Es ist was es ist...

Predigt zu Johannes 15,9-17
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.
Bleibt in meiner Liebe!
Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe,
wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.


Liebe Gemeinde,
Liebe, Freude, Vater, Gebot, Freunde…

Wo, wie in diesem Fall, die Liebe spricht, fehlt die Stringenz, verliert die Sprache ihre Präzision, wird kreisend und unbeholfen, knüpft Girlanden von Stichwort zu Stichwort, wie in dieser Rede.


Übrigens kein schlechtes Bild: Girlanden hängt Jesus an die Decke unseres Zusammenlebens, an die wir allzu oft stoßen, lädt uns ein, in dem so geschmückten Raum zu bleiben, - "Bleibt in meiner Liebe" -  die Liebe als ein Raum, in dem ich bleiben darf - damit am Ende die Freude vollkommen ist. Denn das ist ja das Ziel des Ganzen: Dass die Freude vollkommen ist.

Nur wer sich von der Liebe distanziert, kann über sie reden, kann darüber dozieren und lehren.
Wer aber selbst und ganz und gar Liebe ist, der liebt und lebt die Liebe und ringt um Sprache und umkreist mit Worten das eine Wort, das er nicht auszusagen vermag: Liebe.

Zuweilen wird Dichtung daraus wie bei Erich Fried, dem Lyriker, dem ich in dieser Predigt das Wort lasse. Das klingt wie ein ferner Kommentar zu der Rede, die wir hier hören.

I. - Abschiedsreden 
Bevor ich sterbe

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein
Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben
Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?
(aus: Erich Fried, Gedichte, München 1995, Seite 76)

In den Abschiedsreden Jesu finden wir unseren Predigttext. Gesprochen auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg ans Kreuz, auf dem Weg in den Tod. Der Evangelist legt Jesus letzte Worte in den Mund, lässt ihn noch einmal sprechen von der Wärme des Lebens, damit doch einige, damit wir wissen: Es ist nicht warm, aber es könnte warm sein.

Es ist noch nicht Liebe unter uns Menschen – müssen wir dazu in den Irak schauen oder nach Afghanistan oder haben wir nicht genug Erfahrung hier unter uns: 880.000 tausend Menschen, war dieser Tage zu lesen, leben in Europa als Sklavenarbeiter. Rund ein Viertel davon wird sexuell ausgebeutet.  Menschenhändler machen in der EU einen geschätzten Gewinn von 25. Milliarden Euro im Jahr. Und viele von ihnen werden unter Werkverträgen an Deutsche Firmen verkauft oder befriedigen Freier in deutschen Bordells.
Es ist noch nicht Liebe unter uns Menschen. Beileibe nicht.

Es ist noch nicht Liebe unter uns Menschen - der unserem Predigttext folgende Abschnitt beginnt: "Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat". Es ist noch nicht Liebe unter uns Menschen, aber es könnte sein.

Und denen, die daran zweifeln, dass es sein könnte, denen gibt Jesus selbst einen Beweis seiner Liebe. Er selbst steht dafür ein und spricht davon am Ende des Weges: "Wie mich der Vater liebt, so liebe ich euch."

"Bevor ich sterbe / noch einmal sprechen / von Liebe / damit doch einige sagen: / Das gab es..." Da war sie unter uns, in unserem Fleisch und Blut, angreifbar, verletzbar.

"Was war das?" fragen wir. "Gottes Liebe in Person", antwortet der Glaube.
"Wann kommt es wieder?" fragen wir. "Wenn ihr sie tut", antwortet die Hoffnung.
Die Liebe aber ist die größte unter ihnen.

II. Liebe
Dich

Dich
dich sein lassen ganz dich

Sehen
dass du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will

Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden amputieren
verstümmeln

Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist

Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer
(aus: Es ist was es ist, Berlin (1983) 1995, Seite 34)

"Was war das?" fragen wir. "Gottes Liebe in Person", antwortet der Glaube: Gottes Liebe in Person - "Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich Euch. Bleibt in meiner Liebe".

Das ist das erste:
Gottes Liebe begegnet uns in IHM, dem geliebten Sohn.

