Die Vision im Rücken
Predigt zu Apokalypse 1,8-18
am letzten Sonntag nach Epiphanias
in der Johanneskirche Troisdorf
Ich bin das Alpha und das Omega, spricht
der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.
Ich, Johannes, euer Bruder und
Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf
der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von
Jesus.
Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des
Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach:
Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden:
nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach
Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
Und ich wandte mich um, zu sehen nach
der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben
goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem
Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust
mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße
Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie
Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er
hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein
scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne
scheint in ihrer Macht.
Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen
Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir:
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war
tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die
Schlüssel des Todes und der Hölle.
„Ich
bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und
der kommt, der Allmächtige...“
Liebe
Gemeinde, volltönig ist er, der Seher Johannes, wo er Zeugnis gibt von Gott,
dem Ersten und Letzten und Lebendigen.
Kleinlaut
eher, wo er von sich selber spricht: Ich aber, euer Bruder Johannes...
Da
setzt sich einer ab von dem „ich“, das vorher spricht: „Ich bin das Alpha und
das Omega, ...der ist und der war und der kommt, der Allmächtige...“
„Ich
aber, euer Bruder Johannes, Mitgenosse an Eurer Bedrängnis“. Walter Jens
übersetz: „Ich aber, Euer Bruder Johannes teile eure Trauer...“
Es
wird schnell klar: Johannes hebt nicht ab und schwebt nicht in höheren Welten,
sondern er teilt mit den anderen die Trauer und das Ringen um Hoffnung in
unsicheren Zeiten.
Seht,
ihr Lieben, das muss man wohl machen als Christenmensch, der den Allmächtigen
in Rücken hat, mit anderen teilen: Die Trauer und die Geduld und die
Bedrängnis, das Leben eben:
wenn es nur die nicht gäbe
die elende tiefe des lebens
in die wir stürzen
nichts ahnend
wie von dämonen besessene schweine
aus heiterem himmel
dann und wann
etwa wenn sie ihre wunden zeigt
die lebensgeschichte
die dir auf den leib geschrieben
noch ehe du lesen kannst
an der du herumdoktorst
dein leben lang
ohne zu kurieren
an der zerbricht
die liebe, die du geliebt,
die freude, die du gefreut,
der glaube, den du geglaubt
zerbricht
dann und wann
und wenn nicht bei dir
dann neben dir
ganz in der nähe
und du ahnst
die elende tiefe des lebens
Der
ich eure Trauer teile. Seht ihr Lieben, das muss man wohl machen, als
Christenmensch, der den Allmächtigen im Rücken hat: teilen, die Trauer teilen, und die Angst und
die Mutlosigkeit und Resignation, die Bedrängnis und die elende Tiefe des
Lebens. An der Seite derer stehen, die das Leben preisgibt.
Der
Seher Johannes hat es wohl getan. Wir wissen wenig über ihn. Vermutlich hat in
den 90er Jahren gelebt, als Domitian Kaiser war und sich daran machte, die neue
Sekte der Christen zu verfolgen, mit ihrer beharrlichen Weigerung, die Gottheit
des Kaisers anzuerkennen. Wer aber den Allmächtigen im Rücken hat, der beugt
seine Knie nicht vor den Herrschern der Welt, wohl aber beugt er sich nieder zu
den Opfern, zu verbinden die Wunden und steht auf, dem „Rad in die Speichen zu
fallen.“
Dietrich
Bonhoeffer hab‘ ich im Blick, mit seinem Vortrag: „Die Kirche vor der
Judenfrage“: Im April 1933 nach dem inszenierten Boykott jüdischer Geschäfte
und dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit dem ersten
gesetzlichen Arierparagraphen. Früh also schon, schreibt Bonhoeffer: Es gäbe
angesichts des konkreten und falschen Handelns des Staates „eine dreifache
Möglichkeit des Handelns dem Staat gegenüber: erstens... die Verantwortlichmachung
des Staates. Zweitens der Dienst an den Opfern des Staatshandelns. Die Kirche
ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet,
auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde angehören. `Tut Gutes an jedermann´.
... Die dritte Möglichkeit besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu
verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen...“
Der
ich eure Trauer teile, eure Bedrängnis eure Geduld. Christenmenschen sind keine
Zuschauer, sie sind Teilhaberinnen und Teilhaber am Leben der Menschen,
Mitgenossen, Menschen mit einem Sinn für das Gemeinwesen, für Gemeinschaft,
Gemeinde – koinonia eben.
II.
Freilich
nun haben sie den Allmächtigen im Rücken: „Ich hörte hinter mir eine große
Stimme... und ich wandte mich um...“
Ich
finde dies schon bemerkenswert. Der Seher hat die Vision im Rücken. Er muss
sich umdrehen.
