Freue Dich Zion!
Predigt zu Sacharja 2,14-17
in der Christvesper in der Johanneskirche
in der Christvesper in der Johanneskirche
Die Wirtschaft steht am Abgrund. Die
Handelsbeziehungen sind gestört. Die Produktion lahmt, nicht zuletzt, weil
Fachkräfte rar sind. Dazu die gesellschaftlichen Verwerfungen zwischen jenen,
die schon immer im Lande lebten und solchen, die mit ihrer durchaus eigenen
Kultur dazukommen und nichts weniger sein wollen, als ein Teil des Ganzen. Die
Spannungen lassen Radikale das Wort ergreifen und die Macht anstreben. Der
wahlweise Untergangs- oder Heilspropheten sind viele.
Liebe Gemeinde, auch wenn es so klingt:
Ich rede nicht von Deutschland am Ende des Jahres 2019, sondern von Jerusalem
um das Jahr 520 vor Christi Geburt.
Eigentlich wären Hoffnung und Freude
angesagt gewesen. In Persien hatte vor rund 20 Jahren mit einem neuen König
eine neue Politik begonnen. Kyros schlug andere Töne an und gestaltete eine
neue Politik und seine Nachfolger setzten sie fort: Hatten seine Vorgänger in
Jerusalem verheerend gewirkt, den Tempel zerstört, die Mauern geschleift, die
Oberschicht nach Babel deportiert, so setzt Kyros auf Ausgleich und Versöhnung
als Basis der Macht: Die Verschleppten dürfen zurück, die heiligen Geräte
werden zurückgebracht und der Tempel in Jerusalem soll wieder aufgebaut werden.
Aber solche Wendungen der Geschichte,
liebe Gemeinde, das wissen wir ja 30 Jahre nach dem Fall der Mauer nur zu gut,
haben auch ihre Tücken.
War die „Wiedervereinigung
Deutschlands“ ein stets wiederholter Topos westdeutscher Sonntagsreden, so
begegnete der Westen dem Fall der Mauer mit Ängsten und
Besitzstandsverteidigung.
Der damalige regierende Bürgermeister
von Berlin, Walter Momper, saß am Abend des 9. November sichtlich angespannt im
Fernsehstudio und rief auf zu Freundlichkeit, Toleranz und Willkommen gegenüber
den Volksgenossen aus dem Osten – und anzumerken ist ihm, wie sehr er darum
wusste, dass noch lange nicht jeder Westberliner über den Fall der Mauer
erfreut sein würde.
Teilungen überwinden, davon ist
leicht reden, es zu leben, ist schwer.
Noch 30 Jahre danach sind die Löhne
und Gehälter, die Arbeitsplätze und Aufstiegschancen, die Infrastruktur und die
Wirtschaftskraft, die Gesundheitsversorgung und die Renten in Deutschland Ost
und West nicht angeglichen, ist die Mauer, die äußerlich längst niedergerissen
ist, unsichtbar wirksam.
Viele Wählerinnen und Wähler im Osten
danken es mit einem Abschied von der Demokratie, um die sie einst gerungen
haben. Und tun darin nicht anders, als etliche Westdeutsche, die sich abgehängt
und unverstanden fühlen.
Ganz ähnlich in Jerusalem der
damaligen Zeit. Die, die im Land geblieben waren, die Altjudäer, haben keine
Lust auf jene, die jetzt zurückkehren von den Flüssen Babylons – 42000 sollen
es gewesen sein. Ihre Tränen um Jerusalem in der Ferne werden nicht getrocknet
durch ein herzliches Willkommen in der verlorenen Heimat.
In diese aufgeladene Situation hinein
tritt – wahrscheinlich nur für ganz kurze Zeit, ein paar Monate nur – der
Prophet Sacharja mit einer Botschaft, die das Elend in Freude verwandeln soll.
Im Namen Gottes spricht und ruft er:
„Freue
dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir
wohnen, spricht der HERR. Und es sollen zu der Zeit
viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei
dir wohnen. – Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt
hat. – Und der HERR wird Juda in Besitz
nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder
erwählen. Alles Fleisch sei stille vor
dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte!“
Liebe
Gemeinde, für mich verbindet sich mit diesem Text – wenn ich ihn denn
hindurchlese durch die Geschichte Gottes mit uns Menschen von Sacharja über
Jesus bis zu uns heute, für mich verbindet sich ein dreifacher
Perspektivwechsel auf uns und unsere Geschichte, zu dem ich Sie – angesichts
unserer Krise heute – einladen möchte.
Der
erste Perspektivwechsel:
„Siehe,
ich komme und will bei Dir wohnen“!
Sacharja
spricht das Volk an, das einen Tempel errichten will als Wohnort Gottes in der
Welt. Wenn der Tempel erst mal steht, dann wird Gott wieder unter uns wohnen.
Die
Botschaft des Sacharja bekräftigt das Ziel und verknüpft es mit der großen
Verheißung: Ja, der Tempel soll und wird gebaut werden und Gott wird bei Euch
wohnen.
Und
dann haben sie einen Tempel gebaut und gemeint, nun wäre alles gut und Heil und
Frieden müssten sein. Doch der Tempel wurde wieder und wieder zerstört, das
Volk wieder und wieder mit Krieg überzogen und zerstreut. Synagogen wurden
verbrannt und Kirchen zerstört.
Die
Erfahrung aber blieb, dass in all dem, was Menschen erlitten und erleiden, Gott
dennoch unter ihnen wohnt.
