"Was ist Wahrheit?" - Predigt zu Johannes 20,11-18 am Ostersonntag


Es gibt Dinge, über die zu reden nicht anders gelingt, als in zarten Bildern, in poetischer Sprache, nicht klar und eindeutig, nicht definierend, sondern nur annähernd:

Die Liebe etwa, oder das Glück, kannst Du nicht anders zur Sprache bringen, als ganz behutsam und vorsichtig. Die Wahrheit auch.

Um die kreist der Evangelist Johannes in seiner Erzählung über das Leiden und Sterben und Auferstehen Jesu:

„Was ist Wahrheit?“, legt er dem Prokurator in den Mund.

Und die Antwort erzählt weiter von dem, der sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Freilich, wir hätten es gerne anders, klarer, besser zu beschreiben und zu definieren für unsere Zeit. Passend für Wikipedia und zu zitieren – mit Fußnoten versteht sich – in Referaten, Promotionen und Predigten.

Doch Johannes lässt uns im Stich, verweigert die Definition und erzählt die Wahrheit der Osterbotschaft in vielen kleinen Geschichten, etwa in dieser:

Johannes 20,11-18
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.
Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.

Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du?
Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.

Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du?

Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.

Spricht Jesus zu ihr: Maria!

Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.

Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

 
I.
Was ist Wahrheit am Ostermorgen?

Dass Christus auferstanden ist, aber immer noch Tränen in der Welt.
„Maria aber stand draußen und weinte…“

Dass die Wahrheit der Auferstehung Jesus Christi sich nicht festmachen lässt an einer Welt ohne Leid, Trauer, Tod.

Wahrheit ist: Die Erde bebt, Wasser zermalmen Orte des Lebens, Diktatoren gefallen sich im Zynismus der Macht, Kriege schaffen keinen Frieden, auch wenn sie in bester Absicht geschehen. Und Menschen stehen auch am Ostermorgen an Gräbern und weinen.

Und wir, die wir zu glauben wagen, müssen uns den Spott gefallen lassen, der darin liegt, dass man Karfreitag auch Comedy sehen will und Ostern zum „Hasenfest“ macht.

Was ist Wahrheit am Ostermorgen?

II.
Wahrheit ist: Es gibt nichts zu beweisen. Und wer es nicht glauben will, wird’s nie erfassen.

Aber wer Ohren hat zu hören, der hört sich hinein in die Wahrheit des Ostermorgens. Und hat am Ende Mut, mit leeren Händen aber vollem Herzen in die Welt zu gehen, und weiterzusagen, wer und was uns angesprochen hat.

Wie eine Traumgeschichte erzählt der Evangelist Johannes die Geschichten des Ostermorgens.

Traumgeschichten, die – wir kennen das aus unseren Träumen - Anhalte schaffen zu unserer Wirklichkeit: Der weggewälzte Stein, das leere Grab, die Leintücher – aber darin ist keine Wahrheit zu erfahren.

Denn dass Ostern ist, dass Jesus auferstanden ist; dass er uns ins Leben ruft  – kein leeres Grab ist oder wäre in der Lage, uns die Wahrheit dieser Botschaft erkennen zu lassen.

Darum weint Maria und meint, sie hätten ihren Herrn weggenommen.

Die Wahrheit des Ostermorgens findet sich nicht im leeren Grab, in den Leintüchern, im weggewälzten Stein. Die Evangelisten erzählen wohl davon, aber immer in genau dieser Distanzierung, dass nicht das leere Grab die Wahrheit des Ostermorgens beweist.

III.
Sondern?
„Und als sie das sagte, wandte sie sich um…“ Erst der Blick ins Leben ermöglicht es, die Wahrheit zu erkennen, um die es geht.

Erst die Begegnung mit dem Auferstanden mitten im Leben, macht Glauben möglich.

Eine Begegnung die ihrerseits wieder die Eindeutigkeit vermissen lässt: „Sie aber meinte, es wäre der Gärtner“.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Ostergeschichten der Evangelien das Missverständnis, das Nicht-erkennen.

Dass Jesus mit den Jüngern auf dem Weg ist, den Frauen gegenübersteht – sie aber in ihm nicht den Auferstandenen erkennen.

Vielleicht ist dies die erste Wahrheit des Ostermorgens, dass wir bekennen müssen: Der Auferstandene ist uns näher, als wir meinen, aber wir erkennen ihn nicht.

Eben weil er in, mit und unter diesem Leben uns begegnet, wissen wir nicht, wann, wo und wie er uns nahe ist.

Und mögen ihn oft genug für den Gärtner halten.


IV.
„Sie meint, es sei der Gärtner…“

Ob Johannes dabei eine andere Geschichte im Blick hatte: Eine, die nicht am Morgen spielte, sondern am Abend, in der Abendkühle, als der Gärtner durch seinen Garten ging und die Menschen rief: „Adam, wo bist du?“

Der aber hatte sich verborgen, weil er Angst hatte.
Angst, da er vom verbotenen Baum gegessen hatte und damit Vergänglichkeit und Tod über die Menschen brachte.

Jetzt aber ein Gärtner, der das Leben bringt, am Morgen. Und ruft: „Maria!“

Eine glückliche Wiederholung einer unglücklichen Geschichte.

Es würde passen zu jenem Evangelisten, der ein Meister ist darin, mit Bildern und Sprache zu spielen, offen zu lassen, was er meint, nicht zu definieren und zu beschreiben, sondern anzudeuten.

Anzudeuten, dass der alten Schuldgeschichte ein neuer Anfang folgt.

Dass der erste Tag der neuen Schöpfung angebrochen ist, am Morgen, da er ruft.

V.
„Maria!“

Was ist Wahrheit am Ostermorgen?

Dass wir angesprochen sind.

Angesprochen von dem, der den Tod überwunden hat und der Schulgeschichte einen neuen Anfang schenkt.

Der für uns unverfügbar, nicht mit Händen zu greifen und mit Logik zu beweisen ist: „Rühre mich nicht an.“

Dass wir von ihm Angesprochene sind und als solche neu ins Leben gehen können.

Mit leeren Händen, ohne Beweise.

Aber mit der Kraft des Glaubens.

Denn „der Verzicht auf eine objektive Vergewisserung ist die Ermutigung zum mündigen Glauben“.

Zum Glauben, der seine Wahrheit nicht in historischen Ereignissen findet, sondern im Leben hier und jetzt.

„Und wenn das Grab tausendmal leer gewesen wäre, aber ich nichts spüre von der Lebenskraft Jesu Christi, so wäre mir’s nichts nütze“ (J.H.Claussen, Predigtstudien 2000/2001, V.I, S.224.)

VI.
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt…“

Damit weist die Ostergeschichte ins Gespräch.

Einander erzählen die Geschichten mit dem Auferstanden.

Einander bekennen, wann, wo und wie ich seine Lebenskraft erfahren habe in diesem Leben aus Schmerz und Tod, aus Glück und Liebe.

Geschichten, die nicht zu beweisen sind, aber zu glauben.

Und ihre Kraft entfalten im Leben.

Nicht zu definieren, nicht zu besprechen mit der kühlen Sprache der Nachrichten und objektiven Wahrheiten, eher zu dichten:

 
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut

Nur das Gewohnte ist um uns
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenen Löwen
Und sanften Wölfen

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Marie Luise Kaschnitz

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