Spiel's nochmal, Sam...
Predigt zu 1. Korinther, 7,29-32a
Liebe Gemeinde, damit wir etwas erfahren von unserer Freiheit
in der Zeit und von der Zeit und unsere Sorge ihren Ort finde und ihre Grenze,
darum hören wir heute aus dem 1. Korinther 7,29-32:
Das sage ich aber, liebe Geschwister:
Die Zeit ist kurz.
Darum sollen die, die Frauen haben,
sein, als hätten sie keine;
und die weinen, als weinten sie
nicht;
und die sich freuen, als freuten sie
sich nicht;
und die kaufen, als behielten sie es
nicht;
und die diese Welt gebrauchen, als
brauchten sie sie nicht.
Denn das Wesen dieser Welt vergeht.
Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge
seid.
I.
„Man müsste“, liebe Gemeinde, „Klavier spielen können...“.
Als Prediger mein‘ ich. „Man müsste Klavier spielen
können...“, dann ginge vieles einfacher. Wie leicht doch gelingt es den
Musikerinnen und Musikern die Menschen dort zu erreichen, wo ich sie zu treffen
mich als Prediger so oft vergeblich mühe: Im Herzen nämlich und nicht nur im
Verstand.
„Man müsste Klavier spielen können...“ und das vielleicht
gerade bei einem solchen Text: wenig anschaulich, schwer zu verstehen, mit
seinem Hin- und Her von Sein und Sein-als-wäre-man-nicht, und Haben und Haben-
als-hätte-man-nicht.
„Man müsste Klavier spielen können...“
So aber geht es mir mit unserem Text … betrachte ihn hilflos wie
die Dichterin Else Lasker-Schüler ihr blaues Klavier,:
„Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkeln der Kellertür,
seitdem die Welt verrohte.
Zerbrochen ist die Klaviatür…
ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir
- ich aß vom bittern Brote –
mir lebend schon die Himmelstür –
auch wider dem Verbote.“
Vielleicht gelingt es uns doch mit Hilfe der Engel,
wenigstens die Noten lesen zu lernen, die Partitur zu entziffern.
I.
„Die Zeit ist kurz!“
Das ist der Auftakt. Forte. Wie ein
Paukenschlag! „Die Zeit ist kurz.“
Davon, liebe Gemeinde, verstehen wir
wenigstens ein Lied zu singen. Ein Herbstlied zum Beispiel:
Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder
und der Herbst beginnt.
Wieder ist’s Oktober, golden noch,
doch leise schon ankündend die Zeit, da es ungemütlich wird, Regen und Wind die
Blätter von den Bäumen wehen und ich nicht anders kann, als melancholisch zu
werden über die Vergänglichkeit, die ich ja seh in den Gesichtern der Alten und
spür, hie und da, wenn’s schmerzt im Kreuz.
Die Zeit verrinnt und das Leben
vergeht.
Die Zeit ist kurz, das ist auch die
Erfahrung unseres Alltags. Zwar verringert sich Zeit unserer Erwerbsarbeit,
aber die Arbeit wird ja nicht weniger.
Kommt hinzu, dass die verbleibende
Zeit, in der ein Mensch sich und seine Zeit nicht verkauft hat, zunehmend von
Arbeit beherrscht wird. Und das gilt ja selbst für die unter uns, die nicht
oder nicht mehr erwerbstätig sind.
Den Alltag zu organisieren wird immer
schwieriger: Einkauf, Haushalt, Kinder, Ämter und Behörden, soziale
Verpflichtungen und noch ein bisschen Freizeit.
In der ist dann Kurzweil angesagt. Im
wahrsten Sinne des Wortes. Kurz nur verweilen: „Hopping“ nennen das die
Soziologen. Das Hopsen, zum Beispiel der jungen Leute am Wochenende zwischen
Party, Video, Disco, Kino. Just for fun und bitte abwechslungsreich.
Nur nicht verweilen – Zeitvertreib.
Wunderliches Wort: Die Zeit vertreiben!
Sie zu halten wäre das Problem.
Denn wen ängstigt‘s nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem?
II.
„Die Zeit ist kurz“. Paulus variiert
das Thema gegen Ende unseres Textes. Er untermalt unsere Erfahrungen mit neuen
Klängen, setzt einen Kontrapunkt: „Die Zeit ist kurz“ – „Denn das Wesen dieser
Welt vergeht“.
Es sind österliche Klänge, mit denen
er unsere Erfahrung der verrinnenden, der rasenden Zeit untermalt. Gottes neue
Welt beginnt.
