One of us

"One of us" - Ansprache im Weihnachtsgottesdienst für und mit jungen Leuten und ihren Familien zum Lied der amerikanischen Sängerin Joan Osborne: "One of us"
„Wenn Gott einen Namen hätte, wie würde er lauten?
Und würdest Du ihn mit seinem Namen ansprechen,
wenn du ihn in all seiner Pracht von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würdest?
Was würdest Du ihn fragen, wenn du nur eine Frage stellen könntest?“

Es ist echt so: Gott ist groß!
Wirklich wahr: Gott ist gut!
Ja, ja und nochmals ja!
Was wäre, wenn Gott einer von uns ist?
Genauso eine „alte Haut“, wie einer von uns?
Oder wie ein Fremder, der dir im Bus gegenübersitzt,
einer, der versucht, den Heimweg zu finden?

Wenn Gott ein Gesicht hätte, wie würde es aussehen?“

Versuch einer Übersetzung des Liedes „One of us“ von Joan Osborne.


Passend zur Weihnachtszeit stellt sie im Fortgang des Liedes nichts weniger als die Frage:


„Und würdest Du ihn sehen wollen?“

„Und würdest Du ihn sehen wollen?“

Das ist nichts weniger als die Frage: Bist du bereit, die Botschaft des Weihnachtsfestes wirklich zu hören, die da ist: Gott ist einer von uns geworden?


II.

Vielfach bezeugt in der Heiligen Schrift:

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ schreibt das Johannesevangelium.


Und die frühe Christenheit sang dazu sehr kunstvoll und poetisch:



Jesus Christus,
Von göttlicher Gestalt war er.
Aber er hielt nicht daran fest,
Gott gleich zu sein –
so wie ein Dieb an seiner Beute.
Sondern er legte die göttliche Gestalt ab
und nahm die eines Knechtes an.
Er wurde in allem den Menschen gleich.
‚In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich selbst
und war gehorsam bis in den Tod-
Ja, bis in den Tod am Kreuz.“
Und die Weihnachtsgeschichte schließlich erzählt uns, dass der Heiland der Welt ein Kind wurde in Windeln gewickelt.

Ein kleines Detail der Erzählung und doch höchst brisant, wenn wir es denn einmal konkret nehmen – wir haben es versucht mit Kinderwagen und Pamperspaketen uns ein klares Bild zu machen, worum es geht:


Windeln, heute von Fixies, Pampers oder DM, leicht zu handhaben, damals ein quadratisches Tuch, meist aus Leinen, mit einem 5 Meter langen Wickelband, in das die Kinder eingeschnürt wurden.


Ihr Zweck, damals wie heute, die Not-durft aufzunehmen, die Exkremente und Ausscheidungen des kindlichen Körpers, oder später wieder, die des alten, inkontinenten. Gott in Windeln, eine Zumutung.

III.

„Schafft endliche die Krippe fort und die eines Gottes unwürdigen Windeln!“, rief der Theologe und Prediger Marcion im 2. Jahrhundert aus, als er über diese Geschichte zu predigen hatte.

Er ertrug es nicht, dass Gott so menschlich geworden sein soll, dass er so leiblich geworden sein soll, dass er in Windeln gewickelt in die Hosen gemacht haben soll.


Sein Gottesbild ist bis heute unter uns lebendig: Ein Gott, allmächtig thronend im Himmel – aber irrelevant für uns hier unten auf der Erden, weil dort nicht zu finden, wo wir ihn suchen.


Ein Persilschein noch dazu: Gibt uns die Freiheit, zu trennen zwischen besonderen religiösen Bereichen, in denen eine höhere Moral gelten mag, und weltlichen, privaten, in denen ich tun und lassen kann, was ich will.

 

Dass ich auch im Privatleben mein Leben zu gestalten hätte nach den Maßstäben, die ich in öffentlicher Rede zum Ausdruck bringe, wir erleben es zunehmend, dass dieser Grundsatz der Glaubwürdigkeit an öffentlich gelebter Akzeptanz verliert. Und es sind nicht nur die Politikerinnen und Politiker bis hin zum Bundespräsidenten, die es uns vorleben.

Aber die Weihnachtsgeschichte zerstört mit einem zarten Bild diese Phantasie:


Ein kleines Kind, die Hosen voll, aber Gott in Menschengestalt – einer von uns und mitten unter uns, so dass die alte Trennung in Heilig und Profan, in Religiös und Weltlich, in Moralisch geboten und moralfreie Räume unseres Lebens nicht mehr funktioniert


IV.

Und mehr noch: Dieser Gott teilt das Leben der Menschen bis in seine bitterste Konsequenz hinein, den Tod.
 

Die Windeln der Weihnachtsgeschichte verweisen schon auf die Binden, in die Jesus gewickelt wird, als er vom Kreuz abgenommen wird, spannt also einen Bogen vom Anfang zum Ende, spinnt einen Faden von der Notdurft des Kinders zur Todesnot am Kreuz, von der Geburt zum Tod.

Gott, geboren und gestorben. Eine Zumutung.


Eine Zumutung, die uns zum Zeichen werde sollen: „Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt.“


Ein Zeichen für die Zumutung unsers Glaubens: „In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut“. Gott wird einer von uns.


Ist solidarisch mit uns – selbst in den peinlichsten Situationen unseres Lebensbeginns und erst recht in den hochnotpeinlichen, in der höchsten Not unseres Leidens und unseres Sterbens.


Gott ist solidarisch mit dem Leben und dem Tod der Menschen.


In unserem Leben, in deinem und in meinem Leben, gibt es nichts, was Gott nicht teilen würde.


Nicht nur die lichten und hellen Seiten des Lebens, sondern auch die Schattenseiten, nicht nur das, womit wir glänzen können, sondern auch das, was finster ist.


Die Bilder, die Gott in fernes Jenseits und auf Throne der Himmel verbannen, sie haben keinen Bestand vor der Geschichte, die wir heute hören, erzählen und feiern, taugen vielleicht noch für religiöse Jahrmärkte, nicht aber für das konkrete Leben mit seiner Freude und Lust und seinem Leiden und seiner Not.


V.

Und ein letztes: In der Ostergeschichte des Lukas wird erzählt, wie die Jünger zum Grab eilen, wie die Hirten zur Krippe. Und Petrus sieht hinein. Und was sieht er: „Und Petrus sieht nur die leinenen Binden daliegen.“

Sieht sie und weiß und glaubt: „Mein Gott, das Kinder in der Krippe, der Tote vom Kreuz – Er lebt!“ Er ist nicht tot.


Weihnachten ist keine Geschichte der Vergangenheit. Gottes Solidarität mit den Menschen ist nicht Geschichte. Das, liebe Gemeinde, ist eine Zumutung, die mir Mut macht, mein Leben mit Gott zu leben von den Windeln des Anfangs bis zum Leichenhemd am Schluss, mit allem Glanz und Gloria, aber auch mit den langen Schatten der Finsternis.


Gott ist einer von uns. Weil er es will – Amen.

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