Bad der Wiedergeburt

Predigt zu Titus 3,4-7
am Christfest 2019 in der Johanneskirche


Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig – nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben seien nach der Hoffnung auf ewiges Leben.

Liebe Gemeinde, unser Text ist schön. Ich habe meine Freude daran gefunden: an der Freundlichkeit und Menschenliebe (Philanthropie) Gottes, an der Seligkeit - nicht um unserer Werke willen, sondern nach seiner Barmherzigkeit -, an der Erneuerung im Heiligen Geist, der reichlich über uns ausgegossen ist. Und dann natürlich, wenn schon Freude am „reichlich ausgegossen“, dann natürlich auch am „Bad der Wiedergeburt“.

Ach, es hat mich gewärmt, mich, den passionierten Fan der Badewannenmeditation, es hat mir alle Poren geöffnet, dass ich mich richtig hineingesetzt habe in diesen Text und zurückgelehnt. Das ist schon ein vitales Vollbad, sprudeln vor Sprache und Bildern und Gedanken, ein volles Vitalbad, gefüllt bis an den Rand mit Leben, seligem Leben.

Ach, liebe Gemeinde, wenn sie das mit ihnen tun würde, meine Predigt, dass sie Ihnen einhelfe in dieses Vollbad der Seligkeit, dass sie sich in diesen Text hineinsetzen wie in eine Badewanne und ausspannen und ihm die Wirkung überlassen und am Ende heraussteigen und sich wie neugeboren fühlen...

Ein Bibeltext als Vital-Bad: reinigend, selig machend, entspannend, erneuernd und vitalisierend.

Dass das mehr als leere Werbesprüche sind - machen wir die Probe aufs Exempel:

Reinigend:
„Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes...“ so lässt der Text das Wasser einlaufen. „Als aber erschien...“
Der Anfang ist bemerkenswert. Das „als“ zu Beginn benennt einen Zeitpunkt, das „aber“ qualifiziert diesen Zeitpunkt als Wendepunkt.

„Als aber erschien...“: da ist was neu geworden, anders. „Als aber...“, wenn so angefangen wird, dann muss man sehen, was vor diesem „aber“ stand. Ich sehe in die vorangehenden Verse und dort heißt es: „Denn auch wir waren früher unverständig, ungehorsam, gingen in die Irre, waren mancherlei Begierden und Gelüsten dienstbar und lebten in Bosheit und Neid, waren verhasst und hassten untereinander“.

Und nun heißt es „als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“, da wurde es anders mit uns.

Das Erscheinen Gottes in der Welt, die Begegnung mit der Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, wie sie in diesem geborenen Menschen Jesus von Nazareth ansichtig wurde, verändert Menschen.

Es ist immer wieder anrührend zu hören, wie bis selbst in die Situation von Kriegen hinein, die das Weihnachtsfest begleitende diffuse Ahnung von diesem Erscheinen der Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes Menschen verändert hat, so dass an Fronten wo der Krieg tobte, zu Weihnachten die Waffen schweigen konnten. Umso perverser, dass man hinterher genauso weitermachen konnte wie vorher.

Wer nur die Zehenspitze ins Wasser hält, der wird nicht rein, bei dem ändert sich nichts. Das ist eben der Unterschied zwischen Weihnachten und dem „Erscheinen der Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“.

Wer sich mit ein bisschen Weihnachtssentimentalität zufrieden gibt, wird von der „selig machenden“ Erscheinung Gottes in der Welt wenig spüren. Wer aber eintaucht in unseren Predigttext, der hört einen Anspruch heraus, der uns nicht weitermachen lässt, wie bisher.

Welch verändernder Anspruch: „Erscheinen“, „Freundlichkeit“, und „Menschenliebe“, das ist eine Terminologie, die die antiken Leser unseres Textes aus dem Kult um den Herrscher kannten.

Der Herrscher zelebrierte seine „Epiphanie“, seine Erscheinung, „Freundlichkeit und Menschenliebe“, die zu üben, war herrschaftliches Privileg, darum auch in sein Belieben gestellt und seiner Willkür anheimgegeben.

Der Predigttext reklamiert nun diese Attribute für einen anderen Herrscher. Damit wird die Wende, die das kleine „als aber“ signalisiert von ungeheurem Anspruch: Der Brief reklamiert die Herrschaft für Gott selbst. Wer in dieses Bad eintaucht, der tritt ein in einen anderen Herrschaftsbereich. Der wird von Menschen, Mächten und Machenschaften frei. Darum ist das Bad in diesem Predigttext „selig machend“

Selig machend:
„Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig...“ Das „machte er uns selig“ ist eine sehr freie aber sehr angemessene Übersetzung Martin Luthers. - Der griechische Text bleibt eher im Bild der Herrschaft, wenn es dort heißt: „rettete er uns“.

Ich frage mich, warum Luther für dieses „rettete er uns“ die Übersetzung „machte er uns selig“ wählte.

Ich denke, Luther kam es auf die Wirkung an, die das Retten Gottes auf uns Menschen hat. Gott rettet, das ist die Sicht von außen. Luther hat sich aber in den Text hineingesetzt und gefragt, was bedeutet das denn für mich: „Gott rettet“. Und die Antwort: Gottes Retten macht Menschen selig.

