"... in den Schwächen mächtig..."

Predigt zu Lukas 8,41-50 zum Männersonntag

Gott spricht: Meine Kraft ist in der Schwachheit mächtig…

Es gehört für mich zu einem Geschenk in der Vorbereitung dieses Gottesdienstes, einen mir eigentlich sehr vertrauten Satz neu entdeckt zu haben. „Meine Kraft ist in der Schwachheit mächtig…“

Wir haben den Satz aus dem 2. Korintherbrief mit Luthers Übersetzung meist anders im Ohr: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig…“

Erst in der Auseinandersetzung mit dem Motto des Männersonntages, bin ich darüber gestolpert, dass das Griechische etwas anderes schreibt:
Nicht „in den Schwachen“ ist Gottes Kraft mächtig, sondern „in den Schwächen, in der Schwachheit.“

Paulus war kein Schwacher – vielmehr ein mächtiger, einflussreicher, erfolgreicher Mann. Aber er hatte Schwächen.

Schwächen, aus denen er gestärkt hervorgehen konnte: „… denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ schreibt er.

Die wenigsten von uns wollen in den Schuh steigen, ein Schwacher, eine Schwache zu sein. Aber im Laufen zu straucheln und zu fallen, Schwächen zu erfahren in unserem Leben… - das kennen wir.  Und hören nun mit dem Apostel Paulus, dass gerade in diesen Schwächen, gerade dort, wo unsere eigene Kraft versagt, Gottes Kraft mächtig wird.

Ein Beispiel, eine Geschichte, die mir nahe kommt: Lukas 8, ich lese die Verse 40-50:




Als Jesus zurückkam, nahm ihn das Volk auf; denn sie warteten alle auf ihn.

Und siehe, da kam ein Mann mit Namen Jaïrus, der ein Vorsteher der Synagoge war, und fiel Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen;  denn er hatte eine einzige Tochter von etwa zwölf Jahren, die lag in den letzten Zügen.

Und als er hinging, umdrängte ihn das Volk.

Und eine Frau hatte den Blutfluss seit zwölf Jahren; die hatte alles, was sie zum Leben hatte, für die Ärzte aufgewandt und konnte von keinem geheilt werden.

Die trat von hinten an ihn heran und berührte den Saum seines Gewandes; und sogleich hörte ihr Blutfluss auf.

Und Jesus fragte: Wer hat mich berührt?

Als es aber alle abstritten, sprach Petrus: Meister, das Volk drängt und drückt dich.

Jesus aber sprach: Es hat mich jemand berührt; denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.

Als aber die Frau sah, dass es nicht verborgen blieb, kam sie mit Zittern und fiel vor ihm nieder und verkündete vor allem Volk, warum sie ihn angerührt hatte und wie sie sogleich gesund geworden war.

Er aber sprach zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen.
Geh hin in Frieden!

Als er noch redete, kam einer von den Leuten des Vorstehers der Synagoge und sprach: Deine Tochter ist gestorben; bemühe den Meister nicht mehr.

Als aber Jesus das hörte, antwortete er ihm: Fürchte dich nicht; glaube nur, so wird sie gesund!






Was mir nahe kommt…?

Der Kniefall des Jairus.

Stellen Sie sich vor: Jarius, der Synagogenvorsteher. Von der Gemeinde gewählt, dem Gottesdienst in der Synagoge vorzustehen. Ein Amt für solche, die Souveränität ausstrahlen. Die in der Öffentlichkeit stehen können. Meist angesehene Leute. Ihre Macht kommt demonstrativ darin zum Ausdruck, dass sie in der Synagoge das Wort erteilen. Jairus, einer jener Starken.

Doch auch starke Männer werden müde und matt, straucheln und fallen. Seine Achillesverse: Sein Kind. Die Liebe.

Das kann den stärksten Mann umhauen.

Mir kommt’s nahe: Viele von Ihnen hier aus der Gemeinde haben uns so ziemlich genau vor einem Jahr begleitet, als unser Jüngster drei Wochen in der Kinderklinik in Sankt Augustin lag, teilweise gelähmt und für Tage in kritischem Zustand.

Die Erfahrung, wie mir plötzlich alle berufliche Professionalität entglitt, alle Stärke, mit der ich sonst umzugehen gelernt habe mit Angst, Not und Trauer...

Und Jairus, der Vorsteher der Synagoge, der Repräsentant der Gemeinde, drängelt sich durch und fällt auf die Knie. Gibt sich auf, weil er sein Kind nicht aufgeben will.

Der Kniefall dessen, der in der Öffentlichkeit steht.
Geste der Demut, der tiefsten Bitte, Preisgabe aller Schwäche.
Und gerade darin stark.

Ob es jemals wieder ein stärkeres politisches Symbol geben kann, als den Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal der Opfer des Warschauer Ghettos?

