eine Reizüberflutung: Laut und grell und viel zu viel.

Kann es das geben: Zu viel Weihnachten?

Irgendwann sitze ich da und frage mich erschöpft, ob es denn anders sein könnte, ohne so viel Brauchtum, so viel Licht, so viele Lieder, soviel „Weihnachten“… und was dann davon übrigbliebe, von einem Weihnachten ohne Weihnachten.

Ob uns zumindest der gedankliche Verzicht hilft, uns zu besinnen auf eine Weihnachts-Botschaft ohne Weihnachts-Trubel?


II.

Als Predigttext wird uns heute ein Text vorgeschlagen, der von Weihnachten nichts weiß. Ein Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater.

Als Paulus diesen Brief schrieb, da war die Weihnachtsgeschichte noch nicht einmal aufgeschrieben. Geschweige denn, dass irgendwo jemand einen Weihnachtsbaum aufgestellt hätte und Stollen serviert und Plätzchen gebacken und Glühwein gebraut.

Und doch werden viele von uns, wenn ich diesen Text heute am Heiligen Abend lese, Weihnachten mithören. Vielleicht ist das darum für Menschen wie mich heute ein guter Text, um mich vorzubereiten auf den Moment, an dem ich genug habe vom Weihnachtstrubel.

Paulus schreibt:

Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr ist über alle Güter; sondern er untersteht Vormündern und Verwaltern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.

So auch wir: Als wir unmündig waren, waren wir geknechtet unter die Mächte der Welt.

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen.

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!

So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

 

III.

Zugegeben: Wie gut, dass es die Weihnachtsgeschichte mit allem Drum und Dran gibt: Die malt einem schöne Bilder vor Augen und sie klingt nach in unseren Herzen.

Bis Paulus mein Herz erreicht, muss der Verstand noch ganz schön viel Arbeit leisten. Ich will’s versuchen…

Was ich verstehe:

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau …damit wir die Kindschaft empfingen.“

Das können wir heute am Heiligen Abend kaum anders hören als die Weihnachtsgeschichte in einen Satz gebracht und auf den Kern der Botschaft reduziert:

Gott sandte seinen Sohn zur Welt, damit wir Menschen Gottes Kinder werden.

Wir sind Gottes Kinder! Und gehören damit zur Heiligen Familie!

Im Grunde spricht Paulus von nichts anderem als davon: von der „heiligen Familie“ – gewiss anders als wir es aus den Weihnachtserzählungen gewohnt sind: Maria kommt nicht vor und Joseph auch nicht, keine Krippe und kein Stall. Dafür aber du und ich und all die anderen, der liebende Vater, der Sohn, die jüdische Mutter…

Und wir gehören dazu!

 

IV.

Wir gehören dazu! Ein schönes Gefühl!

Das mitschwingt, wenn wir beten: Abba, lieber „Vater unser“…!

Zumal die Zugehörigkeit zur Familie Gottes uns allen geschenkt wird.

Sie ist nicht gebunden an Rituale und Normen, Konventionen und Bräuche… im Zweifelsfall gehörst Du auch dann dazu, wenn Du keinen Weihnachtsbaum aufstellst und damit der sogenannten „Leitkultur“ nicht entsprichst.

Nein, nur weil Gott es so will, weil er es für die rechte Zeit hielt, weil er uns für mündig genug hält, darum gehörst Du dazu, gehöre ich dazu.

Das ist so anders, als wir es gewohnt sind. Denn unter uns wird Zugehörigkeit ja meist über die Vereinheitlichung nach innen und die Abgrenzung nach außen bestimmt: Wir gehören dazu, weil die anderen anders sind.

Wer den sozialen Medien folgt, gewinnt einen Eindruck davon, wie aggressiv Menschen ihre Zugehörigkeit zum Beispiel zu unserer Gesellschaft durch den Angriff auf ein Anders-Sein der anderen meinen begründen oder verteidigen zu müssen.

Davon aber will Paulus nichts wissen.

Gott macht alle zu seinen Kindern und wir gehören alle zu ihm:

Die Familie Gottes ist nicht in Volks-Zugehörigkeit oder Religiosität begründet: Hier ist nicht Jude noch Grieche, schreibt Paulus im Galaterbrief.

