Es ist was es ist...
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.
Bleibt in meiner Liebe!
Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe,
wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.
Liebe
Gemeinde,
Liebe,
Freude, Vater, Gebot, Freunde…
Wo,
wie in diesem Fall, die Liebe spricht, fehlt die Stringenz, verliert die
Sprache ihre Präzision, wird kreisend und unbeholfen, knüpft Girlanden von
Stichwort zu Stichwort, wie in dieser Rede.
Übrigens
kein schlechtes Bild: Girlanden hängt Jesus an die Decke unseres
Zusammenlebens, an die wir allzu oft stoßen, lädt uns ein, in dem so
geschmückten Raum zu bleiben, - "Bleibt in meiner Liebe" - die Liebe als ein Raum, in dem ich bleiben
darf - damit am Ende die Freude vollkommen ist. Denn das ist ja das Ziel des
Ganzen: Dass die Freude vollkommen ist.
Nur
wer sich von der Liebe distanziert, kann über sie reden, kann darüber
dozieren und lehren.
Wer aber selbst und ganz und gar Liebe ist, der liebt und lebt die Liebe und ringt um Sprache und umkreist mit Worten das eine Wort, das er nicht auszusagen vermag: Liebe.
Wer aber selbst und ganz und gar Liebe ist, der liebt und lebt die Liebe und ringt um Sprache und umkreist mit Worten das eine Wort, das er nicht auszusagen vermag: Liebe.
Zuweilen
wird Dichtung daraus wie bei Erich Fried, dem Lyriker, dem ich in dieser
Predigt das Wort lasse. Das klingt wie ein ferner Kommentar zu der Rede, die
wir hier hören.
Bevor ich sterbe
Noch
einmal sprechen
von der Wärme des
Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein
Bevor
ich sterbe
noch einmal sprechen von Liebe
noch einmal sprechen von Liebe
damit
doch einige sagen:
Das gab es
Das gab es
das muss es geben
Noch
einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung
auf Glück
damit doch einige
fragen:
Was war das
wann
kommt es wieder?
(aus:
Erich Fried, Gedichte, München 1995, Seite 76)
In den Abschiedsreden
Jesu finden wir unseren Predigttext. Gesprochen auf dem Weg nach Jerusalem, auf
dem Weg ans Kreuz, auf dem Weg in den Tod. Der Evangelist legt Jesus letzte
Worte in den Mund, lässt ihn noch einmal sprechen von der Wärme des Lebens, damit doch einige, damit wir wissen: Es
ist nicht warm, aber es könnte warm sein.
Es ist noch nicht Liebe
unter uns Menschen – müssen wir dazu in den Irak schauen oder nach Afghanistan
oder haben wir nicht genug Erfahrung hier unter uns: 880.000 tausend Menschen,
war dieser Tage zu lesen, leben in Europa als Sklavenarbeiter. Rund ein Viertel
davon wird sexuell ausgebeutet.
Menschenhändler machen in der EU einen geschätzten Gewinn von 25.
Milliarden Euro im Jahr. Und viele von ihnen werden unter Werkverträgen an
Deutsche Firmen verkauft oder befriedigen Freier in deutschen Bordells.
Es ist noch nicht Liebe
unter uns Menschen. Beileibe nicht.
Es ist noch nicht Liebe
unter uns Menschen - der unserem Predigttext folgende Abschnitt beginnt:
"Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst
hat". Es ist noch nicht Liebe unter uns Menschen, aber es könnte sein.
Und denen, die daran zweifeln,
dass es sein könnte, denen gibt Jesus selbst einen Beweis seiner Liebe. Er
selbst steht dafür ein und spricht davon am Ende des Weges: "Wie mich der
Vater liebt, so liebe ich euch."
"Bevor ich sterbe /
noch einmal sprechen / von Liebe / damit doch einige sagen: / Das gab
es..." Da war sie unter uns, in unserem Fleisch und Blut, angreifbar,
verletzbar.
"Was war das?" fragen wir.
"Gottes Liebe in Person", antwortet der Glaube.
"Wann kommt es wieder?"
fragen wir. "Wenn ihr sie tut", antwortet die Hoffnung.
Die Liebe aber ist die größte
unter ihnen.
II. Liebe
Dich
Dich
dich
sein lassen ganz dich
Sehen
dass du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen
will
Wer
nur die Hälfte liebt
der
liebt dich nicht halb sondern gar nicht
der
will dich zurechtschneiden amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob
das schwer oder leicht ist?
Es
kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht
und Verstand
sondern mit wieviel
Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach
allem -
nach allem
nach allem
was
du ist
Nach
der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach der Kälte
nach der Güte
und
nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach deinem Willen
und Unwillen
nach
jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist
dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer
vielleicht
gar nicht so schwer
(aus:
Es ist was es ist, Berlin (1983) 1995, Seite 34)
"Was
war das?" fragen wir. "Gottes Liebe in Person", antwortet der
Glaube: Gottes Liebe in Person - "Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich
Euch. Bleibt in meiner Liebe".
Das ist das erste:
Gottes Liebe begegnet uns
in IHM, dem geliebten Sohn.
Erst danach hören wir:
"Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch
liebe".
Aber zuerst und vor allem
steht die Liebe Jesu zu uns, von der wir hören, dass sie wie die Liebe ist, mit
der der Vater den Sohn liebt. .
Liebe, wie sie hier
gemeint ist, - wir hätten sie also zu lernen von der Liebe, die der Vater dem
Sohn erweist. Es ist eine Liebe, die den anderen Person sein lässt und ihm doch
denkbar nahe kommt.
Wie komme ich drauf? Über
ein ganz altes Lehrstück des Glaubens, die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes,
der Trinität.
Denn in der christlichen
Tradition hat die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, die Trinitätslehre, die
Aufgabe gehabt, die Liebe zwischen Vater und Sohn und Heiligem Geist lehrhaft
zu beschreiben.
Jetzt wird’s traditionell
kompliziert. Hören Sie sich nur noch einmal die entsprechende Passage aus dem
sogenannten Athanasianischen Glaubensbekenntnis an.
Es
redet von einem Gott in drei Personen.
"Dies ist aber der rechte christliche Glaube, dass wir
einen einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einer Gottheit ehren. Und nicht die
Personen ineinander mengen, noch das göttliche Wesen zertrennen. Eine andere
Person ist der Vater, eine andere der Sohn, eine andere der Heilige Geist.“
Das macht vielen von uns
heute oft Probleme, wie wir Jesus und Gott und Heiligen Geist zusammenbringen
sollen. Vielleicht könnte uns Heutigen die Liebe den Schlüssel in die Hand
geben. Und umgekehrt diese Lehre von den drei Personen in einer Gottheit uns
helfen, etwas von Liebe zu begreifen. (Augustin läßt die Theologinnen und
Theologen unter uns grüßen. Ich versuche diesen Zugang, auch wenn das Wort
"Person" damals eine andere Bedeutung hatte als heute.)
So,
wie Liebende ganz und gar miteinander zu verschmelzen wünschen, dem anderen
ganz und gar nahe sein wollen und doch von ihm, von ihr geschieden bleiben
wollen, damit ich sie wahrnehmen, hören, fühlen, sehen, riechen, schmecken und
lieben kann. Denkbar nahe - "ein Fleisch" heißt’s am Anfang der Bibel
(1. Mose 2,24), aber doch zwei Personen, die einander gelten lassen: Dich dich
sein lassen.
So wie der Vater den Sohn
liebt, so liebt der Sohn die Seinen.
Auch sie werden in der
Liebe Jesu zum Du, zur freien Person: "Ihr seid nicht mehr Knechte,
sondern Freunde". Eingeweiht seid ihr in die Geheimnisse, Partnerinnen und
Partner von Du zu Du, nicht unterworfen und nicht untergeordnet, nicht
zurechtgeschneidert, nicht amputiert und nicht verstümmelt, Freunde Jesu seid
ihr, geliebt von ihm, wie er vom Vater geliebt ist.
Das ist die erste, das
ist die größte Veränderung, die mit uns vorgeht: Wir werden zu geliebten
Menschen. Wir werden zu geliebten Menschen als Menschen, die ganz und gar nicht
liebenswert sind.
Gott stutzt uns, Gott
stutzt dich nicht zurecht, damit er dich lieben kann. Er liebt dich auch nicht
halb. Er liebt nicht nur das Fromme in dir und das Gute an dir. Er liebt dich
ganz, mit deiner Wärme und Kälte, mit deiner Güte und deinem Starrsinn, mit
deinem Willen und Unwillen, mit deinen Gebärden und deiner Ungebärdigkeit,
Unstetigkeit und Stetigkeit.
Martin Luther hat in
Heidelberg 1518 die These aufgestellt: "Die Liebe Gottes findet ihren
Gegenstand nicht vor, sondern sie schafft ihn erst. Menschliche Liebe entsteht
an ihrem Gegenstand."
Menschliche Liebe liebt
von Natur aus, was sie liebenswert findet: das Schöne, das Gute und
Wahrhaftige, das Erotische und Leidenschaftliche. Und sie ist daher geneigt,
alles andere auszuscheiden und auszugrenzen.
