"Freut euch mit Jerusalem..." _ Predigt zum Sonntag Lätare

[Im Gottesdienst wurde die Kinderkantate "Und sie aßen alle, alle, alleluja" von Gerd-Peter Münden aufgeführt. Sie erzählt die Geschichte der Speisung der 5000, das alte Evangelium des Sonntags Lätare aus Joh 6,1-15. Die Plazierung des Evangeliums fiel der Agenderevision zum Opfer.]

"Lätare" heißt dieser 4. Sonntag in der Passionszeit: "Lätare" ist der lateinische Anfang des Leitverses des Sonntages aus Jesaja 66: "Freut euch mit Jerusalem..."

Er hat's schwer, der Sonntag "Lätare".

Kaum einer kennt ihn. Kaum einer versteht ihn.

Die einen wissen mit der ganzen Passionszeit eh nichts anzufangen. Draußen grünt es und blüht. Das Leben atmet auf. Die Eisdielen öffnen wieder. Endlich wieder Fahrrad fahren. Raus in die Natur. Strahlende Farben. Da ist so viel Lust und Lebensfreude, dass das „Freut euch…“ des Sonntags im Konzert der Muntermacher kaum auffällt.

Und die anderen, etwas kirchlicheren, haben vielleicht eine diffuse Ahnung von Passionszeit und wissen um die Traditionen, die immer mehr auf Stille, Fasten, Verzicht und – schwer genug – Leiden abheben, so dass sie den Ruf zur Freude inmitten der Passion kaum einzuordnen wissen. Wie kommt plötzlich der Ruf zur Freude in die Stille der Passion?

Ob ich helfen kann?
Ich will’s versuchen, ohne gleich ein ganzes Seminar abzuhalten.

I.
Was man wissen muss: Die ganze Passionszeit war in der alten Kirche die Zeit der Vorbereitung auf die Taufe. Vor der Passionszeit wurden aus der Menge derer, die sich um die Taufe bewarben, diejenigen ausgewählt, die an Ostern dann wirklich getauft wurden.

Und mit diesen sogenannten „Katechumenen“ wurde an jedem Sonntag ein weiterer Schritt hin auf die Taufe getan.

Was geschah nun am 4. Sonntag der Passionzeit?

Am Sonntag Lätare stand der Ritus des „Hephata“ auf dem Programm.

„Hephata“ ist griechisch und heißt: „Tu dich auf“.

Der Täufer legte dem Täufling die Hände auf die Augen und Ohren und sprach: „Hephata“ – Tu dich auf.

Der Täufling sollte nun ganz offen und empfänglich sein für Gott und das, was Gott uns schenkt.

Vielleicht ahnen wir schon ein wenig, warum dieser Sonntag die Freude groß macht: Wenn wir einmal Augen und Ohren aufmachen, den Blick schweifen lassen, die Ohren weit machen… muss man da nicht das Staunen lernen: Kommt her, seht an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern.

Denn wer sich dem Glauben nähert, kann das Leben anders sehen.
Und hört nicht nur, was andere ihm einflüstern.

Für uns heute in einer Zeit extremer medialer Beeinflussung vielleicht eine besonders wichtige Eigenschaft des Glaubens: Eine Wahrnehmung, eine Ästhetik des Widerstands, die sich nicht vereinnahmen lässt von den Oberflächlichkeiten, mit denen Einfluss genommen wird auf unsere Meinung, auf unsere Entscheidungen, auf unseren Lebensstil… Hephata, Tu dich auf!

II.
Wo das geschieht, wo Menschen das Leben neu sehen und schätzen lernen, wo sie Spuren Gottes in der Welt und ihrem Leben entdecken, gewinnt das Leben eine neue Intensität und eine neue Qualität.

Klingt jetzt sehr euphorisch und ein wenig irreal, wenn wir diese Freude nicht erden an den konkreten Erfahrungen unseres Lebens.

Und die sind dieser Tage wenig freudig, eher geprägt von Leid, Angst und Not.

