Masl Tov - oder: Gott nahe zu sein ist mein Glück
Predigt zu Psalm 73,28 am Altjahresabend 2014 in der Johanneskirche
Liebe Gemeinde,
es hat ja bei mir Tradition, dass ich
am Ende des Jahres noch einmal zurückschaue auf die Jahreslosung, die uns – die
einen mehr, die anderen weniger – durchs Jahr hindurch begleitet hat.
„Gott nahe zu sein ist mein Glück“
war das Leitwort für dieses Jahr.
Ob es ein glückliches Jahr war, das
mögen Sie unterschiedlich beurteilen. Kommt drauf an, wen man fragt…
Die Brautpaare, die wir in diesem
Jahr hier in der Kirche getraut haben… oder die Angehörigen der Verstorbenen,
die wir zu Grabe getragen haben, mögen das Jahr wohl unterschiedlich sehen.
Und politisch?
Die Bundeskanzlerin, das wurde schon
im Vorhinein kommuniziert, muss feststellen, dass dieses Jahr so ganz anders
gelaufen ist, als wir es uns wohl letztes Jahr zu Sylvester vorgestellt hatten:
Sie spricht die Ukraine Krise an. Sie verweist auf Ebola. Sie nennt den Terror
der IS und zeigt klare Kante gegen Pegida. Politisch, liebe Gemeinde, sieht ein
glückliches Jahr anders aus.
Oder?
Oder fragen wir die Flüchtlinge, die
in diesen Wochen bei uns angekommen sind. Und deutlich wird, wie relativ unser
Urteilen ist: Welch ein Elend und Unglück hat sie aus dem Land getrieben. Aber
wie glücklich sind sie, wenn sie es geschafft haben, auf zum Teil
abenteuerlichen, gefährlichen Wegen, das Leben gerettet zu haben, angekommen zu
sein, in einem Land…, - welch ein Glück, ihr Lieben, in diesem Land leben zu
können: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand... Sind wir uns dessen bewusst?
Und welch ein Unglück wiederum, wenn
es vielleicht kein Bleiben gibt oder keinen Aufenthaltstitel, mit dem man
arbeiten, Wohnung suchen, die Freiheit leben kann…
Es ist mit dem Glück nicht so
einfach.
II.
Ob es daran liegt, dass Glück in den
letzten 2 Jahrhunderten kein Thema der Theologie gewesen ist. Das jedenfalls
ist der negative Befund, den man gewinnt, wenn man in die großen dogmatischen
Entwürfe des Protestantismus schaut. „Glück“ ist in den Registern kein
Stichwort.
Vielleicht weil es zu diesseitig ist?
Das wäre immerhin eine traditionelle
Argumentation, mit der den Menschen vielfach das Streben nach Glück ausgeredet
wurde: Durch Leiden und Entbehrung führt der Weg in die Seligkeit. Wer hier im
Glück lebt, wird’s in der Ewigkeit noch bereuen:
„Denk nicht in deiner Drangsalshitze,
/ dass du von Gott verlassen seist / und dass ihm der im Schoße sitze, / der
sich mit stetem Glücke speist. / Die Folgezeit verändert viel / und setzet
jeglichem sein Ziel“ – der Vers aus Georg Neumarks Lied „Wer nur den lieben
Gott lässt walten…“ ist ein Ausweis dieses Denkens.
Vielleicht schweigen die Dogmatiken
aber auch über das Glück, weil es zu individualistisch ist?
In Christus geht es um das Heil der
Welt, nicht um das persönliche Glück. Die Kirche hat sich darum auch um die
Welt zu kümmern, nicht um das individuelle Glück…
Man kann über derlei Gründe nur
spekulieren, weil die Quellen ja nicht nur über das Glück schweigen, sondern
uns damit zugleich auch die Begründungen schuldig bleiben, warum sie es nicht
bedenken.
III.
Diesen negativen Befund: „Glück ist
kein Thema der Theologie“
steht heute eine kaum noch
überschaubare Thematisierung in der Öffentlichkeit und in vielen Wissenschaften
gegenüber.
