Kirche sein im Wettbewerb

 

Predigt zu Epheser 6,10-20

am 21. Sonntag nach Trinitatis

in der Lutherkirche Bonn

Liebe Gemeinde,

als Predigttext habe ich Ihnen eine Text mitgebracht, der dringend gepredigt werden muss. Er braucht eine Einordnung, damit er nicht missverstanden wird zur Legitimation von Gewalt im Namen des Glaubens – ob von amerikanischen Evangelikalen nach einer möglichen Wahlniederlage Trumps, oder von rechtsnationalen Katholiken in Polen im Kampf gegen liberale Gesetze, oder von Christinnen und Christen gleich welcher Konfession, die sich angesichts eines islamistischen Terrors gerufen fühlen, den Kampf der Kulturen und Religionen auszurufen. Also bitte, hören Sie nicht nur den Predigttext, sondern auch die Predigt danach.

 

Ich lese Epheser 6,10-20:

Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.

Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und beschuht an den Füßen, bereit für das Evangelium des Friedens.

Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Betet allezeit mit allem Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit und Flehen für alle Heiligen und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen, dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss.

 

Liebe Gemeinde, die Spannungen sind ja unverkennbar:

Die Evangelikalen in Amerika protegieren einen Präsidenten, der weder fromm noch moralisch integer ist, weil er den Kampf gegen Linke und die verhassten Liberalen propagiert, die Gesetze zu verantworten haben, die Abtreibungen ermöglichen und Homosexuellen die Ehe gestatten. Sie finden ihr Echo in frommen Katholiken in Polen, die eine rechtsnationale Regierung anstacheln, mit brutaler Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorzugehen, die für Freiheit, sexuelle Diversität und liberale Gesetze auf die Straßen gehen.

Und bei uns gibt es eine unselig naive Allianz zwischen gutmeinenden Gegnern der Corona-Maßnahmen mit Rechtsradikalen, die sie mit Reichsflaggen und Nazisymbolen begleiten. Und so manch ein Corona-Gegner hat religiöse oder quasi-religiöse Überzeugung.

Es gibt, liebe Gemeinde, daran können wir nicht vorbeisehen, es gibt allerorten ein unseliges Bündnis zwischen Glaube und Gewalt, Wahrheitsanspruch und Unterdrückung.

Und Texte wie dieser Abschnitt des Epheserbriefes liefern dazu die Sprache, die Bildwelt und scheinbar auch die Legitimation.

Darum tut es not, dass wir uns gerade bei solchen Texten um ein Verstehen mühen, das nicht an der Oberfläche bleibt.

 

II.

Nur auf den ersten Blick weckt unser Predigttext die unangenehme Assoziation mit rechten Propagandisten, mit ihrer diffamierenden Bildsprache und dumpfe Ängste schürenden Wortwahl:

Wenn von „listigen Anschlägen des Teufels“ die Rede ist und, dass wir nicht mit Fleisch und Blut kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen…“, dann klingt das gefährlich nahe an der antisemitischen Propaganda des Nationalsozialismus, der antiislamischen Propaganda der AFD und den Verschwörungstheorien von Q-Anon und den schrillen Tönen der Trump-Fans in Amerika.

Denen allen fällt es leicht, die Macht des Bösen zu identifizieren. Für die einen ist es das „weltweite Judentum“, für die anderen ist es der „weltweite Islam“ oder viel kruder „Bill Gates“.

Was uns an dieser Stelle helfen kann, ist ein gründlicher Blick in die Geschichte.

Denn tatsächlich kann beim Schreiber des Epheserbriefes nicht von dumpfen Ängsten der Überfremdung die Rede sein, sondern von realen Machtverhältnissen, in denen das junge Christentum, bislang nicht anders verfasst als in einzelnen sich zum Gottesdienst versammelnden Gemeinden, sich wiederfand.

Machtverhältnissen, in denen das Christentum einer Großmacht begegnete, die sich nicht nur politisch, sondern auch religiös verstand und also einen totalitären Zugriff auf das Individuum praktizierte:

Gerade die zur Zeit der Abfassung des Epheserbriefes herrschenden römischen Kaiser aus dem Hause der Flavier hatten den Kaiserkult neu belebt und forderten die Verehrung ihrer Bilder.

Und sie fanden dafür viel Zuspruch gerade deshalb, weil sie als gute Herrscher erfolgreich regierten.

In dieser Konstellation der guten und erfolgreichen Herrschaft, die zugleich für sich die religiöse Verehrung beanspruchte, der man sich kaum entziehen konnte, die in der Bevölkerung eine breite Mehrheit fand, sieht der Epheserbrief die listigen Anschläge des Teufels.

Wie viel einfacher und plausibler wäre der Widerstand gewesen gegen schlechte und grausame Herren.

Nun aber sieht sich die kleine Minderheit der Christen vor die Herausforderung gestellt, das erste Gebot gegen die Macht der Mächtigen konsequent zu befolgen: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir…“

Und sie stilisieren diesen Widerstand zur öffentlichen Auseinandersetzung, zum Kampf, zu dem es real werden konnte, wenn denn Anklage erhoben würde.

Diese Situation haben die jungen Christen als Kampf verstanden, für den es sich zu wappnen galt.

Dabei verwendeten sie militärische Begriffe und übertrugen sie in einen anderen, in den theologischen Kontext. Man spricht in der Sprachwissenschaft bei diesem Vorgang gerne von „Annexionsmetaphern“.

Annektieren nennt man es, wenn Herrscher ein Territorium gewaltsam und widerrechtlich in ihren Besitz bringen. Putin die Krim zum Beispiel.

