"Wie uns die Alten sungen..."

Themen - Predigt zu Lukas 1:
Vorbemerkung: In unserer Gemeinde arbeitet seit einigen Wochen ein Projektchor: "Alte Stimmen - Singen ab siebzig." Der Komponist und Musikpädagoge Bernhard König und unsere Kantorin, Brigitte Rauscher, arbeiten experimentell mit den Stimmen alter Menschen, die sich darauf einlassen. Der WDR hat darüber berichtet:
Im Gottesdienst wurde eine erste Kostprobe dieser Arbeit gegeben. Daraus ergab sich die Idee, die Predigt als Themapredigt zu gesalten.

Zwei Geschichten, erzählt am Anfang des Lukasevangeliums:

Die erste:

Zu der Zeit des Herodes, des Königs von Judäa, lebte ein Priester von der Ordnung Abija, mit Namen Zacharias, und seine Frau war aus dem Geschlecht Aaron und hieß Elisabeth.

Sie waren aber alle beide fromm vor Gott und lebten in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig.

Und sie hatten kein Kind; denn Elisabeth war unfruchtbar und beide waren hochbetagt.

Und es begab sich, als Zacharias den Priesterdienst vor Gott versah, da seine Ordnung an der Reihe war, dass ihn nach dem Brauch der Priesterschaft das Los traf, das Räucheropfer darzubringen; und er ging in den Tempel des Herrn.

Und die ganze Menge des Volkes stand draußen und betete zur Stunde des Räucheropfers.

Da erschien ihm der Engel des Herrn und stand an der rechten Seite des Räucheraltars.

Und als Zacharias ihn sah, erschrak er, und es kam Furcht über ihn.

Aber der Engel sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört, und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben.

Und die zweite:

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!

Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?

Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.

Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben.

Die Werbung, liebe Gemeinde, hat die Alten entdeckt und der Markt ein gigantisches Potential erkannt.

Anfang der 80er Jahre, am Beginn des Privatfernsehens, brüskierte der damalige Geschäftsführer von RTL, Helmut Thoma, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, sie bedienten lediglich „Kukidents“, während RTL erkannt habe, dass mit den „Erstanwendern von Kukident“ kein Markt zu erobern sei.

Heute weiß das manager magazin (Helmut Sendlmeier in: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,681006,00.html), dass Thoma selbst darüber lacht und sich lächerlich macht über jene Unternehmen, die immer noch ihre Zielgruppen nur im Altersspektrum von 14 bis 49 Jahren sehen:

Dort heißt es:

„Menschen von 50 bis 60 sind für Werbung weitaus interessanter als deren Kinder von 14 bis 24. Schon allein deshalb, weil sie höhere Ansprüche haben und sich mehr leisten können als Teens und Twens. Außerdem sind erwachsene Menschen aufgeschlossener gegenüber Werbung.

Die über 49jährigen aus der "werberelevanten Zielgruppe" auszugrenzen, ist demzufolge so sinnvoll, wie Autos ab der gehobenen Mittelklasse vom Markt zu nehmen. Oder außerhalb der Schulferien keine Urlaubsreisen mehr anzubieten. Und würde die Generation "50 plus" von morgen an tatsächlich den Konsum verweigern ... die Wirtschaftskrise in Deutschland würde erst richtig beginnen.“ schreibt das Magazin.

Und so finden wir vermehrt Werbung für die Zielgruppe alter Menschen: Von den Mitteln für den Erhalt der geistigen Vitalität über Pillen zur Reduzierung des Harndrangs – „Weniger müssen müssen“ – bis zu Anlagen mit hoher Rendite für die jungen Alten.

Und wie das so ist in der Werbung: Sie zeigt junge Alte, schöne Seniorinnen und Senioren, die in bester Gesundheit den Ruhestand genießen und – konsumieren.

II.
Nicht nur wir Pfarrerinnen und Pfarrer wissen aber, dass die Realität oft anders aussieht.

Dass mir, wie in der letzten Woche, eine Frau mit 90 Jahren gegenübersitzt, die fröhlich und dankbar erzählt, wie sie jeden Tag aufs neue genießt, ist eher die Seltenheit. Wie oft begegne ich dem anderen, einem Lebensgefühl, das die Bibel mit „alt und lebenssatt“ zu beschreiben weiß.