Angefangen von den zahlreichen
Büchern der Lebensberatung, die uns Glücksrezepte versprechen bis hin zu
„Glück“ als Unterrichtsfach an inzwischen einer ganzen Reihe von Schulen in
Deutschland.
Dazu ist Glück als Gegenstand der
Forschung in vielen Disziplinen etabliert: Von der Philosophie angefangen, wo
es ja traditionell schon in der Antike einen Platz hatte, bis zu den
Neurowissenschaften.
Immer wieder spannend dabei zu sehen,
wie der Zusammenhang zwischen objektiven Faktoren und individuellen Bewertungen
gesehen wird: So gibt es eine Reihe soziologischer Untersuchungen, die zeigen,
dass die Deutschen zwar objektiv eine Menge Glücksfaktoren: Wohlstand, Bildung,
Kultur, Freizeit… etc. genießen können, aber dennoch subjektiv sich weniger
glücklich fühlen, als beispielsweise die Menschen in Bangladesh.
IV.
In diese Situation hinein hören wir
also noch einmal die Jahreslosung, die ganz unverschämt vom Glück spricht und
damit schlagartig Theologie und Welt aufeinander bezieht: Gott nahe zu sein,
ist mein Glück.
Sie stellt damit in den Raum, dass es
einen Zusammenhang gibt zwischen Glaube und Glück. Dass die Praxis der
Frömmigkeit das Leben verändert. Dass die Erfahrung der Nähe Gottes Menschen
glücklich macht.
Warum davon schweigen? Warum in
Zeiten, in denen immer weniger Menschen daran glauben, dass sie den Glauben
brauchen, um im Gericht Gottes bestehen zu können, warum nicht davon reden,
dass Glaube gut tut, glücklich macht, zum Leben hilft, hier und jetzt. Und
welch ein Glück – zum Sterben übrigens auch.
Wäre das nicht der Akzent, den wir
als Christenmenschen in die Fülle der Glücks-Thematisierung einzutragen hätten:
Dass es jenseits dessen, was es an „glücklichen Rahmenbedingungen“ geben kann
und über das hinaus, was wir erstreben können, ein Glück gibt, das unverfügbar
ist, das sich ereignet, wo Gott uns nahe kommt.
Und dass diese Nähe Gottes sich nicht
bindet an Geld und Macht und Wohlstand, sich nicht festmacht an Gesundheit, an
gelingende Beziehungen, an Erfolg, sondern sich eben darum auch ereignen kann
im finstern Tal, in der Ohnmacht, dem Tod.
Schließlich auch dies: Dass dieses
Glück darum niemals ein Zustand ist, sondern immer ein Ereignis. Gott ereignet
sich in meinem Leben. Und wo sich das ereignet, da ist Glück.
V.
Gott nahe zu sein ist mein Glück.
Hebräisch liest sich das so:
Ani kirafat elohim li tov.
Li tov? Vielleicht kennt der ein oder
die andere den unter Juden üblichen Wunsch: Masel tov. Viel Glück. Gesprochen
bei Hochzeiten, der Bar Mizwa oder einfach am Beginn eines Neuen: Masel tov. „Ein
Tröpfchen von oben“, heißt das Masel und tov ist „das Glück.“
Ziemlich bescheiden und doch
ausreichend: Ein Tröpfchen des Glücks von oben. Masel Tov.
Zu finden dort, wo Gott mir nahe ist.
Im Wald sagen die einen. In der
Stille die anderen. In der Liebe. Der Hilfe in Not. Im Gebet. Im Wort der
Schrift. Im Gottesdienst. Im stillen Kämmerlein. In der Musik. In Brot und
Wein…
Er weiß viel tausend Weisen…
Manchmal auch nur in homöopathischen
Dosen. Aber das Tröpfchen von oben mag genügen, dass ich eine Ahnung bekomme
von dem Meer der Liebe, in das ich mich versenken darf.
Gott ist gegenwärtig… Und wo wir es
entdecken, erfahren, fühlen, glauben, lieben oder hoffen, da ist Glück.
Ein Tröpfchen davon, das wünsch ich
Dir, im Rückblick auf dieses Jahr und im Vorblick für jeden Tag im neuen Jahr:
Masel tov.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen