Die Kirche braucht keine Heiligen - Predigt zu 1. Tim 2,1-6a

Predigt zu 1. Timotheus 2,1-6a

Willkommen in der Wirklichkeit, liebe Gemeinde.
Und wer immer noch meinte, wir könnten als Christenmenschen unsere Frömmigkeit im verborgenen Kämmerlein pflegen, der wurde dieser Tage eines Besseren belehrt.

Wenn es um Anstand geht, Geradlinigkeit und Wahrhaftigkeit, liebe Gemeinde, dann stehen wir im Focus…. – oder in der Bildzeitung – und nicht gerade glänzend da:

Während die katholische Kirche durch immer neue Enthüllungen sexueller Gewalt in Gemeinden und pädagogischen Einrichtungen die Schlagzeilen füllt, genügt für die Evangelischen die Alkoholfahrt ihrer Ratsvorsitzenden, um die Kirche ins Gespräch und Misskredit zu bringen.

Als evangelischer Pfarrer kann man dieser Tage kaum aus dem Haus gehen, ohne angesprochen zu werden, und immer wieder schwingt mit die Häme darüber, dass Christen, von denen man annimmt, dass sie sich in Sachen Anstand und Moral für etwas Besseres halten, als Hochstapler entlarvt sind.

Weil sie durch ihr Fehlverhalten ihre Autorität in der Beurteilung von ethischen Fragen verloren habe, ist Margot Käßmann zurückgetreten.

Was zurückbleibt, ist ein Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche auf der ganzen Linie: „Wasser predigen und Wein trinken“ ist zum geflügelten Wort geworden und legt den Finger in die Wunde, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Reden und Tun klafft.

Und nun stehen wir da wie begossene Pudel, etwas ratlos in einer harten, nüchternen Wirklichkeit und verspüren so etwas wie einen kräftigen Kater.

II.
Liebe Gemeinde, wir sind beim Predigttext, auch wenn Sie es nicht gemerkt haben sollten.

Denn in etwa so stelle ich mir die Situation der Gemeinde vor, an die der 1. Timotheusbrief gerichtet ist.

Es ist eine Gemeinde der zweiten, vielleicht gar dritten Generation.
Die Euphorie des Anfangs ist verflogen. Die Gemeinde hat realisieren müssen, dass die Hoffnung auf eine baldige Wiederkunft Christi sich nicht erfüllt hat. Sie beginnt zu ahnen, dass sie sich einrichten muss in der Wirklichkeit der Welt.

Strukturen muss man aufbauen:
Den charismatischen Führern der Anfangszeit  folgen Ämter und Ordnungen nach: Bischöfe, Diakone, Witwen, Presbyter.
Funktionen müssen festgelegt werden, Regeln aufgestellt.

Und wichtig: in all dem Weltlich-werden des Glaubens irgendwie ein Anders- sein markieren: Hohe Ansprüche an Anstand und Moral werden erhoben in den Briefen jener Zeit:
„Ein Bischof soll untadelig sein, nüchtern, maßvoll, würdig, gastfrei, geschickt im Lehren, kein  Säufer, nicht gewalttätig, sondern gütig, nicht streitsüchtig, nicht geldgierig, einer der seinem eigenen Haus gut vorsteht und gehorsame Kinder hat … Er muss aber auch einen guten Ruf haben bei denen, die draußen sind.“

„Einen guten Ruf haben bei denen, die draußen sind“ – Sich abheben von der Masse. Anders sein.

Es ist wohl eine tiefe Sehnsucht nach wahren und vollkommenen Menschen, die die Kirche geweckt hat, -  bei vielen Menschen geweckt hat, die in der harten Wirklichkeit nach Menschen suchen, die anders sind, irgendwie „heilig“ sind.

Eine Sehnsucht, die die Kirche geweckt und immer und immer wieder enttäuscht hat.

Liebe Gemeinde, die meisten Menschen, mit denen ich bisher über den Kirchenaustritt gesprochen habe, sind nicht wegen der Kirchensteuer ausgetreten, sondern aus Enttäuschung über einen Pfarrer oder eine Pfarrerin.

Das Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche liegt zum größeren Teil an den wirklichen und manchmal enttäuschenden Erfahrungen mit den Menschen in der Kirche.

Und je höher der moralische Anspruch, desto tiefer der Fall.
Und er tut uns gut.

Kann vielleicht gar nicht heftig genug sein, damit wir aufwachen und zur Besinnung kommen.

III.
Nein, die Kirche hat nicht gut getan daran, die notwendigen strukturellen Entscheidungen zu verknüpfen mit hochgesteckten moralischen Normen.

Sie hat nicht gut daran getan, um die Menschen in ihrem Dienst einen Heiligenkult zu inszenieren, sie zu etwas Besonderem zu stilisieren.

Denn sie hat damit das Evangelium dem Gesetz geopfert.
Hat die Menschen auf eine falsche Spur gesetzt, so als hinge die Glaubwürdigkeit des Evangeliums an der Tugendhaftigkeit derer, die es predigen.

Sie hätte es besser wissen müssen, die junge Kirche:

„Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung“, heißt es in unserem Predigttext.

Nein, liebe Gemeinde, die Kirche braucht keine Heiligen dieser Gestalt. Und wir sollten mit aller Energie dem innerkirchlichen wie dem medialen Druck widerstehen, der so tut, als wäre das anders.

Die Wahrheit des Evangeliums ist in Tod und Auferstehung Jesu Christi verbürgt, und nicht in der sexuellen Enthaltsamkeit katholischer Priester oder der Nüchternheit evangelischer Bischöfinnen.

„Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung“

IV.
Willkommen in der Wirklichkeit.

Und die fordert von uns anderes als klerikale Selbstbeweihräucherung und Personenkult:

„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit“

– Darum geht es, nicht um Menschen, die meinen, an ihrem Wesen könne die Welt genesen, sondern um solche, die begreifen, dass diese Welt vor Gott gebracht werden muss.

Und die eben darin menschlich von sich und anderen halten, dass sie Gott Gott sein lassen und indem sie zu ihm beten, sich ihres Menschseins bewusst werden.

In Bitte, Gebet und Fürbitte – aber auch in Danksagung.

Danksagung zum Beispiel für Menschen, die als Politikerinnen und Politiker Verantwortung zu tragen bereit sind für das Leben in unserer Gesellschaft, Danksagung dafür an sich, auch wenn ich als Mensch der Kirche nicht mit jeder Überlegung übereinstimmen kann und Kritik zu üben habe.

Dennoch, „Gott sei Dank gibt es welche, die Verantwortung zu tragen bereit sind.“

„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit“

Wozu?

„…damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“

Der Zusammenhang ist wichtig.

Er macht offensichtlich, dass eine Gemeinde, die in der Welt lebt, auch immer in Wechselwirkung zu dieser Welt lebt.

Das „Suchet der Stadt Bestes“, das schon Jeremia den Menschen im Exil geschrieben hat, bleibt zeitlos gültig.

Wer fromm leben will, kann das nicht tun, ohne sich der Verantwortung für das Gemeinwohl bewusst zu sein.
Wer seine Ruhe will, muss sehen, dass dies einen Rahmen voraussetzt, in dem auch andere zur Ruhe kommen können.
„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ (Bonhoeffer).

Alles andere wäre Weltflucht und ein Verlust an Wirklichkeit.

Mag sein, dass wir Menschen das Ziel eines ruhigen und stillen Lebens vor Augen haben – Gottes Ziel aber ist ein anderes und es macht uns unruhig: Denn er „will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Einer  Wahrheit, die eben darin liegt, dass es nur einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen gibt, den Menschen Christus Jesus.

Das, liebe Gemeinde, war auch ein eminent politisches Bekenntnis, formuliert im Widerspruch zum offiziellen Staatskult.

Das Bekenntnis zu dem einen Gott, das jedem Anspruch anderer Menschen, Mächten und Machenschaften wehrt.

