Barmherzigkeit braucht Begegnung

Predigt zu Matthäus 15, 21-28 am 13. Oktober 2019 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus

Menschen unterwegs. Der eine kommt aus dem Süden und zieht in eine heidnische Stadt. Sie vielleicht aus dem Osten, trägt das Attribut „kanaanäisch“. Vielleicht eine Syrerin.
 

Sie sind sich zunächst fremd. Fremde sind sich oft nicht freundlich. Aber am Ende siegt die Barmherzigkeit.

Hören wir die Geschichte der beiden. Der Syrer Matthäus hat sie uns überliefert: Matthäus 15,21-28.
Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

Und er antwortete ihr kein Wort.

Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.

Er antwortete aber und sprach:
Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!

Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Im Niemandsland. Zwei Fremde.

Eine Begegnung im Grenzgebiet.

Wie es derer in diesen Tagen ja ganz viele gibt.

Menschen, die das Schicksal... ach was, nennen wir es doch beim Namen:

Die der verdammte Krieg in Syrien – jetzt noch einmal türkisch verlängert, der islamistische Terror im Irak, die Christenverfolgung im Iran, die Taliban in Afghanistan, die der Hunger in Afrika, die das Chaos in Lybien, die die Perspektivlosigkeit auf dem Balkan…. Das Schicksal ist Menschenwerk, liebe Gemeinde, da führt kein Weg daran vorbei… also bleibt nur die Flucht und sie bringt Menschen an die Grenzen. Begegnungen im Niemandsland.

Ein einziger Ruf wie der der Frau: Hilf mir.

Sie hat eine Tochter, geplagt von einem üblen Geist. Andere tragen die Kinder auf den Armen, erschöpft und apathisch, hungrig, traumatisiert. Verlorene Kindheit.

So oder so, liebe Gemeinde, sind es die Kinder, um derentwillen ihre Eltern sich sorgen, aufbrechen, um Hilfe schreien.

Die Kinder, dieser Einbruch von Zukunft ins Leben. Sie sollen es einmal besser haben. Sie sollen überleben können. Sie sollen Perspektiven haben auf ein Morgen in Brot und Arbeit und Sicherheit.

Wer Kinder hat, der flieht… Schreit um Hilfe. „Meine Tochter wird von einem bösen Geist geplagt.“

Sie schreit. Er aber schweigt.

Das kennen wir. Wie lange hat Europa geschwiegen. Den verzweifelten Hilferufen aus dem Osten und Süden kein Ohr geliehen und kein Wort geantwortet.

Wie befremdlich, dass auch Jesus schweigt. Kein Wort auf den Schrei nach Hilfe. Und als es dann fällt, das Wort, angestoßen durch den Ruf der Jünger, als er dann den Mund aufmacht, dann ist es erstmal nur eine Rechtfertigung seines Schweigens: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Ich bin nicht zuständig.

So kann man es machen: Abgrenzen und Ausgrenzen, die Zuständigkeit von sich weisen. Wie lange haben wir in Europa dieses Spiel gespielt: Dublin II haben wir es genannt. Dann muss Italien eben sehen, wie es klarkommt. Aber wer Lampedusa erreicht, hat kein Recht auf das übrige Europa. Da sind wir nicht zuständig.

Aber so einfach ist es ja nicht. Die Not fällt vor uns nieder, schreit uns an, läuft uns nach.

Die Frau fällt vor ihm nieder, sie spricht ihn konkret an.

Er weigert sich: Es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde…

Was für ein hartes und zugleich gemeines Wort aus Jesu Mund.

Sie, eine Hündin. Für die ist das Brot nicht gedacht.

Was wir haben, das wollen wir behalten. Die Angst, es könnte nicht für die Hunde und die Kinder reichen, ist groß. Die Verteilungsgerechtigkeit ein Thema, das uns auf Dauer beschäftigen wird.

„Wir schaffen das!“, sagt die Kanzlerin. „Wir können nicht alles schaffen“, ihre Kritiker. Und dann gibt es noch jene, die dumpfe Ängste schüren: Die nehmen uns die Arbeit weg. Die nehmen uns die Wohnungen weg. Die nehmen uns die Frauen weg…

Das Brot ist für die Kinder, nicht für die Hunde.

Aber die Hunde essen doch von den Brosamen, die vom Tisch des Herrn fallen. Sie pariert.

Haushunde lässt man nicht verhungern. Sie gehören dazu. Haben ein Recht auf Leben, und sei es noch so bescheiden.

Und dieses Recht fordert sie ein. Das Recht des niedrigsten, des Köters unterm Tisch, ist immer noch das Recht auf Leben. Teilhabe am unteren Rand. Aber teilhaben dürfen.

Mehr fordern sie ja selten, begnügen sich mit den Brosamen vom Tisch der Herren. Ein Feldbett in einer Turnhalle, Essen und Trinken, ein Taschengeld, und hin und wieder ein wenig Menschlichkeit.

„Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Am Ende siegt die Barmherzigkeit, die sich erbarmen lässt durch den Glauben derer, die nicht mehr tun, als um das Nötigste zu bitten.

Liebe Gemeinde, mich rührt die Geschichte an. Sie erzählt von der Umkehr Jesu durch die Bitte der Heidin.

Mich rührt sie an, weil sie so manche Gefühle, die wir nicht haben wollen, und manche Vorbehalte, die wir in uns nicht zulassen wollen, von Jesus erzählt: Distanz zu Fremden; Abgrenzung; Verteilungsängste… Es irritiert, dass wir all das, wogegen sich die meisten von uns in der Kirche gerade aktuell mit Händen und Füßen wehren, in dieser Geschichte von Jesus erzählt bekommen.

Aber dann von der Wende hören, die in der Begegnung passiert. Es ist die Begegnung, in der wir es lernen, unsere dumpfen Gefühle zu überwinden und Barmherzigkeit zu üben.

Barmherzigkeit, die keine Grenzen kennt, sondern sich orientiert am Lebensrecht auch des Geringsten. Selbst die Hunde unterm Tisch sollen doch wenigstens von den Brosamen der Herren leben dürfen.

Amen.

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