Die Bibel…: weiß ja wieder einmal viel vom Leben, zeichnet realistische Bilder und begegnet damit dem Alter mit mehr Respekt und den alten Menschen mit mehr Anerkennung ihrer Würde…

Eindrücklich jene Beschreibung aus Prediger 12:

„Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«;

„…ehe die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden“ – Vielleicht sind der Geist gemeint, das Denken als Licht, die Seele als Mond und die Sinne als Sterne.

„..und Wolken wiederkommen nach dem Regen,“ - Die Krankheiten und Zipperlein.

„…zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen“ - wir könnten an die Arme und Beine denken.

„…und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind,“ - Probleme mit den Zähen – kaum ein alter Mensch, der das nicht kennt.

„…und wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, und wenn die Türen an der Gasse sich schließen,“ – Augen und Ohren lassen nach.

„…dass die Stimme der Mühle leiser wird, und wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen;“
Die alten Stimmen, in den meisten Chören unerwünscht, da braucht es schon einen Projektchor und solch tolle Menschen, wie Bernhard König und Brigitte Rauscher, die die Besonderheit erkennen und würdigen.

„…wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege,“
der unsichere Tritt. Der Erfinder des Rollators hat aus meiner Sicht längst einen Nobelpreis verdient.

„..wenn der Mandelbaum blüht“ – das helle, graue Haar.

„..und die Heuschrecke sich belädt“ – der schleppende Gang.

„..und die Kaper aufbricht;“ – Die Kaper galt als Liebesmittel, vielleicht ein Hinweis auf nachlassende sexuelle Aktivität.

Und das Ganze als Vorgeschmack auf das Ende,
„denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; -
ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.
Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.
Es ist alles ganz eitel, spricht der Prediger, ganz eitel.“


Ins Bild gesetzt und dennoch schonungslos wird die Gebrechlichkeit des Alters beim Namen genannt. Und ausgesprochen, was so mancher alte Mensch erlebt: Es sind böse Tage…

Die nicht leichter zu tragen sind, wenn uns die Werbung immer nur Vitalität und Lebensfreude vor Augen stellt.

III.
Und dennoch, und damit nähere ich mich den alten Menschen in den Adventsgeschichten, und dennoch reduziert die Bibel alte Menschen nicht auf ihre Gebrechlichkeit, sondern weiß um ihre besondere Würde und ihr besonderes Gewürdigtsein durch Gott.

Lukas erzählt in seinem Evangelium den Beginn der Jesusgeschichte in einer Parallel-Geschichte: Da ist die alte Frau, Elisabeth, die biologisch nicht mehr in der Lage ist, noch Kinder zu bekommen, die dennoch schwanger wird, und einen Sohn gebiert, Johannes, der dem Heiland den Weg bereiten soll.

Und da ist, in der Parallelgeschichte, die junge Frau, die noch von keinem Mann wusste, noch zu jung, um Kinder zu bekommen, die schwanger wird und den Heiland zur Welt bringt.

Ich glaube, dass diese Parallel-Erzählung mit dem Fokus auf die ganz Alte und die ganz Junge in sich schon eine beachtliche Botschaft trägt.

Denn es sind die, die unsere Gesellschaft lange wahrnahm und häufig immer noch wahrnimmt als Kostenfaktoren. Als solche, die nichts produktiv beitragen können. Es sind die, denen darum wenig gesellschaftliche Beachtung geschenkt ist.

Denken Sie nur an die Aussage so manches Politikers und so mancher Politikerin zur sogenannten „Generationengerechtigkeit“. Die wird von den alten Menschen eingefordert aber nicht für die Kinder, sondern um die Lohnnebenkosten der viel beschworenen „Leistungsträger“ zu senken.

Sachlich steht das Problem nicht in Zweifel. Aber die Art der Diskussion hat doch häufig etwas Verachtendes und Respektloses gegenüber der Lebensleistung der Generation der alten Menschen.

Aber ausgerechnet mit ihnen, den unproduktiven Gliedern der Gesellschaft fängt Gott seine Heilsgeschichte an.

Vielleicht deshalb, weil nur der, der nicht die Phantasie hat, alles selber regeln zu können, offen ist für das Geschenk der Gnade Gottes.

Nicht die Leistungsträger der Gesellschaft bringen das Heil, auch wenn sie es oft meinen, sondern die Randfiguren.

Es gilt das Heil den Leistungsträgern darum nicht weniger!

IV.
Ein Zweites: In den biblischen Advents- und Weihnachtsgeschichten sind es die Alten, denen die Augen aufgehen, die die Geschichte interpretieren und in ihr Gottes Handeln erkennen.