Ist da der Ruf zur Freude nicht zynisch?

Liebe Gemeinde, in der Tat, das wäre er, zynisch angesichts der Katastrophe in Japan, zynisch angesichts des Krieges in Lybien, zynisch…
… verlören wir den Kontext, in dem der Ruf zur Freude erklingt:

Denn die Freude, zu der wir aufgerufen sind, ist die Freude mit Jerusalem. „Freut euch mit Jerusalem und seid fröhlich alle, die ihr sie lieb habt. Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom.“ hießt das Leitwort des Sonntages aus Jesaja 66 (10.12)

Und wir spüren dem Wort seinen Überschuss an Hoffnung ab:

Jerusalem, das war damals kein Hort des Friedens, so wie es vielleicht noch nie in seiner Geschichte ein Hort des Friedens war, sondern immer nur der Sehnsucht.

Mit Jerusalem verbindet sich wie mit keinem anderen Ort die Sehnsucht nach Gottes Welt, in der Gerechtigkeit, Erbarmen und Frieden herrschen.

Jerusalem, das war und ist immer die Hoffnung.

Hoffnung, in einer Welt, die das Leiden kennt, Zerstörung, Leid, Unfrieden. Bis heute.

Aber weil Jerusalem in all diesen Erfahrungen Gottes Stadt ist und bleibt, weil Jerusalem um Gottes willen Hoffnung hat, darum darf es sich freuen.

Jerusalem, Ort der Sehnsucht, der Hoffnung nach Frieden, Gerechtigkeit, Erbarmen.

III.
Wohl kaum ein anderes Fest erinnert Juden in der ganzen Welt an diese Hoffnung so sehr, wie das Passafest.

Das Fest, das daran erinnert, wie Gott das Volk herausgeführt hat aus der Sklaverei in Ägypten, es auf dem Weg mit Himmelsbrot, mit Manna, gespeist hat und es den Weg ins gelobte Land geführt hat:

„Und nächstes Jahr in Jerusalem“ grüßen sich Menschen jüdischen Glaubens zu diesem Fest.

Auch unsere Brotgeschichte spielt kurz vor dem Passafest.

Und erinnert somit daran, dass Gott in einer grundsätzlich lebensfeindlichen Welt rettet, hilft, stärkt, festigt und gründet.

Es ist ja in unserem Blick nichts zu essen da, was sind schon fünf Brote und zwei Fische?

Aber Gott: Aus fünf Broten und zwei Fischen – viel zu wenig – wird geteilt und geteilt und geteilt und alle werden satt.

So wie in der Wüste immer genug zu essen war.

Und es sind nicht die Großen, nicht die Erwachsenen, nicht die Jünger, es ist ein Kind, klein und machtlos, das Brot und Fische zum Leben hat.

IV.
Lätare - Freut euch mit Jerusalem… Kurz vorm Passafest.

Ein Sonntag, der eine tiefe Verbindung herstellt zwischen dem jüdischen Volk und der christlichen Kirche.

„Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ formuliert die Evangelische Kirche im Rheinland in den Grundartikeln ihrer Ordnung.

Der Sonntag Lätare lädt uns ein zu dieser Hoffnung, öffnet uns die Ohren, Gottes Verheißungen zu hören, und die Augen, die Vorzeichen ihrer Erfüllung zu entdecken.

Wohl etwas, was wir bitter nötig haben in Zeiten, in denen uns Schmerz und Leid, Tod und Katastrophen den Glauben schwer machen.

Wo wir bitter erkennen, dass wir nicht in Gottes Reich leben, dass Tod, Not, Chaos, mächtige Urmächte sind, aber mit Menschen jüdischen Glaubens den Glauben an jenen Gott entdecken, der inmitten dieser Mächte immer wieder neu Leben möglich macht, der herausführt aus Sklaverei, der uns sättigt und speist und uns einen Tisch deckt im Angesicht unserer Feinde.

An diesem Gott lasst die Freude groß sein. Hier und heute und nächstes Jahr in Jerusalem.

Amen.

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