Wachsam und nüchtern

 

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-11
am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres
am 08. November 2020

in der Trinitatiskirche Bonn

 

Liebe Gemeinde,

das Kirchenjahr neigt sich dem Ende und nimmt damit mehr in den Blick als nur sein eigenes Ende. Die Themen von Vergänglichkeit, von Tod, von Ewigkeit rücken in die Aufmerksamkeit. Themen, an denen sich, wie ich meine, entscheidet, wie ich lebe im hier und jetzt. Es lohnt sich darüber nachzudenken.

Dazu lädt uns der Predigttext ein: 1. Thessalonicher 5,1-11:

Paulus schreibt:

Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein. Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da betrunken sind, die sind des Nachts betrunken. Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. Darum tröstet euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.

„So lasst uns nun nicht sein wie die anderen!“ – Liebe Gemeinde, das ist schon eine – ich denke gerade in diesen Tagen – gefährliche Sprache, die unseren Predigttext durchzieht. Wir und die anderen!

Wir im Licht, die Kinder des Tages – und die anderen in der Finsternis, die Kinder der Nacht. Wir helle und nüchtern; die da verschlafen und betrunken. Wir, angetan mit Panzer und Helm…

Vorsicht, Vorsicht!

Wir erleben leider viel zu viel Polarisierung nicht nur in Amerika, wo sie ein ganzes Land zerreißt. Sondern auch unter uns: Bist Du für oder gegen Maske ist nahezu zu einem Bekenntnis geworden, an dem sich eben nicht mehr nur die Geister scheiden, sondern eines, das die Gesellschaft spaltet. Mit immer rauerem Ton.

Und wer es lokaler haben will: Die Diskussionen in unserer Stadt scheinen immer weniger konsensorientiert geführt zu werden: Seilbahn ja oder nein! Melbbad Bebauung ja oder nein! Darüber kann und soll man streiten, natürlich. Nur scheint es mir so, dass wir in unserer Gesellschaft inzwischen im Handumdrehen im Eskalationsmodus sind, in dem ich nicht mehr streite, sondern nur noch polemisiere und polarisiere.

Streit, liebe Gemeinde, ist eine Form von Wertschätzung. Denn da bist Du es mir wert, dass ich mich mit Dir und Deinen Gedanken auseinandersetze. Polemik und Polarisierung aber haben keine positiven Ziele mehr, sondern zielen auf die Vernichtung des anderen, selbst auf die Gefahr hin, dass ich selber in den Abgrund stürze.

„So lasst uns nun nicht sein wie die anderen!“ Steht Paulus Pate für solche Polarisierungen und befördert er einen religiösen Fundamentalismus, der letztlich nicht nur verbal, sondern möglicherweise auch tatsächlich zur Gewalt führt?

Vorsicht!

2.

Vorsicht, vor vorschnellen Schlüssen.

Es lohnt sich genauer hinzuschauen.

Zunächst: Wie kommt eigentlich das Bild von Tag und Nacht in den Text?

Paulus verwendet ein sprachliches Bild, das auch an anderen Stellen der Bibel vorkommt, und das er als bekannt voraussetzt: „Ihr wisst selbst“, sagt er und spricht dann vom „Tag des Herrn“, der wie „ein Dieb in der Nacht kommt“.

Wir aber – so Paulus - leben nicht in der Finsternis, so dass uns der Tag des Herrn nicht erwischt wie ein Dieb in der Nacht.

Ich könnte es auch so sagen: Wir haben eine Ahnung davon, dass diese Wirklichkeit und diese Welt nicht alles ist, dass um Gottes Willen immer anderes möglich und denkbar ist, als wir uns vorstellen, hochrechnen und ausmalen; hören die Botschaft, dass der Tod vom Leben überwunden ist und in Gott Ewigkeit in Zeit und Raum.

Wenn der Tag des Herrn kommt, dann ist das für uns keine Überraschung mehr, auch wenn wir nicht wissen, wann, wo, wie…er kommt.

Denn wir leben im Licht des Ostermorgens. Wir alle!

Nicht wir sind es, die die Finsternis zu besiegen haben, sie ist bereits besiegt: „durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir zugleich mit ihm leben“ schreibt Paulus.

Und das gilt unabhängig davon, ob ich nun wachsam bin und nüchtern oder schläfrig und besoffen…was zeigt, dass auch ich mal zu jenen gehören kann, die in Nacht und Finsternis leben:

„Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben.

