Freiheit braucht Grenzen
Predigt zum Sonntag Invokavit am 5.3.2917 in der Johanneskirche
Die
Geschichte vom Sündenfall also, liebe Gemeinde, gilt es heute zu erzählen und
zu predigen, jene
Geschichte, wie man uns erzählte, in der „das Weib“, die „alte Schlange“, den
Mann verführte, - vielleicht durften Frauen deshalb bis ins letzte Jahrhundert
hinein bei uns nicht Pfarrerin und in der katholischen Kirche bis heute nicht
Priesterinnen werden –
Strafe für
das „Weib“, das ihren Mann verführt - mit einem Apfel, lüstern anzusehen,
weshalb alle Lüsternheit und Lust von Übel ist und uns im Halse steckenbleibt,
wenn wir denn davon reden müssten, dass wir sie empfinden, die Lust:
Und dann
hüpft der Adamsapfel im Hals und du druckst herum und versuchst
hinunterzuschlucken, was doch heraus gehörte und gesagt zu dem geliebten Weibe.
Nein, über
die Lust, darüber spricht man nicht, es sei denn öffentlich vor laufenden
Kameras, oder über die Lust der anderen.
Doch im
Allgemeinen und in der Kirche im Besonderen ist die Lust tabu, denn „durch
Adams Fall ist ganz verderbt, menschlich Natur und Wesen“, EKG 243, Gott sei
Dank, das Lied fehlt im neuen Gesangbuch - „Erbsünde“ hat die alte Dogmatik
gesagt und in ihrer katholischen Variante die vererbte Sünde ans Fleisch
gebunden.
Ihr merkt,
liebe Gemeinde, in diesem Jahr beginnt die Passion mit der Leidensgeschichte
eines Textes. Vielleicht gibt es kaum einen zweiten biblischen Text, der von
solcher Wirkung gewesen ist, wie jene Geschichte, und kaum einen zweiten Text,
an dem Moral so zum Mythos wurde, wie unser Text. Es macht darum Leid, es macht
aber auch Freud, diesen Text zu bedenken. Hören wir hin, ich fang etwas vorher
an:
Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der
Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch
ein lebendiges Wesen. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen
Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der
HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut
zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis
des Guten und Bösen. Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu
bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme…Und Gott der HERR machte aus
Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel…Da ließ
Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein.
Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der
HERR baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte
sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Dies ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch
von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen
ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner
Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackt, der
Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht…
Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem
Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott
gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2 Da sprach die
Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von
den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon,
rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur
Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage,
da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und
wissen, was gut und böse ist. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen
wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug
machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr
war, auch davon und er aß.
Seht liebe
Gemeinde, das sind wohl noch paradiesische Zeiten, an denen man den Tag noch vor dem Abend loben kann und muss, den
Tag vor jenem Abend, an dem es kühle ward und sich der HERR im Garten Eden
erging.
Paradies, liebe
Gemeinde, wer nicht gleich ein Kunstwerk vergangener Tage vor Augen hat – der
müsste wohl die Augen zumachen und die Herzen auf, damit er eine Ahnung bekommt
von jenem Garten „Eden“ - „Wonne“ heißt das und reimt sich auf Sonne.
Ein Platz
an der Sonne stell ich mir vor an diesen grauen Tagen, voll Blumen und Bäumen
und Blüten und Früchten und Schmetterlingen. Tiere sehe ich vor meinem
Herzauge, in Frieden vereint: Da wohnen die Wölfe bei den Lämmern und die
Panther lagern sich bei den Böcken, Kühe und Bären weiden zusammen und ein
Säugling spielt fröhlich am Loch der Otter (Jesaja 11).
Ja, auch
der Mensch ist dabei, lebt von der Hand in den Mund, nicht aus Not, sondern aus
Gewissheit, dass auch der morgige Tag genug zum Leben habe. Und der Mann
herrscht noch nicht über seine Frau, sondern staunt über sie mit lautem „Ah“:
So wird aus dem hebräischen „isch“, der Mann, „ischah“, die Frau - „Mann“ und
„Männin“ hat Luther das Wortspiel unbeholfen nachzuahmen versucht, was wenig
ahnen lässt von der Freiheit der Beiden im Garten.
