Predigt zu Mt 24,1-14 - 2. Advent 2010

„Seht ihr nicht das alles? Wahrlich ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde…“

Liebe Gemeinde, in Zeiten, in denen es liebgewordenen Selbstverständlichkeiten unserer Kirche an den Kragen geht, weil uns Geld und Mitglieder schwinden, nicht gerade ein Hoffnungstext.

„Es werden viele kommen unter meinem Namen…“ In Zeiten, in denen wir unser Legitimationsproblem als Kirche in der Gesellschaft nicht mehr durch den Verweis auf Christus allein – wie sonst aber sollte wir uns legitimieren – bewältigen können, weil dies für Gesellschaft zum einen nicht plausibel ist - "Brauchen wir den denn?" – zum anderen weil es viele gibt, die ihn oder die Wahrheit für sich beanspruchen, nicht gerade ein Mutmachtext.

„Ihr werdet hören von Kriegen“ - wie in Afghanistan, „es werden Hungersnöte sein“ – wie im Niger und „Erdbeben“ – wie in Haiti und die Flut von Pakistan hätte er auch noch nennen können und den Vulkanausbruch des Berges mit dem unaussprechlichen Namen…

„Apokalypse now?“

Jedenfalls bewegt sich Jesus mit seiner Rede im Kontext apokalyptischen Denkens, das zu seiner Zeit wohl weitverbreitet war und das Ende der Welt in schrecklichen Szenarien erwartete.

II.
Ich will ehrlich sein, liebe Gemeinde: Apokalypse ist nicht mein Ding!

Mag sein, dass es etlichen anders geht und sie einen Zugang haben zu einer Sprache und Bildwelt, die mit schrecklichen Ikonen das Ende aller Zeit beschreibt und die Wiederkunft Christi auf Wolken und mit himmlischen Heerscharen.

Meine Vorstellung ist das nicht.

Kein Schade, denke ich, denn wie mir geht es doch noch anderen und etliche sind darunter, die der große Theologe des 19. Jahrhunderts, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, die „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ genannt hat.

Die rufen „Metaphysik“ und „Determinismus“ und „Mythologie“, wenn sie einem solchen biblischen Text begegnen und bringen damit auf dem Begriff, was manch einer von uns schlichter ausdrückt: „Ich glaube nur, was ich sehe“; „Das sind doch alte Weltbilder, heute wissen wir, dass über uns nichts als der gestirnte Himmel ist.“; „Ich mag nicht glauben, dass Gott all das gewollt hat, was in der Welt geschieht.“

Ob es uns gelingt, doch ins Gespräch zu kommen mit jenen „Gebildeten unter den Verächtern“ ebenso wie mit unseren eigenen Anfragen und Widersprüchen?

III.
Der Versuch ist nicht neu.

Eine gängige Praxis ist die, nach einem von den sprachlichen Bildern unabhängigen Kern der Wahrheit zu fragen.

Das Bild ist in etwa so: Es gibt eine zeitlose, gültige Wahrheit, die sich in den Texten verbirgt. Diese ist ummantelt von einer zeitbedingten Sprachgestalt. Ich muss den Text seiner konkreten Sprachgestalt enthüllen, um zum Kern der Wahrheit vorzudringen. Das ist dann meist ein sehr abstrakter, sehr allgemeiner Satz und könnte in unserem Fall etwa so lauten: „Die Erfüllung des Glaubens ereignet sich im Festhalten am Glauben durch alle Situationen des Lebens hindurch“. „Wer aber beharrt bis ans Ende wird selig werden.“

Ein Satz, der gewiss einen Kern Wahrheit enthält. Aber ob er uns in unserem Suchen und Fragen satt macht, wage ich zu bezweifeln.

Denn satt werde ich nicht durch den Kern – auf dem ist in der Regel schlecht beißen – sondern satt werde ich durch das Fruchtfleisch.

Es lohnt sich darum, die biblischen Texte nicht auf abstrakte Wahrheiten zu reduzieren, sondern sie in ihrer konkreten Textgestalt, in den Bildern und Motiven ernst zu nehmen.

IV.
Und wenn ich das versuche, dann stoße ich auf eine Bildwelt, die uns dank der medialen Vermittlung keineswegs fremd ist: Sie ist von Krieg und Zerstörung, von Leid und Hungersnöten gekennzeichnet. Jesus benutzt das gesamte apokalyptische Szenarium, aber kaum etwas davon ist uns in unserem Kontext fremd. Und es ist nichts daran neu. Vom Ende der Welt kann da nicht die Rede sein.

Und dann lese ich: „Das muss so geschehen, aber es ist noch nicht das Ende“.

Damit kann ich was anfangen.

Denn es macht mir deutlich: Kriege und Zerstörung, Leid und Hunger, Katastrophen und Gewalten, sie wird es geben, aber sie sind keine Instrumente Gottes. Sie sind ein weltlich Ding.

Alle Versuche, Kriege religiös zu legitimieren, haben keine gute Basis. Kriege sind Menschenwerk und Gott hält sich heraus.

Bis zum Es-geht-nicht-mehr: Gottes Heraushalten, sein Nicht-Eingreifen in den Holocaust ist eine der größten Herausforderungen für die jüdische und christliche Theologie, die lange Zeit leichtfertig über Kriege und Leid anders zu reden verstanden. Mehr noch aber als für die Theologie aber ist es eine Herausforderung für den Glauben an Gott.