3.

Soweit so gut, aber was heißt das jetzt für uns?

Ich will ein paar Gedankensplitter mit ihnen teilen, vielleicht können Sie damit was anfangen.

Erstens: Das Bild vom Dieb in der Nacht – ebenso wie das von Paulus daran angeschlossene Bild von den Wehen, erinnern mich an die Unverfügbarkeit des Lebens.

Ich bin fern davon, alle Lebensereignisse gleich als Werk Gottes zu begreifen und den Tag des Herrn gleich da zu vermuten, wo Dinge passieren, die ich nicht geplant und vorhergesehen habe.

Aber es schadet auch nichts, sich tagtäglich mit Hilfe des biblischen Bildes, das das Große und Ganze in den Blick nimmt, schon im Kleinen und Banalen in die Unverfügbarkeit des Lebens einzuüben.

Und vielleicht wäre eine Lebenshaltung, in der wir offen sind für das, was wir nicht planen, gestalten und managen können, eine Lebenshaltung, mit der wir in der Corona-Krise besser leben könnten.

Damit komme ich zu einer zweiten Überlegung, die ich gerne an den Worten „Wachsamkeit“ und „Nüchternheit“ festmachen möchte, die im Übrigen bei Paulus gegen eine falsche Sicherheit gesetzt sind.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass sich mit dem Corona-Virus die Verwendung des Wortes „eigentlich“ ebenfalls exponentiell vermehrt hat.

Denn „eigentlich“ wäre ja was anderes als das, was ist. Eigentlich würde ich mich gerne treffen. Eigentlich würde ich gerne ins Kino gehen. Eigentlich wollten wir ein Konzert geben… Eigentlich.

Das Wort eigentlich ist ja ein interessantes Wort: Es signalisiert, dass das, was ist, nur von eingeschränkter Bedeutung und Wichtigkeit ist. Das, was nicht ist, ist dann wichtiger, bedeutsamer als das, was ist. Es ist das „eigentlich“ Wichtige.

Es kann auch signalisieren, dass dem, was ist, die Wirklichkeit abgesprochen wird. Denn eigentlich ist ja was ganz anderes, als das, was ist. Trump denkt ja auch, eigentlich habe er die Wahl gewonnen.

Insofern markiert der inflationäre Gebrauch des Wortes „eigentlich“ ein Stück Realitätsverweigerung und sollte uns daher, wo immer es gebraucht wird, kritisch werden lassen, wachsam und nüchtern.

Wenn mir Leute sagen: „Eigentlich finde ich Kirche ja ganz wichtig…“, dann ahne ich, was kommt.

Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?

Weil ich meine, dass wir gut daran tun, uns in unserem Leben nicht zu sehr aufzuhalten mit dem, was nach unserer Auffassung „eigentlich“ wünschenswert wäre, sondern uns den Realitäten zu stellen. Es ist Corona, wir können uns nicht treffen…

Wenn ich diese und andere Realitäten nicht als uneigentlich qualifiziere, in dem ich weiter von dem rede, was eigentlich wäre oder sein könnte, dann wird’s aber ja gerade interessant und herausfordernd: Was mache ich damit? Wie verändere ich das? Welche Hoffnung inspiriert und leitet mich? Wo ist Gott in dem, was jetzt tatsächlich und nicht nur eigentlich ist? Und welches Licht wirft der Ostermorgen darauf.

Für mich hat das viel mit Wachsamkeit und Nüchternheit zu tun.

Und was heißt das jetzt für die eingangs konstatierte Polarisierung?

Na ja, was würde ich machen, wenn ich wach bin, meine Familie im Haus aber noch schläft und der Dieb in der Nacht käme?

Natürlich würde ich mich um sie sorgen, würde sie wecken, würde sie in Sicherheit zu bringen versuchen.

Will sagen: Wir sind nicht gegeneinandergestellt, sondern einander an die Seite. Nicht Konfrontation, sondern Kooperation ist, das was geboten wäre.

Am Ende, liebe Gemeinde, spricht Paulus von Euch, der Gemeinde, spricht von Euch als einer Trostgemeinschaft, die sich untereinander tröstet und sich gegenseitig auferbaut.

 Dass wir füreinander da sind und miteinander Gemeinde, das gebe uns Gott. Amen.

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