Im Kern geht es um das erste Gebot: „Ich bin der HERR dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“

Dieses Bekenntnis wäre heute in unserer Kultur neu zu entdecken in der medialen Inszenierung von Stars und Sternchen: Es ist nur ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Wie wir das heute am glaubwürdigsten Tun können?

Vielleicht nicht glaubwürdiger als so,
dass wir mit unseren Fehlern, unseren Schwächen,
unseren Sünden in Vergangenheit und Gegenwart
ehrlich umgehen und befreit,
als Menschen, die wissen,
dass das Heil nicht aus uns selber kommt,
nicht an unserem Tun und Lassen hängt,
nicht an Priestern und Bischöfinnen,
sondern an der Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

Die gilt es groß zu machen in einer gnadenlosen und unbarmherzigen Zeit, die oftmals Menschenunmögliches fordert.

In diesem Sinne wünsche ich mir eine Kirche,
die in der Wirklichkeit angekommen ist,
die maßvoll vom Menschen denkt und redet,
die weniger vollmundig den Besserwisser gibt,
die größeren Respekt zeigt vor den oft schwierigen Gewissensentscheidungen zum Beispiel der politisch Verantwortlichen und barmherzig umgehen kann mit Versagen und Schuld bei sich und anderen im Vertrauen auf den barmherzigen Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde.

Kommentare

  1. Hallo,
    ich hoffe ich werde nicht die einzige bleiben die hier sehr gerne einen Kommentar zur Predigt abgibt. Ich schreibe weil ich Sie in Ihrer Gemeindearbeit unterstützen möchte, denn ich denke dass sie das richtig gut machen. Da ich mich in der Predigt wieder Finden konnte und es aus der Realität kam. Es ist sehr erfrischend auf jemanden zu treffen, der es in dieser ruhelosen Welt schafft auch außerhalb der Familie eine Familie zu schaffen. Meine Familie und ich fühlen uns sehr wohl in unsere Kirche mit unserem Pfarrer und ich bin beruhigt wenn ich weiß, das meine Kinder in einer Gemeinde aufwachsen dessen Oberhaupt fähig ist, eine ganz objektive und unverfälschte Sicht der Dinge zu predigen. Bitte mehr davon.

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  2. Vielen Dank, Herr Pistorius,
    für diese Möglichkeit, an Ihren Gedanken teilzuhaben.
    Ihre Art, Christentum nach außen zu tragen, überzeugt mich, weil sie streitbar ist, aber nicht rechthaberisch. Eine ziemlich schwierige Gratwanderung, wie ich finde.
    Als ich Ihnen vor ein paar Tagen den Predigttext von Frau Käßmann und den Brief des Militärpfarrers in Kundus gegeben habe, wußten wir noch nichts von den ärgerlichen und blöden Ereignissen, die unsere Ratsvorsitzende wenig später zum Verzicht auf ihre Ämter bewegen sollten.
    Nein, Heilige brauchen wir nicht, weder als Politiker noch als Bischöfe. Und die Häme einiger Medien, gegen deren willkürlichen Rufmord mancher Gewaltherrscher geradezu menschlich erscheint, bräuchten wir noch weniger.
    Die Kernfrage ist doch, ob jemand, der danebengegriffen hat, noch überzeugen kann. Hätte Frau Käßmann eine Million in die Schweiz gebracht oder sich an einem Konfirmanden vergangen, könnte sie mich als Verkünderin des Glaubens nicht mehr überzeugen.
    Eine Fahrt mit 1,5 Promille -auch in der Fastenzeit- berührt ihre Glaubwürdigkeit in meinen Augen nicht wesentlich.
    (Und die Diskussion um Afghanistan etc fing doch gerade an, fruchtbar zu werden...)

    Mit herzlichem Gruß
    Jochen Sauvant

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  3. Lieber Dietmar!
    Nahezu wie aus alten Zeiten gewohnt - eine gute herausragende
    hervorstechende Predigt, die Dinge und Sachverhalte beim Namen nennt und auf
    den Punkt bringt. Ich wünschte, mir könnte das ähnlich gelingen - auf einem
    ganz anderen Ackerfeld.
    Liebe Grüße nach Troisdorf
    Michael (Seim)

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