Ich denke, Luther hat damit das Retten Gottes in die Nähe unseres Empfindens gerückt. Das Wort „selig“ ist uns ja ganz vertraut. „Rührselig“, „Leutselig“, „Weinselig“, „Selige Weihnachten“. Ich will nicht behaupten, dass damit das Wort „selig“ in seiner ganzen Dimension zu erfassen wäre.

Aber soviel scheint mir klar zu sein: selig, das ist ein Zustand eines veränderten Bewusstseins, beinahe eine Art „Trance“. Das ist ein Zustand, in dem mich die äußeren Gefährdungen nicht bedrücken, ein furchtloser Zustand, der Zustand jener Freiheit von Menschen, Mächten und Machenschaften, von dem ich eben sprach... Sie erspüren vielleicht, was mir vorschwebt, oder sag ich besser, worin ich schwebe, wenn ich mich in diesen Bibeltext eintauche.

Es ist schon sehr nahe bei dem, was so viele Menschen sich immer wieder zu Weihnachten wünschen: Diese Zeit des Glücks, des Herausgenommen-seins aus den Bedrückungen des Alltags, das Gefühl eines friedvollen Verbunden-Seins mit allen Menschen, den Verwandten zuerst.

Hoffnung vieler Menschen - leider zu oft enttäuscht. Warum? Ich denke, das hängt damit zusammen, dass sich die Menschen zu wenig auf das Entspannende der Botschaft einlassen:

Entspannend:
Gott macht uns selig, heißt es, „nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit“.

Wenn ich darüber nachdenke, wann wir mit unserer Familie den gewünschten „seligen Weihnachten“ am nächsten gekommen sind, dann waren das nicht die Weihnachten, an denen wir besonders viel dafür getan hätten, sondern die, an denen wir besonders viel dafür gelassen haben.

Anders als alles, was wir sonst „selig“ nennen, ist Gottes Seligkeit keine erworbene, sondern eine geschenkte. Nicht um der Werke unserer Gerechtigkeit willen, sondern aus seiner Barmherzigkeit heraus, leitet er die Wende in unserem Leben ein, die uns selig macht.

Vielleicht wirklich eher in der Badewanne als im großen Engagement, eher in der Muße als den Druck verspürend, endlich etwas zu ändern.

Wieviel Kämpfe haben wir in unserem Leben gekämpft, um es zu behaupten gegen Menschen, Mächte und Machenschaften. Welch ein Irrsinn an Energie und Zeit, das Leben zu gewinnen, das wir darüber im Grunde verloren haben. Und nun hören wir, dass die Seligkeit gerade damit nicht zu gewinnen ist, dass unser Dasein seine Berechtigung heute und in Ewigkeit nicht aus unserem Lebenskampf gewinnt und nicht mit unseren Niederlagen verliert, sondern einzig und allein aus Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe.

Vielleicht können sie auch die entspannende Wirkung dieser Botschaft erspüren, die uns nahelegt, uns der Menschenliebe Gottes anzuvertrauen, statt unser Leben selber meistern zu wollen.

Erneuernd
So wirkt das Bad in unserem Predigttext erneuernd, weil es uns in Gelassenheit übt.

An der altkirchlichen Tradition können wir lernen, wie schwer das Lassen ist. Wenn unser Text vom „Bad der Wiedergeburt“ spricht, durch das wir eintauchen in die Wirklichkeit des Menschenfreundlichen Gottes, dann spricht er von der Taufe.

Für die Täuflinge damals war das „Lassen“ wohl die schwerste Übung auf dem langen Weg zur Taufe. Wer lassen will, muss Hoffnung haben, dass im Loslassen der Gewinn liegt, und er muss Vertrauen können.

Die Täuflinge hatten ihre alten Kleider vor dem Taufbecken abzulegen. Kamen sie dann heraus aus der Taufe, dann wurden ihnen neue Kleider angelegt. Mit Milch und Honig wurden sie begrüßt im neuen, gelobten Land. Wer lässt, lässt hin auf die Hoffnung eines Neuen. Seine Hoffnung wird nicht enttäuscht, darum dieser Empfang im neuen Leben.

Auch das Neue verdankt sich einer Energie, die nicht aus uns kommt. Von Gottes Geist ist die Rede, der „reichlich über uns ausgegossen“ ist. Wer eintaucht in die gute Nachricht unseres Predigttextes, wer eintaucht in die Menschenliebe Gottes, wird anders daraus hervorgehen, als er hineingegangen ist. Das alte Leben ausziehen wie die schmutzigen Kleider, neu anfangen in der Freiheit der Kinder Gottes und neugierig entdecken, wie reich an Möglichkeiten diese Freiheit ist, das ist die Verheißung, die auf diesem Bad der Wiedergeburt ruht.

Vitalisierend
Vitalisierend also wirkt dieses Bad, verleiht neue Energien und eine Qualität von Leben, die das Prädikat „ewig“ verdient. Denn „ewiges Leben“, liebe Gemeinde, ist kein leeres Versprechen für den Sankt Nimmerleinstag, sondern das selige Leben derer, die sich mit Wonne ins Bad der Wiedergeburt setzen, die loslassen um die Freiheit zu gewinnen, ist die Seligkeit der Kinder Gottes, die sich geliebt wissen vom Anfang bis an das Ende der Zeit.


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