Um Gottes willen - frei!

Predigt zu Kol 1,13-20

am Karfreitag, 7. April 2023

in der Kreuzkirche zu Bonn

 

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
 
Liebe Gemeinde, 
„Du sollst nicht verloren gehen!“ - das ist gut zu hören, in Zeiten, in denen sich so manch eine Menschenseele so verloren vorkommt, weil so vieles verloren ging: 
 
Verloren die Euphorie, es könnte vorbei sein mit den Kriegen wenigstens in unserer Nachbarschaft und Versöhnung sein zwischen den ehemals verfeindeten Blöcken.
 
Verloren die Annahme, es ließe sich der Klimawandel aufhalten mit Blumenbeeten und Jutetaschen.
 
Verloren die Hoffnung, der Kapitalismus würde sein Versprechen von Wohlstand für alle jemals einlösen.
 
Und dazu im eigenen Leben, all das, was nur Du verloren hast in den letzten Wochen, Monaten und Jahren.
 
Da kenn ich die ein oder andere Seele, die geneigt ist, angesichts dieses Verlierens und all der Verluste sich selbst zu verlieren: Kraftlos, mutlos und hoffnungslos zu werden.
 
Karfreitag: Am Kreuz hängt einer, der scheinbar verloren hat: Die Macht des Bösen hat ihn da hingebracht. Am Ende gar der Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.“ Kann man verlorener sein als dieser? 
 
Und doch ist dieser eine Verlust ein Gewinn für alle. Kein Betriebsunfall der Geschichte, sondern Gottes Plan für eine verlorene Welt und Menschen wie Du und ich: 
 
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
 
Damit Du in all deiner Verlorenheit und der Verlorenheit der Welt dennoch Dich und diese Welt nicht verloren gibst, darum ist es gut, heute Karfreitag und in drei Tagen Ostern zu feiern.
 
II.
Da werden wir dann singen: 
„Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit…“
 
und 
 
„Er ward ins Grab gesenket, / der Feind trieb groß Geschrei; 
eh er‘s vermeint und denket, / ist Christus wieder frei 
und ruft Viktoria, / schwingt fröhlich hier und da,
sein Fähnlein als ein Held, / der Feld und Mut behält.“
 
Allein: Es ist noch nicht Ostern und in der Dramaturgie des Kirchenjahres der Sieg noch nicht errungen.
Müssen wir uns also zuerst einmal in „Tränen niedersetzen“?
 
Liebe Gemeinde, Verlierer singen für gewöhnlich keine Hymnen. 
Diese gehören den Siegenden oder jenen, die noch darauf hoffen dürfen, einen Sieg erringen zu können.
 
Für gewöhnlich ist der Karfreitag darum auf Moll gestimmt. 
Leise die Töne. Karg die Worte. Stille.
 
Umso überraschender, aber vielleicht auch umso wohltuender ist da der heutige Predigttext. Denn der stimmt ganz andere Töne an.
 
Ein Hymnus ist uns überliefert und heute zu bedenken vorgeschlagen. Ein Loblied. 
Es findet sich im Kolosserbrief, den ich ihnen empfehle, an diesen Tagen einmal ganz lesen: Ein Brief, voller Osterfreude und der Überzeugung, dass um Gottes Willen das Leben siegt.
 
Aus diesem Brief nun also heute diese Töne: 
Kolosser 1,13-20
 
Gott hat uns errettet aus der Macht der Finsternis 
und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, 
in dem wir die Erlösung haben, 
nämlich die Vergebung der Sünden. 
 
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, 
der Erstgeborene vor aller Schöpfung. 
Denn in ihm wurde alles geschaffen, 
was im Himmel und auf Erden ist, 
das Sichtbare und das Unsichtbare, 
es seien Throne oder Herrschaften 
oder Mächte oder Gewalten; 
es ist alles durch ihn 
und zu ihm geschaffen. 
 
Und er ist vor allem, 
und es besteht alles in ihm. 
Und er ist das Haupt des Leibes, 
nämlich der Gemeinde. 
 
Er ist der Anfang, 
der Erstgeborene von den Toten, 
auf dass er in allem der Erste sei. 
 
Denn es hat Gott gefallen, 
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen 
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, 
es sei auf Erden oder im Himmel, 
indem er Frieden machte 
durch sein Blut am Kreuz.
 
III.
Liebe Gemeinde, wir gehen davon aus, dass hier ein älterer Text verwendet wird, einer, der wohlmöglich in den Gemeinden in Gebrauch war. Ein Text, der seinerseits anknüpfte an Bekanntes: Da ist zum Beispiel von der Schöpfung die Rede und vom Ebenbild Gottes; bekannte Motive aus Bibel und jüdischen Schriften. 
 
Dieser poetische Rückgriff auf Bekanntes wird uns kaum überraschen: denn das kennen wir ja aus unserem Leben, dass in Zeiten, die uns verunsichern, dass wir in diesen Zeiten gerne Halt suchen in dem, was wir kennen. 
 