Erst danach hören wir: "Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe".

Aber zuerst und vor allem steht die Liebe Jesu zu uns, von der wir hören, dass sie wie die Liebe ist, mit der der Vater den Sohn liebt.  .

Liebe, wie sie hier gemeint ist, - wir hätten sie also zu lernen von der Liebe, die der Vater dem Sohn erweist. Es ist eine Liebe, die den anderen Person sein lässt und ihm doch denkbar nahe kommt.

Wie komme ich drauf? Über ein ganz altes Lehrstück des Glaubens, die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, der Trinität.

Denn in der christlichen Tradition hat die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, die Trinitätslehre, die Aufgabe gehabt, die Liebe zwischen Vater und Sohn und Heiligem Geist lehrhaft zu beschreiben.

Jetzt wird’s traditionell kompliziert. Hören Sie sich nur noch einmal die entsprechende Passage aus dem sogenannten Athanasianischen Glaubensbekenntnis an.

Es redet von einem Gott in drei Personen.
"Dies ist aber der rechte christliche Glaube, dass wir einen einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einer Gottheit ehren. Und nicht die Personen ineinander mengen, noch das göttliche Wesen zertrennen. Eine andere Person ist der Vater, eine andere der Sohn, eine andere der Heilige Geist.“

Das macht vielen von uns heute oft Probleme, wie wir Jesus und Gott und Heiligen Geist zusammenbringen sollen. Vielleicht könnte uns Heutigen die Liebe den Schlüssel in die Hand geben. Und umgekehrt diese Lehre von den drei Personen in einer Gottheit uns helfen, etwas von Liebe zu begreifen. (Augustin läßt die Theologinnen und Theologen unter uns grüßen. Ich versuche diesen Zugang, auch wenn das Wort "Person" damals eine andere Bedeutung hatte als heute.)

So, wie Liebende ganz und gar miteinander zu verschmelzen wünschen, dem anderen ganz und gar nahe sein wollen und doch von ihm, von ihr geschieden bleiben wollen, damit ich sie wahrnehmen, hören, fühlen, sehen, riechen, schmecken und lieben kann. Denkbar nahe - "ein Fleisch" heißt’s am Anfang der Bibel (1. Mose 2,24), aber doch zwei Personen, die einander gelten lassen: Dich dich sein lassen.
So wie der Vater den Sohn liebt, so liebt der Sohn die Seinen.
Auch sie werden in der Liebe Jesu zum Du, zur freien Person: "Ihr seid nicht mehr Knechte, sondern Freunde". Eingeweiht seid ihr in die Geheimnisse, Partnerinnen und Partner von Du zu Du, nicht unterworfen und nicht untergeordnet, nicht zurechtgeschneidert, nicht amputiert und nicht verstümmelt, Freunde Jesu seid ihr, geliebt von ihm, wie er vom Vater geliebt ist.

Das ist die erste, das ist die größte Veränderung, die mit uns vorgeht: Wir werden zu geliebten Menschen. Wir werden zu geliebten Menschen als Menschen, die ganz und gar nicht liebenswert sind.

Gott stutzt uns, Gott stutzt dich nicht zurecht, damit er dich lieben kann. Er liebt dich auch nicht halb. Er liebt nicht nur das Fromme in dir und das Gute an dir. Er liebt dich ganz, mit deiner Wärme und Kälte, mit deiner Güte und deinem Starrsinn, mit deinem Willen und Unwillen, mit deinen Gebärden und deiner Ungebärdigkeit, Unstetigkeit und Stetigkeit.

Martin Luther hat in Heidelberg 1518 die These aufgestellt: "Die Liebe Gottes findet ihren Gegenstand nicht vor, sondern sie schafft ihn erst. Menschliche Liebe entsteht an ihrem Gegenstand."

Menschliche Liebe liebt von Natur aus, was sie liebenswert findet: das Schöne, das Gute und Wahrhaftige, das Erotische und Leidenschaftliche. Und sie ist daher geneigt, alles andere auszuscheiden und auszugrenzen.

