Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind

Predigt zur Entwidmung der Kapelle in Stromberg
am 13. Oktober 2019


Liebe Gemeinde,
 

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ – Dieses Wort Jesu soll unsere Gedanken leiten. Heute und in den Zeiten, die da kommen.

Schlesien, 1946. Dritter Juni: Der Schriftsteller Gerhart Hauptmann, vierundachztigjährig. Rückfall nach dreimaliger Lungenentzündung. Aus einem Dämmerzustand erwachend, letzte Worte: „Bin ich noch in meinem Hause?“

Ein Haus zu leben, ein Haus zu sterben, auf Erden ein Haus zu wohnen, das gehört offenbar zum Menschsein. Hauptmann liebte sein Haus, nannte es die „Schutzhülle meiner Seele“. Aber nun stirbt er, bedroht von Austreibung und Obdachlosigkeit und Heimatlosigkeit.[1]

Und Hundertausende Kurden verlassen gerade ihre Heimat und suchen Hilfe, Schutz und Obdach jenseits des Krieges. Und andere rudern übers Meer in die Fremde, um menschenwürdiges Leben zu finden und finden verachtenswerte Verachtung an Europas Grenzen, allzu oft gar den Tod.

Und zurückbleiben Trümmer und verfallene Häuser, Kirchen, Synagogen und Moscheen.

Liebe Gemeinde, Gott sei Dank: Dass sie heute ihre Kirche und ihr Gemeindehaus verlassen, es ist nicht dem Krieg geschuldet, dem Hunger und der Not.

Nur dem gesellschaftlichen Wandel. Von der „Landflucht“ wird da schon mal gesprochen: Falsches Wort! Als müsste man fliehen von hier, den Wäldern und Wiesen, den Dörfern und Menschen.

Und von den Austritten aus der Kirche: Schrumpfende Gemeinden. Im Kern gesund, aber an den Rändern, da bröckelt’s.

Und irgendwann reift dann die Erkenntnis, dass wir uns die Kirche im Dorf nicht mehr leisten können…

Die Trauer, heute die Kapelle in Stromberg aufgeben zu müssen, ist wahrscheinlich größer als die bloße Erinnerung an diesen Ort, an dem man vielleicht getauft, konfirmiert oder getraut wurde.

Es ist die Trauer über ein Bild von Kirche, das wir uns zu eigen gemacht haben, in dem wir uns eingerichtet und wohlgefühlt haben.

Ein Bild, das uns auch verführt hat, weil es so verführerisch ist: Eine Kirche, die jedermann und jede Frau braucht, eine Kirche, die so selbstverständlich zum Leben dazu gehört wie das Atmen und das Essen.

Eine Kirche, die stetig gewachsen ist nach dem Kriege – aber nicht, weil wir so erfolgreich vom Glauben erzählt hätten, sondern weil sie zu uns kamen, die Flüchtlinge aus dem Osten erst, die dort ihre Heimat und ihre Kirchen verlassen mussten, und dann die Aussiedler aus Russland, von denen viele hier unter uns nie wirklich nicht angekommen sind.

Und mit ihnen sind auch wir gewachsen: In den 50 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland mehr evangelische Kirchen gebaut, als in den 450 Jahren seit der Reformation davor.

Und mit denen stehen wir heute da: Für die einen fehlt das Geld, bei anderen gibt es gar keine Gemeinde mehr und für dritte gibt es weder Pfarrer noch Pfarrerin.

Liebe Gemeinde hier in Stromberg und Herchen, sie stehen mit dem Problem nicht alleine dar. Es ist, wenn ich richtig gezählt habe, die fünfte Kirche im Kirchenkreis, für eine weitere gibt es bereits einen Beschluss. Und so manche Gemeinde zögert, dem Unausweichlichen in die Augen zu schauen.

Dankenswerterweise haben Sie ein Presbyterium, und dem sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt, das den Realitäten ins Auge sieht und – so schmerzlich und unpopulär sie sind – verantwortliche Entscheidungen getroffen hat.
 

Und nun? Da nun das Bild einer stabilen und gesellschaftlich gefestigten Kirche erkennbar zerbrochen ist, was nun?

Vielleicht, liebe Gemeinde, und das wäre meine Hoffnung, eine neue Besinnung auf das, was Kirche ist und sie ausmacht.

Und das wäre?