Jesus wird wiederkommen, die
Herrschaft der Welt übernehmen. Die Toten werden auferstehen und die Lebenden
verwandelt werden und Gott wird sein alles in allem. Und das wird bald
geschehen. Darum ist die Zeit kurz.
In dieser Überzeugung ist der Apostel
später selbst unsicher geworden. Die Zeit wurde lang. Und die Christenheit
brauchte eine Weile, bis sie darin Gottes Geduld und Langmut erkannte und die
Treue zu dem Bund mit seiner Schöpfung und seinem Volk Israel.
Und dennoch bleibt die Aussage im
Grunde bestehen: „Das Wesen dieser Welt vergeht.“ – Und Gottes neue Welt ist
angebrochen. Dem Tod ist die Spitze gebrochen. Die Vergänglichkeit ist nicht
das Maß aller Dinge. Ewigkeit bricht ein in die Zeit.
Da ändert sich das Tempo. Aus dem presto,
das unser Leben presste, wird breitestes Largo.
Wo die Vergänglichkeit uns in ihren
scheinbar unwiderstehlichen Sog gerissen hatte, wird plötzlich Bleiben. Wo Hast
und Zwang gewesen sind, wird Ruhe. Sabbat wird’s, Ouvertüre der guten, neuen
Zeit.
Der Sabbat und der Sonntag sind’s,
der Ruhe- und der Auferstehungstag, an denen sich Gottes neue Welt beispielhaft
erfahrbar macht. Zur Ruhe gegeben. Zur Freiheit gegeben.
Den Sabbat halten, Sonntag feiern,
das heißt etwas von Gottes neuer Welt beispielhaft erfahren: Wo Knechte frei
werden, Sohn und Tochter gleichermaßen ruhen dürfen wie die ganze Schöpfung zur
Ruhe kommt und mit ihr der Mensch sich neu verstehen lernt in der Zeit.
Wo wir unsere Zeit verstehen lernen
in Gottes Zeit, die keine Grenze hat, auch nicht den Tod, die nicht rast und
rennt, sondern ewig ist und geduldig, da wird das Leben sabbatlich,
sonntäglich.
III.
Und der Mensch frei von aller
Gebundenheit.
Paulus komponiert das beispielhaft
durch für viele Stimmen:
„Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein als hätten sie keine;
und die weinen, als weinten sie nicht,
und die sich freuen, als freuten sie sich nicht,
und die kaufen, als behielten sie es nicht,
und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.“
Im Grunde geht es jeweils nur um das
eine: um Freiheit in der Zeit und in der Welt.
Mal durchkomponiert für die
menschlichen Beziehungen: Wer verheiratet ist, soll nicht zur Unfreiheit
gebunden sein.
Dann komponiert für die Stimmen, die
in uns klingen, für unsere Gefühle: Dass ein Mensch weint und dass er sich
freut, das gehört zum Menschsein in dieser Welt dazu. Aber wer traurig ist,
wird nicht in Schwermut versinken müssen und wer sich freut, muss seine Freude
nicht krampfhaft aufrecht zu erhalten versuche.
Und schließlich klingt es an im Blick
auf unseren Besitz und unseren Bezug zur Welt: Du treibst Handel, kaufst und
verkaufst, aber Du wirst nicht beherrscht von dem, was du besitzt oder besitzen
möchtest.
Allemal ist der Grundgedanke der, in
der Welt zu leben, in meinen Beziehungen zu leben, in meiner Gefühlswelt zu
leben, aber nie davon beherrscht zu werden. Gebunden zu sein, aber nie zur
Unfreiheit. Verantwortung zu tragen, aber daran nie zu zerbrechen. Zugewandt
sein, aber nie vor Sorge zu verzweifeln.
IV.
Am Ende unserer Partitur, liebe
Gemeinde steht ein „da capo“ ein von Vorne: „Ich möchte aber, dass ihr ohne
Sorge seid.“ Da wird er plötzlich wieder persönlich, der Apostel, spricht uns
an, uns, denen die Zeit unter den Händen zerrinnt: Ich möchte aber, dass ihr
ohne Sorge seid, ihr, die ihr in den Zwängen der Welt lebt. Ich möchte, dass
ihr ohne Sorge seid.
Darum, spiels nachmal Sam… fang von
vorne an, Greif in die Tasten, spielt es durch mit deinem Leben, komponier es
für deine Zeit, übe es ein in deiner Welt. Führ es auf, spiel es anderen vor:
Ohne Sorge! Und zwar lebhaft: Da capo!
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