Wenn ich schwach bin, bin ich stark.

Er fiel Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen.

II.

Bedenken wir es einmal auf die Situation von Männern in unserer Gesellschaft. Die ist paradox. Das Klischee schreibt ihnen die Stärke zu: Männer das starke Geschlecht. Der Softie gilt nicht als Leitbild.

Und zugleich sind Männer die, die in ihre tatsächlichen Lebenssituationen weniger Macht und Stärke erleben, als das Klischee ihnen zuschreibt:
„Die meisten ohnmächtigen Opfer von Gewalttaten, sei es in der Kindheit, im Krieg oder in der Kneipe sind und waren schon immer männlichen Geschlechtes. Auch im Arbeitsleben ist der überwiegende Teil der Männer keineswegs in Machtpositionen, sondern ziemlich ohnmächtig monotonen, erniedrigenden oder gesundheitszerstörerischen Arbeitsbedingungen und auch –beziehungen ausgesetzt. Wir Männer waren niemals das mächtige Geschlecht, wir waren lediglich – und sind weitgehend – das Geschlecht, dem die wenigen Mächtigen entstammen.“ (Arbeitshilfe zum Männersonntag – S.10)

Mittlerweile hat sich die männliche Ohnmacht auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen etabliert. Der Buchmarkt entwirft ein Männerbild, das Männer als dumm verdinglicht. Beispiele sind Titel wie:
 „Bedienungsanleitung Mann – So macht Frau ihn funktionstüchtig“
„Der Tag, an dem ich beschloss meinen Mann zu dressieren oder: Ein Ehemann ist ein Rohstoff, kein Fertigprodukt“
„Jetzt ändere ich meinen Mann – wie ich ihn umkremple, ohne dass er es merkt.“
„Sitz! Platz! Kuscheln! -  Die moderne Männerschule“

In dieser Gemengelage, und man könnte natürlich versuchen, die Aussagen anhand diverser Männerstudie wissenschaftlich zu untermauen, in dieser Gemengelage begegnet uns nun in unserer biblischen Geschichte ein Mann, der die Rolle des Starken und Mächtigen in der Synagoge übernommen hat, und sich dennoch nicht scheut, in all seiner Ohnmacht niederzuknien.

Für mich als Mann ein starkes Bild, das ich mir zum Vorbild nehmen möchte. Mich eben in keiner Situation und in keiner Position, und sei sie noch so machtvoll, reduzieren zu lassen auf diese Rolle, sondern eben darin Stärke zu zeigen, dass ich zu meinen Schwächen, zu meiner Ohnmacht, zu meiner Angst und Trauer und Wut stehe… oder besser kniee und bitte.

Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark.

III.
Was mir dabei hilft, dies tun zu können, ist der andere Mann in der Geschichte. Jesus. Der teilt eine andere Erfahrung unseres Lebens.

Wird bedrängt, aufgehalten und kommt zu spät.

Indem Lukas die Geschichte mit der blutflüssigen Frau hinein komponiert in die Geschichte des Jairus, erhält die Geschichte eine unvorstellbare Dramatik.

Es geht um Leben und Tod – Jesus aber lässt sich aufhalten.

Will wissen, wer ihn berührt hat, als wäre das jetzt wichtig.

Und dann ist es zu spät:
„Bemüh den Meister nicht länger, deine Tochter ist gestorben.“

Könnte uns etwas härter treffen als dies: Du hattest es in der Hand. Du hättest was tun können. Aber du hast es nicht getan. Du hättest … aber du hast den entscheidenden Moment verpasst. Weil du nicht da warst, ist sie gestorben…

Jesus teilt diese Erfahrung des Lebens, teilt das Scheitern, ist da an jenem Punkt des Lebens, wo wir an uns selbst verzweifeln müssten.

Vielleicht können wir darin noch einmal verstehen, was es überhaupt auf sich hat mit der Menschwerdung Gottes. Dass er die Tiefpunkte des Lebens teilt. Dass Gott selbst in die größte Schwachheit geht, der allmächtig gepriesene Gott sich der Ohnmacht preisgibt.

Und darin seine Macht erweist. Denn seine Kraft ist in der Schwachheit mächtig…

Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist dafür das stärkste Symbol.

IV.
In der Geschichte des Jairus folgt stattdessen ein Wunder: Das tote Mädchen erwacht zum Leben.

Und wir?

Könnten vielleicht hören, was Jesus sagt: „Fürchte dich nicht, glaube nur.“ Damit wir lernen, dass Schwäche keine Schande ist, sondern stark macht. Stark gerade darin, uns unsere Ohnmacht einzugestehen, einzugestehen, dass wir eben nicht alles in der Hand haben und leisten können, einzugestehen, dass wir schuldig geworden sind und machtlos . Stark darin, auf die Knie zu fallen und zu bitten: Herr hilf, denn ich bin schwach.
Amen.

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