Ja, in
Freiheit leben die Beiden. Doch weil Gott, weil er ein guter Vater ist, weiß,
wie es jeder gute Vater weiß, dass man keine Freiheit gewährt, wenn man alle
Freiheit lässt, setzt er der Freiheit eine Grenze und spricht: „Du darfst essen
von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des
Bösen sollst du nicht essen.“ (1. Mose 2,16)
Jede
Freiheit, liebe Gemeinde, bewährt sich an der Grenze. Sie ist, soll sie
Freiheit bleiben, immer nur begrenzte Freiheit, ein wenn auch weit umzäunter
Raum, den wir zu bebauen und zu bewahren haben (1. Mose 2,15).
Jede
Freiheit findet ihre natürliche Grenze an der Freiheit anderer. Dass „Freiheit
immer die Freiheit des anderen ist“, hat nicht erst Rosa Luxemburg entdeckt.
Das ist die Grundlage allen Rechtes.
Was aber
ist die Freiheit? Das Recht darauf, Subjekt zu sein, das Recht darauf, sein
Person-Sein frei zu wählen und zu leben: egal in welcher Religion oder mit
welcher Art der Sexualität, das Recht darauf „Ich“ zu sagen und anders zu sein
als andere.
Das
Bundesverfassungsgericht versteht die „Würde des Menschen“ in diesem Sinne.
Würde und Freiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Ihre Unantastbarkeit
garantiert die Freiheit des einzelnen, sie begrenzt sie aber auch. Wo die Würde
des Menschen verletzt wird, hat die Freiheit ihre Grenze.
Darum ist
es recht, wenn wir als Bürgerinnen und Bürger aufstehen gegen Rechtsradikale in
unserem Land, wenn wir uns empören, wo Menschen sich zynisch darüber äußern,
dass wir in unserem Land die Erinnerung wach halten an die millionenfache Entwürdigung,
Freiheitsberaubung und Ermordung von Menschen in unserem Land. Darum ist es recht,
wenn wir Grenzen setzen gegen politische Entwürfe, die Menschen anderer
Herkunft, anderer Kultur, anderer Religion ihre Würde absprechen.
Die Würde
des Menschen, für uns Christenmenschen ist sie mehr als eine subjektive Größe.
Für uns ergibt sie sich daraus, Ebenbild Gottes zu sein. Wo die Würde des
Menschen verletzt wird, da wird Gott selbst verletzt. An Gottes Gottsein findet
alle Freiheit ihre Grenze.
Darum, ihr
Lieben, ist es recht, wenn wir nicht nur als Bürgerinnen und Bürger aufstehen,
sondern bewusst und bekennend als Christinnen und Christen.
Die
Freiheit des Menschen findet an der Würde des Mitmenschen ihre Grenze.
Wir sehen aber,
liebe Gemeinde, wie bis heute diese Begrenzung der Freiheit im Widerspruch
steht zur Selbstinszenierung des Menschen und wie wir Menschen bis heute
versucht sind, diese Grenze unserer Freiheit nicht zu akzeptieren.
Unsere
Geschichte ist darum eine Urgeschichte, nicht weil sie beansprucht eine
historische, sondern eine urtypische Geschichte für den Menschen zu erzählen.
Der Mensch
ist versucht, die Grenze seiner Freiheit nicht zu akzeptieren. Sie erscheint
ihm als Gefängnis, aus dem er ausbrechen, als Knechtschaft, von der er sich
loskämpfen muss.
Das macht
es den Populisten so leicht, diese Behauptung, man müsse sich seine Freiheit
erkämpfen, gegen die da oben, gegen das Establishment, gegen …
Die
Übertreibung ist dabei nicht nur rhetorisches Stilmittel des Populismus,
sondern das Mittel der Versuchung seit alters her.
Tut doch
die Schlange in ihrer Frage so, als hätte Gott verboten, von allen Bäumen zu
essen. Kein Wunder also: Wo sich die Grenze unserer Freiheit für uns in
scheinbare Unfreiheit verkehrt, da sind wir leicht zu versuchen, da schützt
auch kein Gewissen:
Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre
und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.
Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch
davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden
gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten
sich Schurze. Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag
kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht
Gottes des HERRN zwischen den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und
sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und
fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach:
Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem
ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Die Frau, die du
mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. Da sprach Gott der HERR
zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich,
sodass ich aß.
Seht, liebe
Gemeinde, das Gewissen, das kennt der Mensch ja nur als schlechtes Gewissen.
Weshalb er unruhig ist, kein sanftes Ruhekissen hat, sondern unstet und
flüchtig unter Büschen und Bäumen sich verkriecht, weil das Gewissen ihn plagt.
Und dann
fängt er an, sich zu verteidigen, die Schuld auf andere zu schieben, um
loszukommen von der Schuld, die ihn plagt. Weil das Gewissen uns dazu treibt,
uns selbst zu rechtfertigen, war es für Luther eher ein Werkzeug des Teufels
als Gottes.
Gottes Ruf
aber ist ein anderer als der des Gewissens: „Adam, wo bist du?“ Da bist du
gerufen, herausgerufen unter den Büschen, unter denen du dich mit deiner Schuld
verkrümeln willst, herausgefordert, ins Angesicht Gottes zu treten.
„Mensch, wo
bist du“ - unter all deinen Selbstanklagen, deinem Schuldbewusstsein, deinem
Versagen: „Wo bist du?“
Das
Gewissen verklagt, Gott aber sucht den Menschen, behandelt ihn in Würde und
lässt ihm die Freiheit auch im Gericht. Adam kann Gott frei und in Würde
gegenübertreten: Keine Kapuze über dem Kopf nimmt ihm die Sicht, keine
Handschellen binden seine Hände, kein Klebeband verbindet ihm den Mund und kein
Foto dokumentiert zynisch seine Demütigung, der Schurz aus Feigenblättern wird
ihm gelassen. So anders als der Umgang der mächtigen Sieger im Namen der
Freiheit ist Gottes Umgang mit dem schuldigen Menschen.
Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das
getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde.
Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. Und ich
will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und
ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse
stechen.
Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal
schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und
dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum
Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von
dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –,
verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm
nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das
Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot
essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du
und zum Staub kehrst du zurück.
Gottes
Gericht kennt die Strafe. Wir brauchen uns nur noch einmal unsere
paradiesischen Vorstellungen in Erinnerung zu rufen, um zu ermessen, wie schwer
die Strafe wiegt. Wo die Freiheit verletzt wird, da ist das Paradies verloren:
Der Knabe spielt nicht mehr am Loch der Otter, denn Feindschaft herrscht
zwischen Mensch und Tier; der Mann staunt nicht mehr über seine Frau, sondern
spielt sich zum Herrscher auf - Haben die Herren des Patriarchats denn nie
begriffen, dass Männerherrschaft ein Fluch ist und kein Segen? - und Mühe und
Plage prägen das Leben, bis du zu Erde werdest, von der du genommen bist.
„Der Tod
ist der Sünde Sold“ - schreibt Paulus. Aber er schreibt noch mehr: Er spricht
von Christus als dem zweiten Adam und schreibt:
„Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über
alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für
alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt“ (Röm 5,
18). Und an anderer Stelle (1. Kor 15, 21-22) „Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch
einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben,
so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.“
Dass Du zur
Erde wirst, von der Du genommen bist, ist nicht das Ende. Die Verwesung ist nur
ein Durchgangsstadium zur Neuschöpfung Gottes, die in der Auferstehung Jesu
Christi begonnen hat.
Mit ihm
beginnt das neue Paradies, jenes schöne mit den Schmetterlingen. Die gelten
wegen ihrer Metamorphose von der Raupe durch den Kokon zum Schmetterling als
Symbol der Auferstehung.
Vielleicht denken
Sie daran, wenn Sie in Zukunft einen Schmetterling sehen. Der grüßt Dich
freundlich aus dem Paradies, muntert unsere geplagten Gewissen auf, hier,
jenseits von Eden.
Hier,
jenseits von Eden, wo wir es sind, die den neuen Menschen anziehen, die Gottes
neue Welt anfänglich leben, unter denen nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht
noch Freier, nicht Mann noch Frau mehr gilt, weil wir eines sind in Christus
Jesus, unserem Herrn.
Amen.
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