Mit Martin Luther will ich es erzählen. Als 1544 mit der Torgauer Schlosskirche der erste protestantische Kirchenbau eingeweiht werden sollte, da lud der Fürst keinen geringeren als den Reformator selbst zur Predigt ein. Ob er sich damit einen Gefallen tat?

Jedenfalls kam Luther und predigte, wenn ich es mit meinen Worten sagen soll, dann in etwa dies: „Ist ja alles ganz nett hier – aber nötig ist es nicht!“

Eine Kirche zu haben ist ganz schön, es braucht sie aber kein Mensch. Denn Kirchen, so Luther, sind keine heiligen Orte. Sie sind lediglich Orte, an denen die Gemeinde zusammenkommt, um Gottes Wort zu hören und die Sakramente zu feiern. Wenn es schon Kirchen gibt, dann doch bitte schön als Orte, an denen „unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“

Dazu aber, mahnt Luther, braucht es keine Kirchen, sondern nur Menschen, die zusammenkommen, um Gott zu begegnen. Die versammelte Gemeinde, sie ist Kirche. Egal, wo sie sich versammelt, und sei es draußen vor dem Tore, am Fluss oder in der Turnhalle, in der Schule oder im Knast.

Kirche, liebe Brüder und Schwestern, evangelisch gedacht, braucht keine „heiligen Stätten“ und keine besonderen Orte, sondern Gottes Wort als Mitte und die Gemeinschaft, die uns Christus schenkt.

Sie nehmen heute Abschied von einem Kirchengebäude, nicht aber von der Kirche. Sie nehmen Abschied von einem Gemeindehaus, nicht aber von der Gemeinde.

Vielleicht brauchen wir, um das glauben und dem trauen zu können, noch etwas biblischen Rat.

Wer sich die Mühe macht, die Bibel einmal ganz zu lesen oder sich wenigstens an einige biblische Geschichten zu erinnern, dem wird auffallen, wie sehr die Geschichten der Bibel Geschichten auf dem Wege sind: Abraham wird geschickt aus Volk und Vaterland und Familie in ein unbekanntes Land: „Und ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“

Die Grunderzählung des jüdisch-christlichen Glaubens erzählt vom Exodus, dem Auszug aus Ägypten. Und vierzig Jahre lang ziehen sie durch die Wüste, ohne feste Bleibe, ohne Stadt und Land. Aber der, der ihnen den Auftrag gab, in die Freiheit zu ziehen, ist mit dabei, unterwegs in Feuerschein und Wolke.

Später, als das Volk sesshaft geworden ist und Salomo seinen Tempel baut, bleibt die Kritik nicht aus, so dass der König betet: „Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Jesus schließlich wählt die Pilgerschaft: „Der Menschensohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.“ Und sagt die Gegenwart Gottes an, nicht im Tempel in Jerusalem, sondern dort, „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!“ (Mattthäus 28,20).

Und der Hebräerbrief bringt es schließlich auf den Punkt, wenn er vom Volk Gottes als einem wandernden Gottesvolk spricht, das „hier keine bleibende Stadt hat!“ „Aber die zukünftige suchen wir!“

Liebe Gemeinde, vielleicht, nein: gewiss hat es auch sein Gutes, wenn wir aus unserem Festgelegt-Sein auf Räume und Gebäude und Strukturen herausgeworfen werden: Es könnte sein, dass wir darüber so langsam aber sicher wieder die herrliche Freiheit der Kinder Gottes spüren könnten, die sich nicht binden an Steine und Mauern, an Strukturen und Rituale, sondern leicht und frei miteinander glauben, hoffen, lieben.

Die sich untereinander neu entdecken: Da gibt es hier bei mir im Dorf, auf der Arbeit , in der Familie, Menschen, die ebenso wie ich, getragen sind von der Liebe Christi, die das Wort der Versöhnung ausrichten im Wort und Tat, im Alltag und am Sonntag, in den verbleibenden Kirchen ebenso wie auf dem Marktplatz, im Dorfhaus, auf der Arbeitsstelle, wo immer uns Gott hingestellt hat.

Liebe Gemeinde, ich bin gewiss, dass Gottes Geist sie leiten wird auf den neuen Wegen, zu denen sie sich jetzt aufmachen. Und ich wünsche ihnen die Neugier auf das, was kommt. Seien sie gewiss: Gott geht mit. Ihm sei Ehre hier und an jedem Ort der Welt. Amen.


[1] Zitiert nach Rudolf Bohren, Texte zum Aufatmen. Seligpreisungen der Bibel, Freiburg 1990, S 29

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