Allen voran der greise Simeon im Tempel, der loben kann „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“; und die hochbetagte Hanna, die das Gotteslob singt.

Es sind die Alten, die einen Blick haben für das, was den anderen verborgen ist. Und die ihnen damit die Augen öffnen für das, was sie noch nicht gesehen haben.

Es sind die Worte der Alten, die herangezogen werden als Interpretation, Bekräftigung und Belege der Wahrheit, die in den erzählten Geschichten geschieht.

Es sind die Alten, denen die Bibel immer wieder Weisheit zugesteht oder sie verheißt.

Weisheit, die nicht nur Lebenserfahrung ist, das auch, sondern mehr noch: „Glaubenserfahrung“.

Die Erfahrung in Höhen und Tiefen, in Freud und Leid, getragen gewesen zu sein, auch wenn ich es damals gar nicht habe selber sehen können.

Mit dieser Weitsicht und Erfahrung sind viele alte Menschen Zeugen Gottes vor der Welt.

V.
Was fang ich damit an:

Vor einem grauen Haupt sollst Du aufstehen und die Alten ehren, denn du sollst dich fürchten vor deinem Gott, denn ich bin der HERR“ heißt das Gebot in 3. Mose 19,32.

Im Umgang mit den Randfiguren unserer Leistungsgesellschaft - also einer Auffassung von Gesellschaft, in der die produkitive Leistungsfähigkeit für den Status innerhalb der Gesllschaft entscheidend ist - im Umgang mit den Randfiguren unserer Leistungsgesellschaft entscheidet sich letztlich auch unser Verhältnis zu Gott. Weil Gott sich darin gefällt, gerade in denen, die außerhalb der Leistungsgesellschaft stehen, zur Welt zu kommen.

Darum: „Vor einem grauen Haupt sollt Du aufstehen und die Alten ehren…“

Und ein Zweites: Mein Alter, meine Generation, steht am „Fuß des Älterwerdens“, wie Erich Fried es einmal nannte.

Und manch einem von uns steht das Kommende wie ein gewaltiger Berg vor Augen, den zu besteigen nicht nur mühsam und beschwerlich ist, sondern auch mit Angst besetzt.

Einer Angst, die nicht nur mit der Angst vor dem Verlust an Vitalität zu tun hat, sondern auch damit, an Würde, Achtung und Wertschätzung zu verlieren.

Für manch einen existentiell erfahrbar in der Sorge um seinen Arbeitsplatz: Viele Berufe, von denen ich höre, dass man mit 50 nichts mehr wert ist, verbrannt für den Arbeitsmarkt. Was soll dann noch werden?

Lebenskunst wäre aber das andere, den biografischen Wandel anzunehmen und zu gestalten, den Wert zu sehen und Zauber, der jeder Lebensstufe inne wohnt.

Ich glaube, dass dies anzunehmen nicht zuletzt etwas damit zu tun, hat, wie wir selbst als die jüngere Generation mit den alten Menschen umgehen.

Unsere Angst vor dem Altwerden hat auch viel zu tun mit unserer eigenen Ausgrenzung, Missachtung und Ignoranz gegenüber alten Menschen.

In der Begegnung aber mit ihnen könnten wir viel lernen und gewinnen für uns und unsere Biografie am "Fuß des Älterwerdens"..

Darin läge übrigens auch der Gewinn eines Engagements in einem Besuchsdienst der Gemeinde… Ich verkneife mir nun aber den Werbeblock und lasse lieber noch einmal den „alten Stimmen“ selber Raum in diesem Gottesdienst.

Amen.

Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Pfarrer Pistorius,


    Als katholische Christin hörte ich Ihre inzwischen im Internet
    veröffentlichte Thema-Predigt.

    Von Anfang an beeindruckten mich Ihre sehr fundierten, ehrlichen, frischen
    und zugleich behutsamen Ausführungen.

    Eine Stelle, an die ich mich sehr gut erinnere, weil sie mich ganz besonders
    berührte, vermisse ich allerdings in der Internet-Veröffentlichung. Es
    handelte sich offenbar um eine spontane Einfügung:

    "... im Umgang mit den Randgruppen unsrerer Leistungsgesellschaft - übrigens
    auch mit den Kindern - entscheidet sich letztlich auch unser Verhältnis zu
    Gott."

    Heidelore Puttkamer

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