Geistliche Wirklichkeit


Predigt zu 1. Korinther 2,12-16

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.

Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.

Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.

Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.

Liebe Gemeinde,

Dieser Tage fiel mir ein Buch in die Hände…

Wobei, ehrlich gesagt, es fiel mir nicht in die Hände, sondern zunächst einmal hat es uns eine Dozentin in meiner Supervisionsausbildung empfohlen, und dann wurde ich beim Lesen des Predigttextes daran erinnert und habe gesucht, wo ich es finden kann und tatsächlich war das dann im Internet…


Aber wenn ich sage, dass es mir in die Hände fiel, dann klingt das ganz anders und irgendwie passender zu Pfingsten, so als hätte der Heilige Geist gewollt, dass ich ausgerechnet dieses Buch finde…

„Mir fiel ein Buch in die Hände…“ klingt jedenfalls anders, als wenn ich sage: „Ich bin einer Literaturempfehlung nachgegangen.“

Und ein „In die Hände gefallenes Buch…“ schafft für Sie als Hörerinnen und Hörer doch eine ganz andere Vorstellung als: „Ich hab mir die PDF dazu im Internet angeschaut.“

Im Ergebnis für meine Predigtvorbereitung macht es keinen Unterschied: Ich hab‘ darin gelesen und versucht, ein paar Gedanken zu erfassen und für die Predigt nutzbar zu machen.

Und doch schafft die Sprache ganz andere Wirklichkeiten in unseren Köpfen.

Es wäre jetzt spannend, in Ihre Köpfe zu schauen und mir die Bilder anzusehen, die Sie da zeichnen, wenn Sie hören, dass dem Pfarrer „ein Buch in die Hände gefallen ist“.

Da sehen mich die einen am Bücherregal meiner vor Büchern platzenden Studierstube, wie ich bei der Suche nach einem Bibel-Kommentar zwischen alten Folianten ein kleines feines, wichtiges Buch entdecke, nicht wissend, wie es ausgerechnet dahin gekommen ist, aber überglücklich es in den Händen zu halten. Und ich setze mich in den großen Ohrensessel, puste den Staub herunter, atme den Geruch des Buches ein und fange an, darin zu lesen…



Während andere mich etwas ratlos im neuen Kirschner sehen, wie ich meinen Weg zwischen Esprit Damenwäsche und Schmitz-Mertens-Kaffee auf das Bücherregal nehme, wo es zwischen Taschenbüchern und Bildbänden auf dem Büchertisch ausliegt… Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

So heißt das Buch, in dem der Kommunikationswissenschaftlicher, Soziologe und Philosoph Paul Watzlawick sich mit der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit befasst. Wahn, Täuschung und Verstehen sind seine Themen.

Seine These in aller Kürze: Das, was wir gerne „die Wirklichkeit“ nennen, als sozusagen etwas „Objektives“, gibt es nicht. Denn es ist immer Gegenstand unserer Kommunikation, unseres Darüber-Redens. Und in der Art, wie wir darüber reden, konstruieren wir die Wirklichkeit, von der wir reden.

Sie haben das eben gemerkt. Ich hab‘ in einem Buch gelesen. Aber wenn „es mir in die Hände gefallen ist“, konstruiere ich damit eine andere Wirklichkeit, als wenn ich ihnen sage, dass ich es „als PDF am Computer zur Kenntnis genommen habe“.

Wir könnten jetzt viele Beispiele sammeln: Sind die Katalonen, die die Unabhängigkeit anstreben, Separatisten, sind sie Befürworter der Autonomie, sind sie Spalter und Revolutionäre…

Haben die Spielerinnen gestern beim DFB-Pokalfinale der Frauen die Elfmeter verschossen oder haben die Torhüterinnen sie gehalten?

Ich rede davon so ausführlich, weil es für mich eine unmittelbare Verbindung gibt zwischen unserem Predigttext und der These Watzlawicks.

Paulus nämlich macht sich im Grunde die gleichen Gedanken:
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Und Paulus hat erkannt, dass Christenmenschen durch den Geist Gottes einen anderen Zugang zur Wirklichkeit haben, als Menschen, denen der Glaube fehlt.

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.

Christinnen und Christen sehen die Welt mit anderen Augen, deuten die Welt mit anderen Worten, betrachten sie mit anderer Weisheit.

Das ist nicht immer ganz einfach. Denn wenn wir unterschiedliche Zugänge zur Welt haben, unterschiedliche Interpretationen dessen, was wir wahrnehmen, fühlen und denken, dann ist es schwer, einander zu verstehen.

Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.

Für viele Menschen, das ist die Erfahrung des Paulus, ist der Zugang zur Welt, den Christenmenschen wählen, schlichte Torheit. Ich glaube, das hat sich bis heute nicht geändert.

Es gibt bis heute Menschen, die mit dem, was wir glauben, nichts anfangen können. Und weil sie damit nichts anfangen können, gibt es das alles auch nicht.

Wir dürfen ihnen das nicht übelnehmen. Paulus spricht vom Geist Gottes, der für Christinnen und Christen den Zugang zur Wirklichkeit erschließt, der ihnen die Worte in den Mund legt, die Augen und Herzen öffnet.

Und mit diesem Geist beginnst Du die Welt anderes zu sehen und zu verstehen und anders über sie zu reden. Und baust damit mit an Gottes neuer Welt mitten unter uns, konstruierst die Wirklichkeit, von der wir reden und an die wir glauben.

Ein paar Beispiele:

Christenmenschen begreifen ihr Leben als Geschenk. Leihgabe des Schöpfers. Wem das gegeben ist, der steht doch jeden Morgen auf, reckt und streckt sich und ist dankbar. „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind alle deine Werke“. Und wer sich das morgen für morgen in den Sinn rufen kann, geht anders in die Welt.

Christenmenschen begreifen das Zusammenleben mit Menschen als Gottes Gabe und Auftrag. Das ist ein anderer Zugang zur Gemeinschaft als der über Sympathie und Antipathie. Gemeinde mit den Augen der Welt betrachtet, mag vielleicht ein armseliges Häuflein sind. Aber Christenmenschen erkennen einander als Schwestern und Brüder um Gottes Willen… auch wenn mir deine Nase nicht passt, deine Art zu beten fremd ist und dein Milieu nicht meins.

Und noch ein Beispiel, formuliert gegen all jene, die wie Alice Weidel mit Verbalattacken gegen Menschen anderer Religion oder Herkunft versuchen eine fremdenfeindliche Wirklichkeit zu schaffen. Christinnen und Christen sehen in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes. Darum können Sie nicht giften und hetzen über Flüchtlinge und Asylsuchende oder über Schwule und Lesben.

Liebe Gemeinde, der Geist Gottes eröffnet uns den Zugang zu einer neuen Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die wirklich wird da, wo wir davon reden, daran glauben und darin leben.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


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