Predigt zu Römer 8,14-17 am 14. Sonntag nach Trinitatis

„…dass wir Gottes Kinder sind…“

Vor zwei, drei Wochen ist in Deutschland der Film „Babys“ angelaufen. Er begleitet vier Babys in vier Ländern vom ersten Atemzug bis zum ersten Schritt. „Ein hinreißender Dokumentarfilm über das Leben“ wird der Film beworben. Mari aus Tokio, Bayar aus der Mongolei, Hattie aus San Francisco und Ponijao aus Namibia sind die Stars des Films, vier Babies, die uns lehren wie verschieden und wie gleich sich Kind-sein auf dieser Welt gestaltet.

„Zwei von ihnen leben fernab der Zivilisation, die beiden anderen mitten in der Großstadt. Sie sind Einzelkind oder Teil der Großfamilie. Doch so unterschiedlich ihre Herkunft ist, so verschieden die Kulturen, in denen sie aufwachsen – wenn Babys krabbeln, glucksen und lachen, klingt es überall auf der Welt gleich.

In zeitlicher Abfolge dokumentiert der Film die Entwicklung der Kinder und macht in wunderbar authentischen Bildern deutlich, dass es keine Rolle spielt, ob sie in einer Jurte oder in einem Hochhaus-Apartment ihre Umgebung entdecken, lachen und weinen, Vertrauen und Ängste entwickeln, Geborgenheit suchen und Liebe finden. Denn im Laufe eines Jahres mausern sich alle vier Babys vom hilflosen Säugling zum selbstbewussten kleinen Individuum.“ (http://www.film.de/Babyies).

„Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Liebe Gemeinde, wenn der Apostel Paulus von den Kindern Gottes spricht, dann schwingt immer beides mit: das Vertrauen und sich-Ängsten, die Suche nach Geborgenheit und die Unbefangenheit, das Kleine und Abhängige, die Hilflosigkeit eines Säuglings …

– aber auch das Selbstbewusstsein des Individuums, das Wachsen und Reifen und Entwickeln einer Persönlichkeit, der Mut und das Streben nach Unabhängigkeit.

Denn wir sind nicht nur die niedlichen kleinen Kinder,
sondern Gottes Erben in der Welt.

Und wenn wir uns in beides einfinden, dann gewinnen wir daraus Kraft fürs und Lust aufs Leben.

Beides gewinnen:

II.
Erstens: Die Hilflosigkeit des Säuglings, die Unbeholfenheit der Kleinen, die Sehnsucht nach Geborgenheit, das Sich-führen-lassen.

Kinder sind Kinder und keine kleinen Erwachsenen.

Darauf hat der Bonner Psychiater Michael Winterhoff in seinen Büchern „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ und „Tyrannen müssen nicht sein“ aufmerksam gemacht.

Dass in unserer Gesellschaft Kindern oftmals viel zu viel zugemutet wird, weil sie nicht mehr in den Grenzen und Begrenzungen der Kindheit, nicht mehr in ihrem Unterschieden-sein von den Erwachsenen wahrgenommen werden.

Man muss nicht alles teilen, was dort steht, aber die Frage, die sollten wir an uns ran lassen: Wo werden unsere Kinder überfordert, weil wir ihnen Rollen aufdrängen, die sie in ihrer Persönlichkeit gar nicht zu verarbeiten in der Lage sind?

Im Zusammenhang mit unserem Predigttext gewinnen Winterhoffs Thesen noch einmal eine neue Dimension:

Kann es sein, dass wir in der Tradition der Aufklärung stehenden Menschen, die mit der Aufklärung sich zwingen, jede Naivität abzulegen, uns eben darin selbst maßlos überfordern?

Weil wir gar nicht mehr Kinder sein wollen.
Nicht mehr die, die Gott suchen als den Raum von Schutz und Geborgenheit.
Die Gott „Vater“ und „Mutter“ nennen mögen.
Die sich von ihm führen und leiten lassen wollen.
Und sich doch irgendwo tief im Herzen nichts sehnlicher wünschen als dies: Sich vertrauensvoll in seine Hand zu geben.

Und die vielleicht deshalb, weil sie für sich selbst die Rolle des Kindes nicht mehr zu übernehmen bereit sind, sie auch unseren Kindern nicht mehr zugestehen?

Kinder, ihr Lieben, sind keine Erwachsenen.

Und wir Menschen sind nicht Gott.

Dass wir Gottes Kinder sind, hält uns im notwendigen Gegenüber, das uns erlaubt, uns vertrauensvoll an ihn zu wenden: „Abba, lieber Vater“. Und gibt uns wohl die Kraft, die wir fürs Leben brauchen.

Wir sind Kinder Gottes…

III.
Und darin, zweitens, auch die, die eine selbstbewusste Persönlichkeit entwickeln, nach Freiheit streben und sie als Erben Gottes in der Welt leben.

Kinder erobern sich neugierig die Welt. Unbefangen tasten sie sich vor ins Leben. Und wagen viel.

Vielleicht hat Paulus diesen Drang, sich die Welt zu erschließen, vor Augen, wenn er von der Freiheit der Kinder Gottes spricht: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, durch den ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern einen kindlichen Geist…“

Kind Gottes sein zu dürfen, macht uns frei von den vielen Kräften, die an uns zerren und die auf uns einwirken.

Angefangen vom mangelnden Selbstwertgefühl, dem nun gesagt wird: „Sei still! Du bist Gottes Kind!“;
über das müde Sich-einfügen in den Trott des Alltags, das eingeladen wird: „Kind Gottes, entdecke die Welt!“
über die ängstliche Resignation der vorgehalten wird „Du bist Kind, nicht Knecht, gestalte die Welt!“
bis hin zum Erstarren angesichts des Todes, dem die Herrlichkeit des Auferstandenen vor Augen gestellt wird: „Als Kind bist du Miterbe seiner Auferstehung! Sei ohne Sorge!“

Die Bindung an Gott birgt die Freiheit in der Welt in sich. Und macht Lust aufs Leben, es zu entdecken und zu lieben.

IV.
Wir sind Kinder Gottes: Den Säuglingen gleich hilflos und unbeholfen und doch auf dem Weg zum selbstbewussten Leben als Kinder Gottes.

Ihr Lieben, lasst uns werden, was wir sind: Kinder Gottes, die an seiner Hand den Schritt ins Leben wagen. Jeden Tag neu.

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