Während nun die römischen Kaiser Provinzen unterwarfen, annektierten die ersten Christen die Wörter der Macht. Vielleicht beginnt damit der Kampf gegen die bösen Mächte, dass man sie ihrer Herrschaft über die Wörter beraubt.

Die Verwendung der militärischen Sprache entspringt also einer konkreten historischen Situation.

 

III.

Und der Einblick in diese historische Situation verbietet uns als Christen in der Bundesrepublik Deutschland, in der für uns und andere die freie Meinungsäußerung und die freie Religionsausübung reale Grundrechte sind, den schnellen Brückenschlag.

Wir befinden uns nicht im Kampf mit bösen Mächten, sondern im Wettbewerb mit anderen, die sich der Fragen von Gott, Welt, Mensch und Glaube annehmen.

So gesehen wäre die Sprache des Sports eher eine Sprache, die unserer Situation angemessen wäre; ein Versuch:

„Zuletzt nun, zieht euch das Trikot Gottes über, damit ihr eine Chance habt in der Arena des Glaubens. Denn wir spielen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen ernstzunehmende Gedanken und Rituale, die ebenso wie ihr selbst mit dem Anspruch der Wahrheit auftreten.

Darum trainiert fleißig, damit ihr mitspielen könnt und Euch auf dem Feld behaupten könnt…

Zieht Euch die Schienbeinschoner der Wahrheit an, denn wer Wahrheit redet, muss mit Missfallen rechnen. Schützt Euch mit Gerechtigkeit, denn an ihr misst man eure Glaubwürdigkeit. Tragt festes Schuhwerk, damit ihr eintreten könnt für das Evangelium des Friedens. Vor allem aber gönnt Euch den Energy-Drink des Glaubens, damit euch nicht die Kraft ausgeht…“

Liebe Gemeinde, wenn wir uns mit anderen Religionen und Kulturen befassen, kämpfen wir nicht gegen das Böse. Wenn wir uns mit anderen Überzeugungen und Meinungen befassen, kämpfen wir nicht gegen das Böse.

Das Böse ist eher – und da weiß ich viel christliche Tradition auf meiner Seite, das Böse ist vielmehr die dumpfe und diffuse Angst im Leben, auch die Angst vor dem Anderen und Fremden.

Nochmal: wenn wir uns mit anderen Religionen befassen, wenn wir uns mit anderen Meinungen und Überzeugungen auseinandersetzen, kämpfen wir nicht gegen das Böse, wir stehen aber im Wettbewerb.

Im Feld des Religiösen übrigens nicht nur mit dem Islam, sondern ebenso mit vielen freien und esoterischen religiösen Angeboten und mit einer breiten Bewegung eines ernst zu nehmenden Atheismus und dann auch viel Gleichgültigkeit. Immerhin ist die größte weltanschauliche Gruppe in Deutschlang mittlerweile die der Konfessionslosen.

Wir können für diese Situation vielleicht lernen von den frühen Christen. Denn in solchen Konkurrenz-Situationen ist das Christentum entstanden. In einer vergleichsweise globalisierten Welt, in der ein völlig unübersichtlicher Markt an religiösen Möglichkeiten existierte, hat das Christentum seine Kraft entfaltet.

Das Eintreten für den Glauben, die Ausbreitung des Evangeliums, die Mission, sie gehören zum Wesen des Christentums.

Mag sein, dass wir dies in der komfortablen Mehrheitssituation, in der wir uns befanden, vergessen haben, und daher viele so irritiert, hilflos, manche aggressiv reagieren, wenn sie damit konfrontiert werden, dass es außer uns noch anderes gibt.

Uns hilft es aber nicht, den Kampf auszurufen. Vielmehr müssen wir uns dem Wettbewerb stellen.

Und mir will scheinen, am besten mit den Mitteln, die auch der Epheserbrief in seiner Zeit für tauglich hielt: Wahrheit, Gerechtigkeit, Bereitschaft, einzustehen für das Evangelium des Friedens, Glauben, Heil, Gottes Geist in seinem Wort, Gebet und Freimut. Das kommt mehrfach vor: „Freimut“!

Parrhessia: Das freie Auftreten in der Welt und Einstehen für das Evangelium.

Nicht in einer Ausgrenzung der anderen kann unser Weg liegen, sondern darin, uns des eigenen gewisser zu werden und es zu vertreten.

Dann wird es nicht schwerfallen, ins Gespräch zu treten: Zu entdecken, dass wir mit anderen zum Beispiel die Wahrheit teilen, dass es nur einen Gott gibt, aber darin uns unterscheiden, dass unsere Wahrheit sagt: Und dieser eine Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden.

Dann wird es uns nicht schwerfallen, über Gerechtigkeit zu diskutieren, und zu entdecken, dass wir in der Frage der Armenfürsorge nahe beieinander sind, dass wir aber in der Frage von Recht und Gesetz eine Aufklärung durchlaufen haben, die die Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Menschenrechte über die Geltung archaischer Rechtsnormen gestellt hat, selbst wenn diese in heiligen Schriften überliefert sind, und dass wir dies einfordern, wo immer ein anderes Recht zur Anwendung kommt.

Dann wird es uns nicht schwerfallen, mit anderen ins Gespräch darüber zu kommen, was Frieden schaffen kann.

Und in aller Unsicherheit, in die immer geraten wird, wer sich ernsthaft ins Gespräch mit anders Glaubenden begibt, den eigenen Glauben, das Wort Gottes und das Gebet als das zu entdecken, was mich hält und trägt.

Wo wir freimütig das Geheimnis des Evangeliums ins Gespräch bringen, müssen wir den Glauben der anderen nicht fürchten.

Amen.

 

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