Gottes Liebe aber liebt
das "Sündige, Böse, Törichte und Schwache..., um sie zu Gerechten, Guten,
Klugen und Starken zu machen und so strömt sie heraus und teilt Gutes aus. Denn
die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht
deshalb geliebt, weil sie schön sind."
Von dieser Art ist Gottes
Liebe, dass sie uns zu Geliebten macht, mit allem Drum und Dran, ganz und nicht
reduziert auf das Liebenswerte an uns.
Und nun und erst jetzt
heißt es: "Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich
euch geliebt habe."
Liebet einander. Lasst
einander gelten als Du. Kommt einander denkbar nahe. Aber wahrt die Grenze der
Verletzbarkeit. Lass deinen Mitmenschen er selbst, sie selbst sein um Gottes
willen. Stutz den anderen und die andere nicht auf dein Ideal zurecht. Fordere
nicht die Selbstaufgabe, fordere nicht das Opfer. Aber sei bereit, wie Jesus
selbst es tat, sei bereit um der Liebe willen dich selbst zu lassen, um der
Freundschaft willen dein Leben zu geben: Dein Recht auf dein Ansehen, deinen
Ärger über die Unwilligen, deine Ungeduld mit den Unbeholfenen, deine
Hartherzigkeit und deine Geldgier.
III. In der Liebe bleiben
Wo
sie wohnt
Wo
sie wohnt?
Im Haus neben der
Verzweiflung
Mit
wem sie verwandt ist?
Mit
dem Tod und der Angst
Wohin
sie gehen wird wenn sie geht?
Niemand
weiß das
Von
wo sie gekommen ist?
Von
ganz nahe oder ganz weit
Wie
lange sie bleiben wird?
Wenn
du Glück hast solange du lebst
Was
sie von dir verlangt?
Nichts
oder alles
Was
soll das heißen?
Dass das ein und
dasselbe ist
Was
gibt sie dir
- oder auch mir -
dafür?
Genau soviel wie sie nimmt
Sie behält nichts zurück
Genau soviel wie sie nimmt
Sie behält nichts zurück
Hält
sie dich - oder mich - gefangen
oder gibt sie uns frei?
oder gibt sie uns frei?
Es
kann uns geschehen
dass sie uns Freiheit
schenkt
Frei sein von ihr
ist
das gut oder schlecht?
Es
ist das Ärgste was uns zustoßen kann
Was
ist sie eigentlich
und wie kann man sie
definieren?
Es heißt dass Gott
gesagt hat dass er sie ist
(aus: Es ist was es ist, Seite 20)
"Wann
kommt sie wieder?" fragen wir. - "Wenn ihr sie tut", antwortet
die Hoffnung.
Wo finden wir solche
Liebe? Es heißt, dass Gott gesagt hat, dass er sie ist: "Gott ist die
Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm",
heißt es im 1. Johannesbrief.
Gott ist die Liebe, aber
er ist es nicht ohne uns, sondern für uns und mit uns und um uns herum:
"Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt!"
Seht euch an, euch, liebe
Gemeinde, hat sich Gott zum Ort seiner Liebe erwählt. Unter euch soll sie
wohnen. Und ihr sollt in ihr bleiben. In diesem Raum der Liebe, von dem ihr
jetzt eine Ahnung habt, an dem ihr Euch freuden dürft.
Denn zu euch habe ich von
der Liebe gesprochen, damit ihr die seid, die wissen: Es ist nicht warm, aber
es könnte warm sein. Damit ihr die seid, die sagen: Das gab es und: das muss es
geben.
Mehr
hat er seiner Gemeinde nicht befohlen als die Liebe zu Gott und untereinander.
Sie ist die Frucht, die wir bringen werden. Wo wohnt die Liebe? - Um Gottes
willen unter uns, gebrochen, gefährdet, klein und bedroht von der
Gleichgültigkeit. Aber unter uns. Selbst als Fragment ausreichend zur
vollkommenen Freude - wider die Vernunft und die Berechnung und die Angst und
die Einsicht und den Stolz und die Vorsicht und die Erfahrung:
V. Was es ist
Was es ist
Es ist Unsinn sagt die
Vernunft
Es ist was es ist sagt
die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als
Schmerz sagt die Angst
Es ist aussichtslos sagt die Einsicht
Es ist was es ist sagt die Liebe
Es
ist lächerlich sagt der Stolz
Es
ist leichtsinnig sagt die Vorsicht
Es ist
unmöglich sagt die Erfahrung
Es ist
was es ist sagt die Liebe
(aus: Es ist was es ist, Seite 43)
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