Gott hat sein Volk nicht bewahrt – vielleicht einen kleinen Rest, ja. Aber er hat dem Krieg, er hat der Vernichtung nicht gewehrt.

Naturkatastrophen sind nicht Gottes Willen und Werk. Die Flut in Pakistan nicht Gottes Macht. Aids ist keine Strafe Gottes für eine sündige Menschheit. Und der Krebs, den Christoph Schlingensief in seiner Lunge hatte, ist nicht Gottes Denkzettel für einen hybriden Künstler. (Vgl. hierzu: Christoph Schlingesief, So schön wie hier kann es im Himmel nicht sein. Tagebuch einer Krebserkrankung. Köln 2009 - Ein äußerst lesenswertes Buch!)

V.
Diese grundsätzliche Absage an eine Weltsicht, die alles und jedes unter ein Heilsplan Gottes verbuchen wollte, macht die Welt weltlicher. Und unsere Verantwortung größer.

„Nichts ist gut in Afghanistan.“ Was aber zu tun ist, damit es gut wird in Afghanistan, ist eine politisch zu treffende Entscheidung. Darüber muss menschlich diskutiert und debattiert und am Ende auch entschieden werden.

Meine Glaubensüberzeugungen spielen dabei eine Rolle, aber sie machen eine Entscheidung ja keineswegs leichter: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ als ökumenisches Credo nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges habe ich abzuwägen gegen die Geschichte Gottes mit uns Menschen als Freiheitsgeschichte, die gegen die Unterdrückung durch ein terroristisches Regime steht.

Und ich habe keinen Gott, der mir die Entscheidung abnimmt. Ich muss es selber tun.

Mag sein, dass ich dabei an Sünde nicht vorbei komme, so oder so.

Die Welt wird weltlicher, die Entscheidungen menschlicher. Und unsere Verantwortung für das Hier und Jetzt größer. Wir können uns nicht hinter Gott und seinem Kommen verstecken.

VI.
Aber macht es dann noch Sinn, überhaupt von Gottes Kommen, von seinem Advent zu reden?

Drei Antworten.

Die erste:
„Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.“

Wo ein Mensch das Evangelium an einen anderen Menschen weitersagt, da ist das Ende gekommen, da kommt Gott zum Ziel – im griechischen steht „Telos“, was besser mit Ziel zu übersetzen ist.

Wo ein Mensch das Evangelium an einen anderen Menschen weitersagt, da kommt Gott zum Ziel.

Wo das Evangelium verkündigt wird, kommt Christus zur Welt.

Das Evangelium kann zur Apokalypse werden all unserer Hybris, unserer Selbstüberschätzung, unserer Arroganz und Hoffärtigkeit. Es kann zur Verwandlung werden meiner gekränkten Seele, mich aufrichten, festen und gründen. Wo das Evangelium verkündet wird, da kommt Gott zum Ziel.

Und darum macht es Sinn, auch weiter von Gottes Kommen zu reden. Weil Gott im Evangelium zur Welt kommt.

Und das zweite:
Es ist dies Evangelium aber das Evangelium vom Reich Gottes. Wir sollten das nicht aus dem Blick verlieren, dass es im Glauben nie nur um meine persönliche Heilsgewissheit geht, sondern um Gottes Reich:

Mal beschrieben als Reich des Friedens, dann als jene Welt, in der kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr sein werden.

Es geht im Glauben nie nur um mich. Sondern immer auch um die sozialen und globalen Bezüge. Gerade die Bilder der Apokalypse halten uns dafür offen, dass das, was in der Welt geschieht, einem glaubenden Menschen nicht egal sein kann.

Gott kommt zu Welt und nicht allein zur frommen Seele.

Und das dritte:
Damit stehen wir wie die Jünger wieder am Anfang und fragen: „Sage uns, wann wird das geschehen?“

Jesus lässt die Frage nach dem Ende der Welt offen. Alles, was die traditionelle Apokalyptik als Zeichen des Weltendes benannte, sind für Jesus nur Wehen.

Damit hält Jesus diese Welt im Zustand der Vorläufigkeit und behält ihr Ende im Blick.

Das steht quer zu unserem Verhalten, als wäre kein Ende denkbar, kein Ende der Geschichte, kein Ende der Ressourcen, kein Ende des Wachstums.

Jesu Rede weist unsere Grenzenlosigkeit in Grenzen.

Damit wir zur rechten Zeit doch vielleicht noch Grenzen ziehen können, auf dass die Erde sich noch lange dreht.

VII.
Lasst mich schließen mit einem Wort, das erst in einem Rundbrief der Hessischen Kirche im Oktober 1944 belegt ist, immer wieder gerne aber fälschlich Martin Luther zugeschrieben wurde, aber trotzdem gut ist, weil es uns an die Vorläufigkeit all unseres Tuns erinnert und doch frei hält, zu tun, was wir tun müssen im hier und heute. Sie kennen das Wort:

„Wenn ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag anbricht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“.

Kommentare

  1. Ich habe auch einen Post zum Thema Gebet in meinem Blog geschrieben. Er heisst "Asche zu Asche". Siehe hier:

    http://einmalsinnundzurueck.blogspot.com/2010/12/asche-zu-asche.html

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