Nicht müde werden...


Predigt zu 2. Korinther 4,16-18

2. Korinther 4,16-18

Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

I.

„Die Welt will Sieger sehn!“ Liebe Gemeinde, nicht nur im Fußballstadion, wo es den einen häufiger und den Kölnern eher seltener geschenkt ist, - sondern in den Medien überhaupt: die Casting-Shows beispielsweise beziehen daraus ihre Attraktivität und selbst in den Spitzen-Talk-Shows müssen noch die Verlierer, die Gescheiterten und Gelähmten präsentiert werden als die, die ihr Schicksal besiegt haben.

Wir wolln euch siegen sehn, wir wolln euch siegen sehn, wir wolln, wir wolln euch siegen sehn.


Anthropologen sagen ja, es sei uns Menschen evolutionär ins Stammbuch geschrieben: Du musst das Siegen lernen, um in der Horde eine Position zu gewinnen, die Dir das Überleben sichert. Denn nur die Siegermännchen finden auch ein Siegerweibchen.


Darin ist unsere Gesellschaft wohl kaum weiter entwickelt als eine Horde Paviane: Anderen den Rang ablaufen, einen Spitzenplatz ergattern, eine Sprosse weiter klettern … Die Welt will Sieger sehen.


Das macht ganz schön Druck.


Aus der Schule können Schülerinnen und Schüler davon gewiss ein Lied singen.

Vielleicht auch aus der Familie, nicht selten unter Geschwistern.

Andere kennen es aus ihrem Studium oder ihrem Berufsleben: Einen Job finden. Weiterkommen. Sich gegen die Konkurrenz behaupten.


Nicht selten gewinnt dieser Kampf eine Intensität, die ein sportliches Maß bei weitem übersteigt. „Burn out“ mag als medizinische Diagnose untauglich sein. Aber das Phänomen des „Ausgebrannt seins“, des „Müde-geworden-seins“ ist nicht von der Hand zu weisen. Dass einer schlichtweg des Kämpfens müde ist. Dass eine dem Druck nicht mehr gewachsen ist und in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus.


Doch wir - wolln Sieger sehen.


II.

Die Gemeinde in Korinth wohl auch.

Es wäre ja auch eine verkehrte Zeitkritik, wollten wir so tun, als wäre das, was ich beschrieb, ein gänzlich neues Phänomen. Nur deshalb, weil sich das Sehen so sehr gewandelt hat, die Möglichkeiten teilzuhaben an Sieg und Niederlage der Menschen, nur deshalb ist der Umstand an sich ja nicht neu, dass wir Sieger sehen wollen.


Paulus schien den Korinthern dafür nicht mehr recht zu taugen. Ein Mann jenseits jugendlicher Dynamik – muss sich wohl selber eingestehen, dass sein äußerer Mensch verfällt – am Fuß des Älterwerdens scheint der Berg noch unbezwingbar. Muss ich da wirklich rauf?


Früher, ja, da hetzte er noch durch die gesamte damals bekannte Welt, getrieben nur von dem einen Willen, die gute Nachricht, das Evangelium aller Welt zu predigen: Von Syrien, wo’s grad mal wieder keine guten Nachrichten gibt, nach Kleinasien, auf Zypern und in Griechenland, später in Rom, gerüchteweise soll er sogar in Spanien gewesen sein. Die Power war einmal.


Jetzt aber sitzt er fest und kommt nicht los, um den Korinthern selber Rede und Antwort zu geben auf die vielen Fragen, die sich stellen, wenn die Väter gegangen sind.


Ob es was geholfen hätte, wenn er hätte reisen können. Wo sie doch längst gewohnt sind, besseren Rednern zu lauschen als ihm. Machen es ihm sogar zum Vorwurf, er könne gewaltig schreiben, sei aber kleinlaut und schwach, wenn er den Mund aufmache.


An so viel Kritik, an solch angefochtenen Positionen, an so wenig Einverständnis, da kann man müde werden.


III.

„Darum werden wir nicht müde…“ schreibt er. Und lässt damit keinen Zweifel, dass die Müdigkeit ein ernstes Thema ist.

Die Müdigkeit, die sich einstellen kann, wo immer wir gegen den Druck angehen müssen, um am Ende vielleicht doch noch einen Sieg davon tragen zu können, und sei er noch so klein.