Umwandlung,
liebe Gemeinde, Kehrtwendungen zu dem Hin, der das A und O ist. Der Ruf zur
Umkehr, das „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ – das ist
der Ruf Jesu. Die Umkehr zum Leben, das ist unser Auftrag.
Freilich
unbequem. Wer im allgemeinen Trend die Umkehr wagt, der muss gegen den Strom
schwimmen. Es kann ihn das angenehme Leben kosten. Auf eine Insel haben sie ihn verbannt, den
Seher Johannes. Isoliert. Kaltgestellt. Bonhoeffer verbot man das Reden. Dann
sperrte man ihn ein, am Ende wurde er liquidiert.
Und
was wage ich?
Nein,
ich muss bekennen, dass ich nicht mutiger glaube als sie geglaubt, nicht treuer
bete als sie gebetet, nicht brennender liebe als sie geliebt, die, die damals
lieber ihre Haut und ihre Kirche retteten als dem Rad in die Speichen zu
fallen.
Woher
auch den Mut nehmen und die Kraft?
III.
„Ich
wurde vom Geist ergriffen am Tag des HERRN“. Es ist die einzige Stelle in der
Bibel, an der vom Tag des HERRN die Rede ist.
Ein
provokativer Titel, galt doch der Kaiser als „Herr“. Der Tag des HERRN,
domenica, der Sonntag ist gemeint: „Gott lob, der Sonntag kommt herbei.“ Sabbat
und Sonntag. Als Tage des Mutmachens. Der Vision.
Mag
sein, dass keiner von uns sieben Leuchter sieht und eine Lichtgestalt... Die Bilder
die die Seher sieht – seinen Zeitgenossen waren sie bekannt – die Posaune, die
die Erscheinung Gottes ankündigt; das Schwert als Ausdruck des Gerichtes;
gegürtet sein, um Recht und Gerechtigkeit durchzusetzen - all diese Zeichen
sind uns eher fremd.
Also
keine Visionen. Ist nichts mit dem Sonntag.
Oder
doch?
Wie
ist das bei ihnen?
Gehen
Sie nicht manches mal hier aus dem Gottesdienst, und es ist ihnen ein Licht
aufgegangen? Gestärkt und ermutigt für die Woche die vor ihnen liegt. War da
nicht, selbst bei einer ansonsten unverständlichen Predigt, der eine Satz, der
sie aufgerüttelt hat, ermutigt hat, gestärkt hat, gekräftigt und gegründet?
Das
eine Lied, dessen Melodie ihnen zu Herzen ging? Die sie begleitet auf dem Weg
durch die Zeit?
Und
dann noch dies: Sehen Sie sich um. Die Gemeinde. Ist es nicht so, dass manch
einer gar nicht um der Predigt willen kommt, sondern wegen der Gemeinschaft,
die er hier erlebt?
Die
am Sonntag hier versammelte Gemeinde Jesu Christi – achtet das nicht gering:
Sie trägt die Vision, dass einst kommen werden von Norden und von Süden, von
Osten und von Westen die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes. Sie ist der
Leib Jesu Christi auf Erden. Wenn wir dafür wieder einen Blick bekämen, das
wäre Vision genug.
Und
würde uns helfen gegen die blöde, billige Kirchenkritik, in der sich die Medien
üben und die Öffentlichkeit gefällt.
Ihr
Lieben, die gelebte Kirche ist mehr als alles Versagen ihrer Organisationen von
Rom und Köln über Düsseldorf bis Troisdorf.
IV.
Und
dann das Wort, das eine, das Mut macht, das frei macht, das aller Angst den
Grund und die Macht nimmt:
„Fürchte
dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot,
und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und habe die Schlüssel
des Todes und der Hölle.“
Ein
Anspruch, der sich querstellt zur Ideologie der Totalität menschlicher Macht.
Es sei der Kaiser von Rom oder der Führer in Berlin.
Ein
Zuspruch, der Zuspruch, der sich wie kein zweiter durch die Bibel zieht:
„Fürchte dich nicht!“ Begründet in dem einen Gott, neben dem es keine anderen
gibt: „Ich bin der HERR, dein Gott, der
ich dich aus Ägypten, aus der Sklaverei geführt habe – du sollst keine anderen
Götter neben mir haben.“
Das
erste Gebot, das Gebot, sich allein an den Gott, der frei macht, zu halten, ist
der Grund unserer Freiheit. Weil es nichts geben kann, was uns von seiner Liebe
trennen kann, selbst Tod und Hölle nicht, gewinnt das „Fürchte dich
nicht!“ seine Kraft.
Weil
er tot war – und „sieh mich an, ich lebe wieder“ gewinnen wir den Mut zum
Leben. Amen.
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