Selig der Mensch, der die Anfechtung erduldet!

Predigt zu Jakobus 1,12-18

Selig ist der Mensch, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
Irrt euch nicht, meine lieben Geschwister. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

Liebe Predigthörerin, lieber Predigthörer,

heute bist du erst einmal selig zu preisen und glücklich zu schätzen, nicht wegen deines starken Glaubens, deiner mutigen Hoffnung, deiner brennenden Liebe wegen – wie oft ich mir die gewünscht hätte in den Zeiten meines Zweifels, meiner Mutlosigkeit und Herzenskälte,
wie oft ich mir gewünscht hätte einen Glauben zu haben, fest und unerschütterlich,
eine Hoffnung voller Visionen und Verheißungen,
eine Liebe, unauslöschlich wie der Tod –
aber dennoch, wenn ich all dies und noch viel mehr hätte, liebe Gemeinde, wäre ich deswegen weder selig noch glücklich:

Selig der Mensch, der die Anfechtung erduldet.

Darum also, liebe Predigthörerin, lieber Predigthörer, darum allein bist du selig zu nennen und glücklich zu preisen, weil du angefochten glaubst, angefochten hoffst, angefochten liebst.

Weil du die Anfechtung kennst und erduldest, wirst Du die Krone des Lebens empfangen.

Es sind nicht die, die scheinbar keinen Zweifel kennen, nicht die, die alles erklären können, nicht die, denen keine Klage über die Lippen kommt, nicht die, die für jede Lebenslage eine Interpretation haben und für jedes Leid einen Bibelvers.

Nein, selig der Mensch, der die Anfechtung erduldet.

Die Anfechtung, dass hinter allem vielleicht doch kein Sinn steht.
Und dass da kein Gott ist, der mein Schreien hört.
Und dass der Tod vielleicht doch das Ende sein könnte und alles Hoffen nur Narretei. Die Anfechtung, dass es sich nicht lohnt, sich zu mühen nach einem Leben nach Grundsätzen, nach Ethik und Moral, ehrlich, gerecht und wahrhaftig.
Die Anfechtung, die mich anfällt, wo Liebe enttäuscht wird, wo Not einbricht in die heile Welt, wo Beziehungen zerbrechen, wo der Mensch sich erweist als des Menschen Wolf, wo die Ohnmacht mich lähmt oder die Macht ihre Spiele mit mir treibt…

Anfechtung, liebe Hörerin, lieber Hörer, Anfechtung, ich wage zu vermuten, kennst Du auch. Also, lass dich darum selig preisen und glücklich schätzen, um deiner Anfechtung willen.

II.
Doch warum?

Darum, weil sie, so paradox es klingt, weil sie, die Anfechtung, dem Glauben dient.

Es gebe, so Martin Luther, für den Glauben keine größere Anfechtung als die, keine Anfechtung zu haben:

„Und weißt du oder erkennst Du deine Not nicht oder hast du keine Anfechtung, so sollst du wissen, dass du am allerübelsten daran bist.“

„Denn das ist die größte Anfechtung, dass du dich so verstockt, hartmütig, unempfindlich erfindest, dass dich keine Anfechtung bewegt“ (Martin Luther: Von den guten Werken; in: Luther Deutsch Bd. 2, S.138)

Verstockt, hartmütig, unempfindlich… muss man sein, um keine Anfechtungen zu erleben.

Wer aber in der Anfechtung lebt, liebe Gemeinde, wer in der Anfechtung lebt, der lebt seinen Glauben sensibel, lebt ihn offen für das, was geschieht in diesem Leben und in dieser Welt.

Wer in der Anfechtung lebt, der hat ein Herz, das fühlt und ein Hirn, das denkt und zwischen den Schenkeln eine Lust, die sich sehnt.

Darum tut die Anfechtung dem Glauben gut, weil sie ihn ins Leben zieht. Weil sie Gott in Kontakt bringt mit dem angefochtenen Leben, darum tut sie dem Glauben gut.

Wer recht glauben will, davon ist Luther überzeugt, der muss die Anfechtung kennen.

In seiner Vorrede zur Veröffentlichung des ersten Bandes seiner deutschen Schriften, da redet der gefeierte Theologiestar Martin Luther seine Schriften klein und macht den Menschen Mut und Lust, selber Theologie zu treiben und gibt ihnen dazu einen kleinen Leitfaden an die Hand, „eine rechte Weise in der Theologie zu studieren“: „Wenn du die innehältst, sollst du so gelehrt werden, dass du selbst (wo es nötig wäre) gerade so gute Bücher machen könntest, wie die Väter und Konzile“.

Drei Dinge, sagt er, seien dazu nötig:

1. Das Gebet: „Kniee in deinem Kämmerlein nieder und bitte mit rechter Demut und Ernst zu Gott, dass er dir durch seinen lieben Sohn seinen heiligen Geist geben wolle, der dich erleuchte, leite und dir Verständnis gebe“.