Übrigens, was Luther mit „Trübsal“ übersetzte – an anderen Stellen mit „Bedrängnis“ – man kann es getrost mit „Druck“ übersetzen. Und das soll mir keiner erzählen, dass dieser permanente Druck nicht ermüdend ist…


„Wir aber werden nicht müde…“, schreibt Paulus gegen das, was nahe läge. Wie geht das? Wie schützt er sich und uns davor?


IV.

Bevor ich unseren Blick dazu auf die Antworten aus unserem Predigttext lenke, lassen sie mich einen kleinen Exkurs machen.

Denn schon am Anfang des Kapitels schreibt Paulus davon, dass „wir nicht müde werden.“


Und begründet es mit dem Amt, das ihm gegeben ist: „Darum, weil wir dieses Amt haben nach der Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, werden wir nicht müde…“


Mir gibt das zu denken angesichts der Vielzahl von Pfarrerinnen und Pfarrern, von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die amtsmüde werden und mit „Burn out“ ausfallen und frage mich: Was läuft da schief im Amtsverständnis, wenn das Amt, das wir haben, uns nicht mehr davor bewahrt, müde zu werden.


Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass Paulus sich von seinem Amt getragen fühlt, wir aber meinen, wir müssten das Amt tragen.


Da gilt es, glaube ich, noch viel zu entdecken – nicht nur – und deshalb habe ich es ja aufgegriffen - auf dem Weg einer Vikarin zur Pfarrerin, sondern auch bei den Amtsinhaberinnen und -inhabern und unseren Gemeinden. Der Hinweis mag für heute morgen ausreichen.


V.

Weil nun aber nicht jeder ein Amt hat, das ihn trägt, darum noch einmal in unseren Predigtext geschaut. Was setzt Paulus gegen die Müdigkeit?

Paulus hat für sich einen Weg gefunden, den er weitergibt und der heilsam sein kann für einen jeden und eine jede unter uns, die unter Druck steht.


Und der wäre?


Eine veränderte Sicht der Dinge. Wo die Welt Sieger sehen will, da öffnet ihr Paulus einen andern Blick, verschiebt die Koordinaten, die wir uns zurechtgelegt haben, um die Wirklichkeit zu beurteilen.


a)

Zum einen:

Paulus öffnet den Blick für das, was an der Oberfläche nicht sichtbar ist.

Dort, an der Oberfläche, dort siehst Du den äußeren Menschen. Was aber ist unter der Haut? Der äußere Mensch verfällt, wohl wahr. Aber der innere, der kann doch Tag für Tag erneuert werden.


Und dann stehst Du morgens vor dem Spiegel und siehst die schlaflosen Augen, die müden Falten im Gesicht. Und doch: Ein neuer Morgen.


„Ich sehe was, was Du nicht siehst“


Der Blick auf das, was nicht sichtbar ist, entmachtet die Dominanz der Siegerbilder. Denn für gewöhnlich entscheidet das äußere Bild über Sieg und Niederlage.


Paulus aber rückt das in den Blick, was darunter zu sehen ist. Und da mag es sein, dass Sieger verletzlich und einsam sind, dass Verlierer stark und engagiert.


Mit diesem Blick hinter die Kulisse des äußeren Menschen eröffnet Paulus eine Option für die Kraft des inneren.


Und eine zweite Koordinate unserer Wahrnehmung verschiebt der Apostel: Die der Zeit.


Denn für gewöhnlich zählt der kurzfristige Sieg im jetzt und sofort.


Paulus öffnet demgegenüber den Horizont der Ewigkeit. Und was gelten schon vor der Ewigkeit, die Kämpfe und Siege unserer Zeit.


So manch ein Kampf verliert an Bedeutung, stelle ich ihn in einen zeitlich weiteren Horizont. So manch ein Sieg ist nichtig und klein im Licht der Ewigkeit betrachtet. Muss ich also kämpfen.


V.

So setzt der Apostel gegen die Müdigkeit eine andere Wahrnehmung.

Eine Wahrnehmung, die sich nicht festsieht an den äußerlichen Triumphen und sich nicht bannen lässt von den Siegen dieser Zeit, sondern einen Sensus hat für das, was nicht sichtbar ist und die Zeit aufgehoben weiß in der Ewigkeit.


Was draus werden könnte ist eine Lebenshaltung, die für mich niemand besser beschrieben hat als Hilde Domin in ihrem Gedicht: „Nicht müde werden“


Nicht müde werden,

sondern dem Wunder,
leise
wie einem Vogel 

die Hand hinhalten.

Amen. 


[Die Predigt ist inspiriert von Johanna Haberer, Die Entmüdung. Göttinger Predigtmeditationen 66 (2012) 231-236.]

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