Gottes Liebe aber liebt das "Sündige, Böse, Törichte und Schwache..., um sie zu Gerechten, Guten, Klugen und Starken zu machen und so strömt sie heraus und teilt Gutes aus. Denn die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind."

Von dieser Art ist Gottes Liebe, dass sie uns zu Geliebten macht, mit allem Drum und Dran, ganz und nicht reduziert auf das Liebenswerte an uns.

Und nun und erst jetzt heißt es: "Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe."

Liebet einander. Lasst einander gelten als Du. Kommt einander denkbar nahe. Aber wahrt die Grenze der Verletzbarkeit. Lass deinen Mitmenschen er selbst, sie selbst sein um Gottes willen. Stutz den anderen und die andere nicht auf dein Ideal zurecht. Fordere nicht die Selbstaufgabe, fordere nicht das Opfer. Aber sei bereit, wie Jesus selbst es tat, sei bereit um der Liebe willen dich selbst zu lassen, um der Freundschaft willen dein Leben zu geben: Dein Recht auf dein Ansehen, deinen Ärger über die Unwilligen, deine Ungeduld mit den Unbeholfenen, deine Hartherzigkeit und deine Geldgier.

III. In der Liebe bleiben
Wo sie wohnt

Wo sie wohnt?
Im Haus neben der Verzweiflung

Mit wem sie verwandt ist?
Mit dem Tod und der Angst

Wohin sie gehen wird wenn sie geht?
Niemand weiß das

Von wo sie gekommen ist?
Von ganz nahe oder ganz weit

Wie lange sie bleiben wird?
Wenn du Glück hast solange du lebst

Was sie von dir verlangt?
Nichts oder alles

Was soll das heißen?
Dass das ein und dasselbe ist

Was gibt sie dir
- oder auch mir - dafür?
Genau soviel wie sie nimmt
Sie behält nichts zurück
Hält sie dich - oder mich - gefangen
oder gibt sie uns frei?
Es kann uns geschehen
dass sie uns Freiheit schenkt

Frei sein von ihr
ist das gut oder schlecht?
Es ist das Ärgste was uns zustoßen kann

Was ist sie eigentlich
und wie kann man sie definieren?
Es heißt dass Gott gesagt hat dass er sie ist
(aus: Es ist was es ist, Seite 20)
"Wann kommt sie wieder?" fragen wir. - "Wenn ihr sie tut", antwortet die Hoffnung.

Wo finden wir solche Liebe? Es heißt, dass Gott gesagt hat, dass er sie ist: "Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm", heißt es im 1. Johannesbrief.

Gott ist die Liebe, aber er ist es nicht ohne uns, sondern für uns und mit uns und um uns herum: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt!"

Seht euch an, euch, liebe Gemeinde, hat sich Gott zum Ort seiner Liebe erwählt. Unter euch soll sie wohnen. Und ihr sollt in ihr bleiben. In diesem Raum der Liebe, von dem ihr jetzt eine Ahnung habt, an dem ihr Euch freuden dürft.

Denn zu euch habe ich von der Liebe gesprochen, damit ihr die seid, die wissen: Es ist nicht warm, aber es könnte warm sein. Damit ihr die seid, die sagen: Das gab es und: das muss es geben.

Mehr hat er seiner Gemeinde nicht befohlen als die Liebe zu Gott und untereinander. Sie ist die Frucht, die wir bringen werden. Wo wohnt die Liebe? - Um Gottes willen unter uns, gebrochen, gefährdet, klein und bedroht von der Gleichgültigkeit. Aber unter uns. Selbst als Fragment ausreichend zur vollkommenen Freude - wider die Vernunft und die Berechnung und die Angst und die Einsicht und den Stolz und die Vorsicht und die Erfahrung:

V. Was es ist
Was es ist

Es ist Unsinn sagt die Vernunft
Es ist was es ist sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst
Es ist aussichtslos sagt die Einsicht
Es ist was es ist sagt die Liebe

Es ist lächerlich sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich sagt die Erfahrung
Es ist was es ist sagt die Liebe
(aus: Es ist was es ist, Seite 43)

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