Und dass Lieder, Texte und Gebete solche Ankerpunkte sein können, davon haben wahrscheinlich viele von Ihnen noch eine Ahnung. 
 
Generationen gingen mit den Worten des 23. Psalms durch die finsteren Täler ihres Lebens oder luden mit Paul Gerhardt ihr Herz zur sommerlichen Freude ein: „Geh aus mein Herz und suche Freud…“ und fügen sich mit „So nimm denn meine Hände und führe mich“ in ihr Schicksal bis ans seel‘ge Ende.
 
Gebe es Gott, dass auch unsere und nachfolgende Generationen noch solche Seelenschätze im Herzen haben für unsichere Zeiten und die letzten Tage des Lebens.
 
Ob unser Lied ein vergleichbares Potential hatte, vermag ich nicht abzuschätzen und will doch der Spur gerne folgen:
 
„Warum“, frage ich mich, „Warum wurde dieses Lied in diesem Brief angestimmt?“ Und: „Liegt darin vielleicht ein Grund, in das Lied einzustimmen?“
 
IV.
Wenn ich den Kolosserbrief lese, dann gewinne ich eine Fantasie, in welche Situation der Gemeinde hinein er geschrieben ist.
 
Ich stoße auf eine große Verunsicherung, auf Gefühle von Ohnmacht und Verlorenheit. Da ist von Mächten und Gewalten und Engeln die Rede, die uns Menschen beherrschen, und von unserem Ausgeliefert-Sein an ihr Tun und Machen.
 
Das ist nahe bei dem, was ich zuweilen selbst erlebe und am Anfang der Predigt mit unserer Verlorenheit angedeutet habe: Weil es Herrn Putin gefällt, herrscht Krieg und wir sind ihm ziemlich ohnmächtig ausgeliefert. 
 
Weil wir beherrscht werden von Lebensmustern, kriegen wir die Kurve nicht, so zu leben, wie es gut und nötig wäre für diese Welt.
 
Und ich könnte daran jetzt noch viele Beispiele hängen, die beschreiben, wie wir Spielball von Mächten und Gewalten sind.
 
Offensichtlich – und das ehrt sie – gab es Menschen in Kolossä, die sich intensiv darüber Gedanken gemacht haben, wie sie aus dieser Ohnmacht und Verlorenheit herauskommen. Und sie versuchten es mit allerlei Riten und Verhalten, die sie nicht nur sich, sondern wohl auch anderen abverlangten. 
 
In diese Situation hinein nun wird unser Hymnus gesungen. 
 
V. 
In seiner ersten Strophe singt er von Christus und der Schöpfung, singt damit davon, dass alle Mächte und Gewalten, doch nur zeitliche Kreaturen sind: 
 
Denn in ihm, in Christus, wurde alles geschaffen, 
was im Himmel und auf Erden ist, 
das Sichtbare und das Unsichtbare, 
es seien Throne oder Herrschaften 
oder Mächte oder Gewalten; 
es ist alles durch ihn 
und zu ihm geschaffen. 
 
Das ist der erste Gedanke, der mir in unserer Zeit und angesichts meiner Ohnmacht hilft, und der mir Hoffnung schenkt: Denn er depotenziert, er entmächtig alles, was sich auf Erden mächtig rühmt und mit Gewalt brüstet: Es ist und bleibt doch nur kreatürlich. Und darum auch: Es ist und bleibt vergänglich. 
 
Der Schöpfergott, der die Welt ins Dasein geliebt hat, er überlässt sie nicht einfach den Mächten und Gewalten. Sie finden an ihm ihre Grenze und ihr Ende.
 
Es ist eine große Klammer um unsere Welt und unser Leben: Anfang und Ende, Alpha und Omega, Gott am Anfang und Gott am Ende, das umschließt uns und unsere Welt, ordnet alle Macht und Gewalt und Herrschaft ein.
 
Es gibt etwas, das unsere Welterfahrung übersteigt: ein Davor und ein Dahinter, von dem her und auf das hin alles läuft.
 
Das kehrt nun die Verhältnisse um: Die sich hier als mächtig und stark inszenieren, werden in diesem Blick nichtig und klein.
 
Das war damals und ist heute herrschaftskritisch und freiheitsbewusst:
Der Widerspruch zum römischen Kaiser und seinem Anspruch - etwa Garant eines ewigen Friedens – einer pax aeterna – zu sein, ist ebenso deutlich wie zu den Mächtigen heute, die imperialistische Größe anstreben und über zermürbende Kriege nicht hinauskommen.
 
Auch wer heute einen totalitären Anspruch auf alle Bereiche des Lebens erhebt, wird letztlich scheitern, und das ganz schnell schon an der inneren Freiheit derer, die darum wissen, dass alle Macht zeitlich und alle Gewalt vergänglich sind und sie selbst um Gottes Willen frei.
 