Sie ist auch nicht begründet in sozialem Stand: Hier ist nicht Sklave noch Freier.

Sie ist nicht begründet in geschlechtlicher Identität: Hier ist nicht Mann noch Frau.

Sie sind alle eins in Christus. Wir sind alle eins in Christus!

Ob wir uns diesen Gedanken schenken lassen können an diesem Weihnachtsfest?

Es könnte uns helfen, uns in unseren Familien besser zu ertragen. Es könnte uns helfen, mit der Vielfalt unserer Kirche freundlicher umzugehen. Es könnte uns helfen, über die Risse in unserer Gesellschaft Brücken zu schlagen und Vielfalt zu begrüßen. 

Gottes Sohn kommt zur Welt, damit wir alle – wir alle - Kinder Gottes werden.

 

V.

Das ist das Besondere an der Botschaft des Paulus, dass die Einladung Gottes, dazuzugehören, allen Menschen gilt – den Jüdinnen und Juden zuerst und für immer bleibend – und doch ist es eine universelle Einladung an alle Völker, an Dich und mich!

Wir haben es in unserer Geschichte als Christenmenschen und erst recht hier in Deutschland oft genug vergessen: Die Familie Gottes ist ohne Jüdinnen und Juden nicht denkbar. Wir dürfen dazugehören. Aber wir sind niemals allein Gottes Kinder. Nur mit Jüdinnen und Juden gemeinsam gehören wir zu seiner Familie.

Und weil wir mit ihnen zu seiner Familie gehören, sind wir immer mit betroffen, wenn Jüdinnen und Juden terrorisiert, verfolgt, gedemütigt werden. Denn was immer sie trifft, es trifft die ganze Familie Gottes.

Aufstehen gegen Antisemitismus – das ist das mindestes, was Jüdinnen und Juden von uns als den jüngeren Geschwistern im Glauben an den einen Gott erwarten dürfen.

 

VI.

Aber unser Mitgefühl erschöpft sich nicht allein darin:

Denn in Jesus, dem Christus Gottes, macht Gott alle Menschen zu Kindern Gottes.

Das verändert meinen Blick auf die Menschheitsfamilie und meine Haltung den Menschen gegenüber: Wir alle gehören zur Familie Gottes.

Und darum schmerzt es mich, wenn Menschen gegen Menschen Kriege führen; darum schmerzt es mich, wenn der Terrorangriff der Hamas einen Krieg auslöst, unter dem unzählige palästinensische Familien leiden. Das Schweigen der Festfreude in Bethlehem tut bitter weh!

Es schmerzen die Toten in der Ukraine, im Jemen, in Syrien und an so vielen Orten der Welt.

Ja, in diesen Zeiten leiden alle Kinder Gottes mit am Wüten der Welt und in unserer Ohnmacht können wir nur bitten:


O Heiland, reiß die Himmel auf,

herab herab vom Himmel lauf,

reiß ab vom Himmel Tor und Tür,

reiß ab, wo Schloß und Riegel für.

 

Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt,

darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

O komm, ach komm vom höchsten Saal,

komm, tröst und hier im Jammertal.

 

VII.

Und mit diesem Gebet im Herzen, entdecke ich in unserem Paulustext für mich auch Tröstliches.

Paulus spricht davon, dass wir geknechtet waren unter die Mächte der Welt, in Christus aber frei und mündig geworden sind und als Erben Gottes eingesetzt sind, seine Botschaft weiterzuleben.

Ich lese es als Ermutigung:

Als mündige Christenmenschen müssen wir die Spiele dieser Welt nicht weiterspielen, sondern sind frei gegenüber Mächten und Mächtigen, Gewalten und Gewaltigen in dieser Welt. Wir können auch anders!

Als mündige Christenmenschen unterstehen wir nicht mehr Vormündern und Verwaltern, sondern können den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Wir können die Welt neu denken!

Als mündige Christenmenschen sind wir frei, jetzt schon als Kinder Gottes zu leben: geschwisterlich mit allen Menschen. Wir sind eins in ihm.

Liebe Gemeinde, für diese Klarheit bin ich dem so schnörkellosen Text des Paulus dankbar:

Wir sind nicht mehr Knechte und Mägde, sondern mündige Kinder Gottes. Daran will ich mich festmachen… nicht nur zur Weihnachtszeit!

Amen.

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