Ist das echt?



Ansprache im Nachtfalter-Gottesdienst
"Ist das echt?" - oder: Mein wahres Gesicht
Wenn wir zu unserem Thema nach einer biblischen Orientierung suchen, dann gäbe es eine ganze Reihe Anknüpfungspunkte, die sich nachzudenken lohnen würden:

Da ist zum Beispiel die Erschaffung des Menschen zum Bilde Gottes – und mithin also schon einmal die Frage, ob unserer scheinbaren Originalität damit ein Zacken aus der Krone gebrochen wird: Vielleicht sind wir ja gar nicht das Original, sondern nur die – gemessen am Original nicht gerade perfekte – Kopie, sein Eben-Bild. „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott…“ – aber eben niedriger

Und dennoch unverwechselbar und einmalig: „Ich danke Dir, dass ich wunderbar gemacht bin…“ lobt der 139 Psalm. Und formuliert damit aus meiner Sicht eine Selbsterkenntnis, die ich brauche, wenn ich echt sein will. „Ich bin wunderbar gemacht…“, einmalig, unverwechselbar und dazu aber auch noch „genau richtig“.

Wenn ich das nicht annehmen kann, werde ich mich immer versuchen so zu gestalten, wie andere es haben wollen.

Wer echt, wer authentisch sein will, der muss zu sich selber „Ja“ sagen können. Und dazu hilft uns gerade der Gedanke, dass ich ein gelebter Wille Gottes bin, von ihm so und nicht anders geschaffen: „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin!“

Wobei, ich bleib noch ein bisschen beim Psalm 139, der Psalm zugleich weiß, dass es letztlich nur Gott weiß, wer und wie ich wirklich bin: „Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich gehe oder liege, so weißt du es. Du kennst meine Gedanken von ferne… Es kommt kein Wort auf meine Zunge,  das du Herr nicht schon wüsstest…. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.“

Wir könnten auch ansetzen bei den vielen wunderbaren Erzählungen, in denen es darum geht, dass Menschen im Glauben den Mut finden, zu sein, wie sie sind. Und damit so manches Klischee, so manche Erwartung an sie brechen:

Nehmen Sie nur mal den kleinen David. Den hält keiner für einen großen König. Aber weil die Menschen nur sehen, was vor Augen ist – also die Maskerade – Gott aber das Herz ansieht, also das, was echt ist, wählt er ihn.

Und dann tritt er auf gegen Goliath, was sie ihm erst gar nicht zutrauen. Dann aber stecken sie ihn in eine Rüstung. Er aber legt die Rüstung ab, weil er kein Krieger ist. Es passt nicht zu ihm. Er lässt sich da nicht reinzwingen. Und hat gerade damit Erfolg.

Liebe Gemeinde, unter den vielen Anknüpfungspunkten habe ich mir aber einen anderen rausgesucht. Paulus.

Den finde ich allein deshalb schon interessant, weil Paulus einer ist, der in seiner Biografie bekanntermaßen eine dramatische Wendung vollzieht. Und wenn da einer den Wendehals macht, dann muss man sich ja schon fragen, ob das echt ist oder nur gespielt: Erst zieht er los um mit Eifer die junge Christensekte zu verfolgen – hat dann bei Damaskus ein umwerfendes Erlebnis und wird zum Eiferer für die Sache derer, die er zuvor verfolgte.

Eine radikale Änderung seines Lebens. Das einzige Kontinuum, das was sich gleich bleibt, das, was vielleicht den Kern seiner Person ausmacht, das, was „echt Paulus“ ist, ist dann vielleicht nur der „Eifer“, der 150% Einsatz für die Sache, für die er sich entschieden hat.

„Was ich mach, das mach ich richtig!“ – so einen Spruch kennen wir.

Vielleicht liegt es mit an solchen biografischen Wendungen, dass wir bei Paulus, dem ehemaligen Rabbiner-Schüler, unter den Füßen des Gamaliel hat er gesessen, eine Menge Nachdenken über das Menschsein finden, und über das, was den Menschen ausmacht, was „echt“ ist, was „authentisch“ ist am Menschen.