V.
Um Gottes Willen frei!
 
Dazu ist es gut, die zweite Strophe unseres Hymnus in den Blick zu nehmen: 
 
Und er ist das Haupt des Leibes, 
nämlich der Gemeinde. 
 
Er ist der Anfang, 
der Erstgeborene von den Toten, 
auf dass er in allem der Erste sei. 
 
Denn es hat Gott gefallen, 
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen 
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, 
es sei auf Erden oder im Himmel, 
indem er Frieden machte 
durch sein Blut am Kreuz.
 
Was macht uns frei vom Treiben der Mächtigen und Gewaltigen? Frei von den Zwängen des Lebens?
 
Für mich liegt der Schlüssel in jenem Satz: „Er ist der Anfang, 
der Erstgeborene von den Toten…“ 
 
Jenem Satz, der Tod und Leben zusammenbringt, Sterben und Geburt, Anfang und Ende.
 
„Er ist der Erstgeborene von den Toten…“ – und das macht uns frei!
 
Wenn ich es zu verstehen versuche, muss ich ein wenig um die Ecke denken und das einspeisen, was sich für mich auch aus der weiteren Lektüre des Kolosserbriefes ergibt: Was macht uns frei von Mächten und Gewalten? – Er ist der Erstgeborene von den Toten!
 
Der Tod ist ja ein Paradox. Er kostet uns ja nicht nur das Leben.
Vielmehr ist er es ja auch, der uns auf den ersten Blick frei macht. Denn der Tod löst uns aus allen Bindungen, allen Zwängen, allen Verpflichtungen – sehr zum Schmerz der Bleibenden, oft genug zur Erlösung der Sterbenden. In jedem Fall aber zum Preis des Lebens. Darum ist er auf den zweiten Blick das Ende, das Aus. Da ist kein Handeln mehr, kein Tun und Lassen, kein Lieben, kein Leben. 
 
Mit einem gewagten Gedanken führt der Kolosserbrief aus diesem Paradox heraus, denn er kann den Tod zusammendenken mit dem Leben, das sich zu leben lohnt: 
 
„Er ist der Erstgeborene von den Toten…“
 
Christus war tot und ist lebendig. Der Welt mit all ihren Banden, Bindungen und Zwängen, mit Gewalt und Hass und Tod ist er gestorben, aber nicht in die Passivität des Todes hinein, sondern in ein neues Leben, das frei ist von dieser Welt und ihren Zwängen.
 
Und wir folgen ihm nach in diese Freiheit. Dazu müssen wir selbst diesen Tod gar nicht mehr real sterben, weil Gott ihn starb und auferstand. Darin erwarb er die Freiheit von allen Mächten und Gewalten, den Kräften des Bösen und der Vernichtung ein für allemal.
 
Und ich und Du, wir haben in der Taufe Teil an dieser Freiheit, denn wir sind in der Taufe mit Christus gestorben und auferstanden. Wir leben in einer neuen Wirklichkeit, die frei ist von Mächten und Gewalten. Gott hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, in dem wir die Erlösung haben…
 
Es ist dies eine Wirklichkeit, in der ehemals Verfeindete heute miteinander Versöhnte sind. Eine Wirklichkeit, die in der Gemeinde gelebt und gestaltet werden soll.
 
An dem „Soll“ hören Sie, dass dieser Zuspruch: Du bist frei, ihr seid versöhnt, ihr seid nicht verloren – immer auch ein Anspruch bleibt: Richtet Euer Leben danach aus! Lebt Versöhnung! Seid einander Stütze und Halt!
 
VI.
Ob Sie damit was anfangen können für sich und Ihr Leben? Mit diesem Hymnus, der von Gott dem Schöpfer singt, von dem her und auf den hin alles geschaffen ist, und von dem Versöhner singt, der eine neue Gemeinschaft stiftet und ein neues Miteinander-Leben möglich macht. Ich wünsche es Ihnen.
 
Es stärke Sie, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren, indem Sie entdecken, dass, was immer geschieht, Gott die große Klammer um alles ist. Er ist der Anfang, er ist das Ende. Und was immer wir leben, was immer wir wagen, wo immer wir versagen: Es findet in dieser großen Klammer statt, die alles umfängt. Wir leben in Christus, wir leben in Gott. Und sind darin frei von allen Mächten und Gewalten.
 
So stärke es Sie auch, die Hoffnung nicht aufzugeben, und die Hände nicht in den Schoß zu legen. Es schenke Ihnen Kraft, anzupacken und zu tun, was geht. Es gebe Ihnen die Weisheit zu sehen, dass, was immer wir tun, immer nur zeitlich sein kann, immer nur begrenzt und nie genug. Es gewähre Ihnen die Freiheit der Kinder Gottes die zur Freiheit befreit und zum ewigen Leben berufen sind. 
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Denn „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
  

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