Wen sucht ihr?

Predigt zu Johannes 18,4-9

Da nun Jesus alles wusste, was ihm begegnen sollte, ging er hinaus und sprach zu ihnen: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazareth. Er spricht zu ihnen: Ich bin's! Judas aber, der ihn verriet, stand auch bei ihnen. Als nun Jesus zu ihnen sagte: Ich bin's!, wichen sie zurück und fielen zu Boden. Da fragte er sie abermals: Wen sucht ihr? Sie aber sprachen: Jesus von Nazareth. Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich es bin. Sucht ihr mich, so lasst diese gehen!

Liebe Gemeinde, wen sucht ihr?

Der Evangelist Johannes spricht seine eigene Sprache in der Erzählung des Lebens und Leidens Jesu. Eine, die uns manches Mal tief im Inneren trifft. Wenn er wie kein zweiter von der „Liebe“ spricht und dem „Leben“ und dem „Licht“ und der „Wahrheit“.

Und damit zugleich ja von unserer Sehnsucht und unser Hoffnung, unseren Ängsten und unserem Zweifel.

Und uns damit heranführt an die Fragen, die uns unbedingt angehen:
Wer bin ich? Wozu bin ich da? Wer hat mich gewollt? Wen suche ich?

Seine Bilder sind offen. Seine Sprache kreisend um eine Mitte, die nicht definiert und analysiert ist, der ich mich nähere, ohne sie vollends zu verstehen. Fragen bleiben und stellen sich neu mit jeder Erzählung, mit jeder Erfahrung werden sie mehr…

Wen sucht ihr?

Johannes scheint die Frage mindestens so wichtig zu sein, wie die Antworten: Ich bins… der das Brot ist und das Leben und der Weg und die Wahrheit und die Auferstehung…Ich bins…

Wen sucht ihr?

Jesus selbst begegnet bei Johannes immer wieder als der, der Fragen provoziert: Woher kennst du mich? (Joh 1,48) Was sagst du von dir selbst? Woher bist du?

Vielleicht weil Johannes ahnt, dass sich nicht fraglos glauben lässt.

Weil die Fragen des Lebens immer auch die Fragen des Glaubens sind. Und der Glaube nicht einfach die Antwort auf all unsere Fragen.

Wenn es dazu eines letzten Beleges bedarf, dann ist es der fragende Schrei des Christus am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Am Ende eine Frage. Keine Antwort.

Nein, ihr Lieben, wer fraglos glaubt, glaubt am Leben vorbei.

Darum also: Fragen.

II.
Wen sucht ihr?

In der Erzählung von der Gefangennahme Jesu setzt Johannes damit einen völlig eigenen Akzent.

Kein Judas-Kuss, der ihn verriet, sondern eine Frage: „Wen sucht ihr?“ und ich ergänze: „eigentlich?“ „Wen sucht ihr eigentlich?“

Eine Frage, die die Häscher mit ihrer eigenen Suche und ihren inneren Antrieben konfrontiert.

Mit dem, was tief in uns drin ist, verborgen oft unter dem scheinbar schlüssigen Tun.

Dass es nicht nur um Jesus von Nazareth geht, sondern vielleicht um das Opfer, das sie brauchen, an dem sie ihre Triebe aus Aggression und Brutalität ausleben können, einen, den sie fertigmachen können, auf dass sie Frieden hätten, zum Beispiel.

Wen sucht ihr eigentlich?

Einen mit dem man ein leichtes Spiel haben kann, der machtlos ist, damit ich mich mächtig fühlen kann mit Fackeln und Laternen und Waffen in der Masse, die sich willig führen lässt.

Wen sucht ihr eigentlich?

Die Frage wird zum Spiegel unserer Seelen…

Zweimal gestellt, damit ich auch nicht ausweiche in bloße Formalitäten: Wen sucht ihr eigentlich?

IV.
Wissen wir darauf eine Antwort zu geben? Wen sucht ihr eigentlich?

Heute hier am Karfreitag in der Johanneskirche.

Den Sühne-Christus, der all unsere Strafe auf sich nahm, damit wir weiter leben können wie bisher, nur ein wenig freier von dem manchmal schlechten Gewissen?

Den Ich-kenn-dein-Leiden-Christus, dessen Schmerzen uns tragen lassen, was wir selber an Schmerzen zu tragen haben an Leib und Seele? So einen Trostpflaster-Christus?

Den Ohnmachts-Christus, der nur buckeln kann während andere treten, wie ich selber ja so ohnmächtig und schwach mich erlebe, wo ich nicht selber treten kann?

Den Gran-Torino-Christus, der wie Clint Eastwood sich selber in den Tod gibt, damit andere gerettet werden und überleben können? So ein Held, wie ich es selber gerne wäre, fehlte es mir nicht an Mut und Leidenschaft.

Wen sucht ihr eigentlich?

Es ist eine Frage, die uns hilft, uns nach den Motiven unseres Glaubens und Handelns zu befragen. Denn in dem, was wir suchen, spiegelt sich das Lieben und Hoffen, die Ängste und Zweifel unseres Lebens.

Und letztlich suchen wir doch nur nach einem Strohhalm der uns hält in dem, was uns treibt. Suchen nach einem Wohin mit dem, was in uns ist und dem, was von außen auf uns eindringt. Suchen nach einem Ort, an dem ich bleiben kann ohne warum.

Wen sucht ihr?

IV.
Eine Frage, deren Antwort so vielfältig ist wie das Leben selbst.

Und die Antwort? Ist kurz und knapp: „Ich bin’s“.

Mit etlichen anderen Auslegern glaube ich, dass Johannes mit dieser so knappen Antwort eine Fährte legt, auf der wir fündig werden können für uns und unser Leben.

„Ich bin’s“.

Die Worte ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Evangelium: Ich bin’s: das Brot des Leben, der Weg, die Wahrheit und das Leben, ich bin der Weinstock, ich bin die Auferstehung.

„Ich bin“ – Worte, die sich anhören wie ein fernes Echo des „Ich bin’s“ vom Horeb. „Wer soll ich sagen, hat mich gesandt? Wie ist dein Name?“ fragt Mose dort am brennenden Dornbusch und hört die Stimme des Ewigen: „Ich bin, der ich bin. Ich bin für euch da.“ „Ego eimi“ in der griechischen Übersetzung genau wie jenes: „Ich bin’s“ im Garten Getsemane.

Ich bin’s, der für euch da ist.

„Ich bin, der für euch da ist!“ ist der Name Gottes am brennenden Busch. „Ich bin’s“ das Bekenntnis dessen, der sich fangen, foltern und töten lässt, um dazu sein für uns. Lässt sich darauf festnageln, der „Ich bin’s“ am Kreuz. Damit wir ein Wohin haben für all unser Suchen und Fragen und die Wut und die Aggression und die Angst und Sehnsucht und die Hoffnung… Kein „Warum“ nur ein „Wohin“

Ich bin für Euch da.

Für uns, die wir gar nicht recht wissen, wen wir suchen und was wir suchen, weil wir uns doch selber das größte Fragezeichen sind.

Und doch finden dürfen den, der für uns da ist und uns freigibt ins Leben ohne Warum und Wenn und Aber:

„Lasst diese gehen…“ Den Weg ins Leben mit all seinen Fragen und Widersprüchen. Lasst diese gehen… Denn: Ich bin’s.

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