Und noch einmal: Lass Dir an meiner Gnade genügen

Predigt im Nachtfaltergottesdienst "Stark und mächtig"
Sie merken, so einfach ist das nicht mit der Stärke und der Schwäche.

Und das ist ja schon einmal ein Erkenntnisgewinn, den wir gleich adeln wollen, wenn wir ihn in einen Zusammenhang stellen mit einem Bibelwort, das die Christenheit als Losung für diese Jahr begleiten soll: „Jesus Christus spricht: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“

Der geadelte Erkenntnisgewinn:
Es ist noch längst nicht klar, ob eine Stärke Stärke und eine Schwäche Schwäche ist.

Wer entscheidet eigentlich darüber?

Der Abteilungsleiter, der beurteilt, wie gut meine Fähigkeiten nutzbar sind zur Normerzielung des Betriebes?

Objektive Kennzahlen wie im Sport, die den Vergleich mit anderen erlauben?

Ach ja, die anderen, an denen ich mich messen lassen muss?

Gesellschaftliche Konventionen?

Wer entscheidet, was Stärke und was Schwäche?

Der Kampf ums Überleben – The survival of the fittest.

Das haben wir im Ohr als „Das Überleben des Fitteren“, die Macht des Stärkeren.

So hat es dann auch der Sozialdarwinismus aller Zeit gebraucht und auch Darwin selbst war davor nicht gefeit.

Sozialdarwinismus als die Übertragung der Erkenntnisse Darwins von der natürlichen Auslese und der Selektion von Arten auf menschliche Gesellschaften, meist banalisiert als die „Macht des Stärkeren“.

Darwin selbst hatte dazu schon den Ansatz gegeben, wenn er in seinem Buch „Die Abstammung des Menschen“ schrieb:

"Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der andern Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Process dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Aerzte strengen die grösste Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. (…) Hierdurch geschieht es, dass auch die schwächeren Glieder der civilisirten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticirter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muss. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticirten Rasse führt; aber mit Ausnahme des den Menschen selbst betreffenden Falls ist wohl kaum ein Züchter so unwissend, dass er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuliesse.“

„Die Schwachsinnigen, die Krüppel und die Kranken…“ – die Eugeniker aller Zeiten meinten stets zu wissen, was „stark“ und lebenswert und was „schwach“ und „lebensunwert“ ist.

Übrigens: Wer bei Darwin genau hinschaut, entdeckt, dass „Survival of the fittest“ nicht das Überleben „der Fittesten“ meint, sondern das Überleben derer, die am besten „angepasst“ sind.

Immerhin bedenkenswert: Denn vielleicht ist es ja so, dass manches, was in unserer Gesellschaft als „Stärke“ gilt, in Wahrheit nichts anderes ist als spießige Angepasstheit.

Wie sich leicht zeigen ließe zum Beispiel an der Hochschätzung extrovertierten Verhaltens in unserer Gesellschaft: Wer den Mund aufmacht, wer vorneweg ist, wer sich inszenieren kann, wer kommunikativ ist… - gilt uns gerne als stark und fit.


Paulus war das nicht. Seine Gegner warfen ihm vor, er bekäme den Mund nicht auf, wenn er da wäre. Könnte große Töne spuken, wenn er aus der Ferne schreiben würde, aber bliebe eher kleinlaut, wenn er unter ihnen wäre.

Und in dieser Situation hinein, in der sich Paulus schwach, ohnmächtig und angefochten fühlt, hört er das Wort Gottes: „Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Und erlebt damit, wie ein anderer sich die Deutungshoheit vorbehält, zu entscheiden, was Stärke und was Schwäche, wo Kraft und Macht, Ohnmacht und Schwäche sind.

Nein, ihr lieben Menschen, es ist nicht an uns, es ist auch nicht an unserer Gesellschaft, es steht in keines Menschen Macht, zu entscheiden, was Schwach und Stark, was Macht und Ohnmacht ist.

Menschliches Urteil mag in bestimmten Kontexten eigene Kriterien haben, aber das gilt dann nur in diesem Kontext. Und in einem anderen Kontext schon kann das, was man gemeinhin für Stärke hält, eine Schwäche und was wir für Schwäche halten, eine Stärke sein.

Und über allem und vor allem steht Gottes Gnade. Sein gnädiger Umgang mit all unseren Schwächen, unserem Versagen, unserer Ohnmacht.

II.
Damit komme ich zum Zweiten, was mir wichtig geworden ist. Nämlich dies, dass bei Gott eine Umwertung unserer Werte möglich ist.

Es mag ja sein, dass ich im gesellschaftlichen Kontext an dieser oder jener Stelle meine Schwächen habe. Gewiss.

Es mag ja sein, dass mich in meinem Tun das Gefühl der Ohnmacht begleitet.

Es mag ja sein, dass ich mit vielem an mir und in mir nicht zufrieden und unglücklich bin.

Dann ist dies aber nicht das letzte, was dazu zu sagen ist. Sondern unter Gottes Gnade kann aus all meinen Schwächen eine Stärke werden. Seine Kraft bedient sich geradezu der Schwäche der Menschen.

Wenn man sich zum Beispiel einmal anschaut, mit welchen Menschen Gott seine Geschichte schreibt, dann findet man allenthalben Menschen, die Schwächen vorbringen: Noah ein Alkoholiker, Mose ein Stotterer, der sagt: „Ich kann nicht reden“ und doch zum Pharao geschickt wird, Jakob ein Betrüger, Jeremia einer, der sich selbst noch viel zu jung hält, Rahab eine Hure, Petrus ein Choleriker, Paulus ein Introvertierter und so weiter.

Aber Gott beruft sie und erweist in diesen Menschen mit ihren Schwächen seine Kraft.

Es ist Gottes Kraft, die unsere Schwächen in Stärke, unsere Ohnmacht in Kraft zu wandeln vermag.

Und damit komme ich zum Dritten, was uns wichtig geworden ist. Nämlich dies, dass uns Gottes gnädiges Urteil und seine Kraft auch in Anspruch nehmen, mächtig zu werden.

Nicht im Sinne einfacher Hierarchie, nicht als Unterdrückung anderer, sondern als Wirksamkeit.

Schwäche, liebe Gemeinde, schwäche ist kein Argument fürs Nichtstun. Ist keine Ausrede. Das zeigen die Berufungsgeschichten der Bibel.

Ich kann mich nicht dahinter verstecken. Nein, sondern bin ohne Ansehen gerufen, Gottes Kraft in der Welt mächtig werden zu lassen.

Das kann heißen, sich einzusetzen für die, die gesellschaftlich schwach und diskreditiert sind. Kann heißen, seinen Mund aufzutun für die Schwachen.

Kann aber auch einfach heißen, sich den Stempel der andern nicht aufdrücken lassen.

Kann heißen, die Möglichkeiten Gottes in meinem Leben zu entdecken. Kann heißen, meine Schwächen daraufhin zu befragen, welche Stärken in ihnen stecken. Kann heißen, sie annehmen und trotzdem leben, fröhlich und frei. Um Gottes Willen.

Also: Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn dann stehst Du unter einem anderen Urteil als dem der Menschen – und es spricht dich frei.

…denn meine Kraft: entdecke, welche Kraft, welche Möglichkeiten Gott in deine Schwächen hineinlegt.

…und sie ist ín den Schwachen mächtig: So dass Du etwas tun kannst mit dem, was Du bist.

Schwach und mächtig.

Amen.

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