Wenn wir uns das anschauen, müssen wir beginnen mit einer negativen, aber darin auch sehr entlastenden Aussage des Apostels:

Paulus nämlich geht davon aus, dass dem Menschen in seiner Selbsterkenntnis Grenzen gesetzt sind.

Ich kenne mich gar nicht selbst bis in den hintersten Winkel meiner Seele. Ich weiß gar nicht, wer ich eigentlich im tiefsten Inneren bin.

„Unser Wissen ist Stückwerk“, schreibt Paulus und bezieht es auch auf die Selbsterkenntnis, wenn er sagt: „Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13)

Ich finde das sehr entlastend in dem Wahn, den man uns aufzwingt, permanent und überall authentisch zu sein oder wenigstens so zu tun, als wären wir es: Vom Freundeskreis angefangen über die Profile im Internet – auch so eine Seuche: Überall soll man sein Profil erstellen – bis hin zu den Situationen der beruflichen Bewerbungen… Überall der Zwang zur Selbstbespiegelung und dazu, dass Innere nach außen zu kehren.

Aber ich weiß ja gar nicht wer ich bin. Zu ganz vielen Dingen habe ich gar keine eigene Meinung, fehlt mir ein Urteil, weiß ich nicht, was ich will. Ich kenne mich nicht bis in den letzten Winkel meines Daseins.

Paulus sagt: „Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ Gott kennt mich, ja. Und daran wird er mich teilhaben lassen – aber erst am jüngsten Tage. Bis dahin bleibe ich mir selbst immer ein Stück verborgen.

Ich gestehe, dass ich das ganz reizvoll finde. Immerhin ermöglicht mir dieses „Mich-nicht-selber-in-und-auswendig-Kennen“, dass ich mir eine Neugierde auf mich selber erhalten kann, mich von mir selber überraschen lassen kann, neue Dinge an mir entdecken kann…

Staunen über mich selbst. Überrascht sein von dem, was mich bewegt, was mich erfreut, wofür ich eintrete, was ich kann… Hätte ich gar nicht gedacht, dass ich ganz anders bin… Aber es fühlt sich gut an!

Zuweilen aber auch über mich erschrecken kann. Dort, wo ich entdecke, dass ich nicht bin, der ich sein will und nicht tue, was ich mir vorgenommen habe.

Paulus kennt das: „Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7), schreibt er.

Ich glaube mit Paulus, dass nur wer sich selbst fremd sein kann, auch echt sein kann.

Das klingt paradox und ist es auch. Aber nur, wer ehrlich dazu steht, nicht zu wissen, wer er ist, wird in der Lage sein, in diesen Grenzen dem nachzuspüren, was jetzt, in dieser Situation und in diesem Moment, in dieser Rolle und in diesem Kontext, echt ist.

Weil wir uns selbst ein gutes Stück unbekannt und verborgen sind, können wir nur in Grenzen echt und authentisch sein. Aber wir können es sein.

Wir können es sein, in diesen Grenzen. Denn zur Freiheit hat uns Christus befreit. Auf Hoffnung hin. Noch nicht wirksam bis ins kleinste Detail, denn es ist ja noch gar nicht klar, wer ich letztlich bin, und doch hier und da und dann und wann möglich: Dort, wo Gottes Geist uns frei macht, frei auch vom Zwang, mich definieren und festlegen zu müssen, frei macht zur Überraschung, die Gott noch mit mir vorhat.

Liebe Gemeinde, wer „echt“ sein will, „authentisch“ sein will, der tut am besten daran, „neugierig“ auf sich selbst zu sein, achtsam mit sich umzugehen, und bereit, anders zu sein, als ich es von mir selbst gedacht habe.

Ich bin ich und eben darin immer auch das, was ich noch zu entdecken habe. Ich freu mich drauf. Amen.

Kommentare

  1. Ich war am 22.02. zum erstenmal beim Nachtfalter Gottesdienst und bin sehr angenehm berührt. Das Nachtfalter Team brachte das Thema sehr ideenreich und kreativ den Besuchern nahe. Gottesdienst einmal anders, phantasievoll und sehr ansprechend.
    Ich freue mich schon jetzt auf das nächste mal!
    Besonderen Dank an Pfarrer Pistorius und sein Team!
    N. Aue

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wir stehen im Morgen - Liedpredigt

„…s’ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!“

Fröhlich soll mein Herze springen