2. „Zum zweiten sollst du meditieren, das ist: …die Worte im Buch dem Buchstaben nach immer wiederholen, lesen und noch einmal lesen, mit fleißigem Aufmerken und Nachdenken, was der Heilige Geist damit meint.“

Und schließlich, und damit überraschte er seine Leser:
3. „Zum dritten ist da die Anfechtung. Die ist der Prüfstein, der dich nicht allein wissen und verstehen lehrt, sondern auch erfahren, wie recht, wie wahrhaftig, wie süß, wie lieblich, wie mächtig, wie tröstlich Gottes Wort sei, Weisheit über alle Weisheit.“ (Vorrede zum 1. Buch der deutschen Schriften, Luther Deutsch Bd. 1, S. 15f.)

Die Anfechtung ist der Prüfstein. Sie lehrt uns erfahren, was es auf sich hat, mit Gottes Wort und dem Glauben.

Die Anfechtung bietet die große Chance, Erfahrungen mit dem Glauben zu machen. Erfahrungen mit dem Glauben in diesem so konkreten Leben. Und darum ist sie gut für den Glauben, weil sie den Glauben mit dem konkret gelebten Leben in Beziehung setzt.

III.
Dieses konkret gelebte Leben.

Der Jakobusbrief hat einen realistischen Blick darauf. Dieses konkrete Leben ist kein erfülltes Leben. Dieses konkrete Leben ist eines, das die Sehnsucht kennt. Das die Gier kennt. Zu dem der Kampf gehört ums Dasein, um die Anerkennung, um Beziehungen und Geltungen. Dieses Leben ist eines, das immer mehr will, als es hat. Das Grenzen nicht akzeptiert und überschreiten will.

Nenn es „Begierde“, wenn du willst. Nenn es „Trieb“, wenn es dir hilft. Nenn es „Sehnsucht“, wenn es dich tröstet.

Jedenfalls sind es ureigene Mächte, die im Menschen wirken. Mit denen zu leben eine Herausforderung ist, die es zu meistern gilt und an der ich scheitere, oft genug.

Aber gerade dieses Scheitern lässt mich meine Hilflosigkeit erkennen. Meine Bedürftigkeit.

Lässt rufen zu dem, an den ich gar nicht glaube.
Lässt mich suchen nach dem, auf den ich gar nicht hoffe.
Lässt mich mich sehnen nach dem, den ich gar nicht liebe.

Wer unangefochten lebt, liebe Gemeinde, der lebt sich seiner selbst gewiss.

Wer aber angefochten ist, der ahnt, dass wir uns niemals selbst genug sein können.

Darum ist es gerade die Anfechtung, die uns zu Gott führt: Und sei es in der Klage, sei es im Zweifel, sei es im Flehen und Rufen mehr als im Loben und Danken.

Darum, liebe Gemeinde, hilft die Anfechtung dem Glauben mehr als eine selbstzufriedene Frömmigkeit.

Und weil Du, liebe Predigthörerin, lieber Predigthörer, dich also hinführen lässt zu dem Gott, von dem her alles Gute kommt, darum also bist du selig zu preisen um deiner Anfechtungen willen:

Selig der Mensch, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen.

IV.
Die aber, liebe Gemeinde, ist die Klammer um unser ganzes Leben.

Der Predigttext fängt ja damit an, dass er von der „Krone des ewigen Lebens“ spricht. Und er hört auf, indem er uns als Erstlinge der neuen Schöpfung lobt. Und macht damit deutlich, dass Gott uns Anteil gibt am Leben in seiner neuen Welt, uns wert erachtet, die seinen sein zu dürfen, trotz Anfechtung. Dass er mit uns das neue Leben beginnt als Erstgeborene der neuen Schöpfung.

So verweist der Jakobusbrief über dieses konkrete Leben hinaus auf Gottes Wille für uns Menschen. Der aber ist, davon ist der Brief überzeugt, dass es uns gut geht, nicht nur in dieser Welt, sondern in Ewigkeit. Und nicht nach den Maßstäben dieser Welt, sondern nach Gottes Willen.

„Alles Gute kommt von oben“, sagt er. Und verteidigt damit Gott gegen die Welt, seine Liebe gegen unsere Begierde, sein Heil gegen das Böse.

Für Jakobus ist klar, dass Gott nicht für alles und jedes in der Welt heranzuziehen ist. Dass es Mächte und Gewalten und Machenschaften gibt, die sich gegen Gott und sein Heil stellen. Und nicht zuletzt, sondern vor allem ist es der Mensch selbst, der Unheil bringt und Leid und Tod.

Der Jakobusbrief teilt nicht die Projektion unserer Allmachtsphantasien auf einen jenseitigen Gott.

Gott steht ein für das Gute. Und steht damit im Widerstreit und Widerspruch gegen alles Böse in der Welt.

Und darum an unserer Seite, wo uns die Anfechtung überfällt, wo uns das Böse widerfährt, wo uns die Angst zu bitten treibt: Lass diesen Kelch an uns vorüberziehen.

Nicht umsonst beginnt die Passionszeit mit der Erzählung von der Versuchung Jesu durch den Teufel und kennt die Anfechtung Jesu im Garten Gethsemane. So wird deutlich, dass Gott selbst an unserer Seite steht, wo wir angefochten leben und leiden.

Weil Gott uns nahe ist in unserer Anfechtung, darum, lieber Predigthörer, liebe Predigthörerin bist du selig zu preisen:

Selig ist der Mensch, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.

Amen.

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