Nicht
in Tempeln und Synagogen, Domen und Kirchen, ja auch nicht in der Krippe: Gott
wird Mensch, das ist die Botschaft.
Gott
wohnt als Mensch unter Menschen: Als Kind in der Krippe, als Obdachloser, der
keinen Ort hat, da er sein Haupt hinlegen kann, als Hungriger unter Hungrigen
und Arzt unter Kranken; als Gefangener, Gefolterter, Gekreuzigter.
Der jüdische
Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel – Inhaftierter in Auschwitz– sah ihn gar
auf dem Appellhof, in einem jungen Mann am Galgen. „Wo ist Gott?“ fragte der
Mitgefangene: „Dort“, sagte Wiesel und zeigte auf den Mann am Pfahl: „Dort!“
Liebe
Gemeinde, das ist der erste Perspektivwechsel zu dem ich Sie einladen möchte:
Gott spricht: Ich will unter ihnen wohnen!
Eigentlich
müsste davon eine radikale Verunsicherung ausgehen, die uns anspornt zur
bedingungslosen Menschenfreundlichkeit. Gott kommt als ungebetener Gast, zu
Zeit und Ort und Stunde, die ich nicht kenne und weiß. Es könnte sein, dass er
kommt im Menschen mir zur Seite.
Der
zweite Perspektivwechsel:
„Und
es sollen in der Zeit viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk
sein und ich will bei Ihnen wohnen.“
Liebe
Gemeinde, schon zu Sacharjas Zeiten ein ungeheurer Satz.
Und
damit uns das Ungeheuerliche darin deutlich wird, erlaube ich mir, den Satz zu
verkürzen: „Und es sollen in der Zeit viele Völker… mein Volk sein“.
„Viele
Völker … sollen mein Volk sein!“
Es
mögen bei Sacharja noch Großmachtsphantasien gewesen sein, dass einmal viele
Völker sich zum Gott Israels halten. Aber schon Sacharja träumt diesen Traum
nicht mehr mit Rossen und Wagen: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern
durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth“ (Sach. 4 ,6) sagt der
Prophet wenig später.
„Viele
Völker sollen mein Volk sein“ – Nicht durch Unterwerfung und Mission mit dem
Schwert, sondern weil Menschen Erfahrungen machen mit dem Gott Israels und dem
Glauben und der Liebe und der Hoffnung der Menschen, die ihm nachfolgen.
Die
Geschichte hat Sacharja immerhin darin recht gegeben, dass der Glauben an den
einen Gott Einzug hielt in viele Völker: Das Zeichen in der Weihnachtsgeschichte
dafür sind die Weisen aus dem Morgenland. Keine Volksgenossen kommen da, wohl
aber kluge Menschen, die eine Ahnung haben davon, dass Gottes Liebe keine
Grenze findet an Nation, Geschlecht, Rasse, sozialem Stand, sexueller
Orientierung.
Und
der Jude Paulus zog später durch die damals bekannte Welt, um ihr das
Evangelium zu verkündigen, dass ein jeder und eine jede dazugehören kann zu
Gottes Volk um Jesu Christi willen.
Leider
aber haben wir Christinnen und Christen in unserer Geschichte viel zu häufig
nicht wahrhaben wollen, dass aus den vielen Völkern das eine Gottesvolk
geworden ist und nicht wir allein dieses Gottesvolk sind, sondern dass wir nur
die Dazugekommen sind, dass die Wurzel des Volkes Israel uns trägt und nicht
anders.
Wenn
in diesen Zeiten in unserem Land der Antisemitismus wiederauflebt und hoffähig
wird, wenn von Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land gesprochen wird, als
gehörten Sie nicht dazu, wenn dann gar – wie in Halle – wieder versucht wird,
Jüdinnen und Juden zu ermorden, dann aber muss von Menschen, die die Bibel
lesen, heute ein deutliches „Nein“ zu hören sein.
„Viele
Völker sollen mein Volk sein!“
All
jenen, die sich abgrenzen und abschotten wollen, die das Völkische betonen und
von Erhalt der Identität und von der Auslöschung des eigenen Volkes durch Einwanderung
schwafeln, wird mit diesen Sätzen deutlich abgesprochen, für diese verkehrte
Ideologie den jüdisch-christlichen Glauben zu missbrauchen: Viele Völker werden
mein Volk sein.
Und der dritte Perspektivwechsel?
„Freue dich und sei fröhlich,
Jerusalem!“
Liebe Gemeinde, die Lage ist ernst,
aber der Prophet ruft zur Freude.
Wer die Geschichten des Glaubens hört
und liest, dem wird es immer wieder begegnen, dass der Glaube dem, was
scheinbar die Lage ist, ein anderes entgegensetzt.
Die Macht des Glaubens ist subversiv,
rebellisch und umstürzlerisch: Wo Menschen die Herrschaft beanspruchen, bekennt
sich der Glaube zu Gottes Macht, die in der Ohnmacht mächtig wird. Wo Menschen
die Hoffnung verlieren, spricht der Glaube von einer Zukunft, die kommt. Wo
Menschen am Ernst der Lage verzweifeln, spricht der Glaube von der Freude.
Nicht um den Dreck der Zeit unter den
Teppich der Geschichte zu kehren und die Wirklichkeit zu ignorieren. Wohl aber
um ihr die scheinbar alles bestimmende Macht zu rauben.
Damit es anders wird unter uns und
mit uns, darum nicht verzweifeln und nicht resignieren, sondern dem Wunder, wie
einem Vogel, leise, die Hand hinhalten.
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