Ich will unter ihnen wohnen

Predigt zu Hesekiel 37,24-28 
in der Christvesper am Heiligen Abend, 24. Dezember 2018
in der Johanneskirche, der evangelischen Stadtkirche in Troisdorf

Liebe Gemeinde, als Predigttext zu dieser Christvesper ist uns ein Wort des Propheten Ezechiel vorgeschlagen.

Um Ihnen den Zugang zu erleichtern: Ezechiel, der ihnen auch unter dem Namen Hesekiel begegnen kann, lebte als Prophet in Babylon.

Er zählte zu den aus Jerusalem Verschleppten aus den babylonischen Kriegen im 6. Jahrhundert vor Christus.

Als Sohn eines Priesters des Jerusalemer Tempels wird er vorgestellt und vertritt ein Denken, das sich ganz eng mit dem Tempel und dem Tempelkult verbindet. Der Text setzt ziemlich unvermittelt ein:

Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle.

Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun.

Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.

Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein.

Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, damit auch die Völker erfahren, dass ich der HERR bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.

Gott, lass uns wohnen im Wort, damit Du unter uns lebendig wirken kannst. Hilf beim Reden und beim Hören und in beidem, hilf beim Predigen. Amen


Liebe Gemeinde,

ich habe immer schon gewohnt, Gott sei Dank.

Die Wohnung meiner Kindheit, das Elternhaus, die Buden während Ausbildung und Studium, die erste eigene Wohnung, dann die gemeinsame mit Frau und später den Kindern, die Wohnung jetzt…

Ich habe, Gott sei Dank, immer schon gewohnt.

Das unterscheidet mich von rund 860.000 Menschen in Deutschland, die keine eigene Wohnung haben. 52.000 davon leben auf der Straße.

Einen davon traf ich in diesem Jahr in Berlin. Klaus. Er hat inzwischen ein Dach über dem Kopf, hat mit dem Saufen aufgehört und macht jetzt Stadtführungen für den Verein Querstadtein.

Wohlsituierten und dabei sozial nicht völlig abgestumpften Menschen wie mir zeigt Klaus Seilwinder sein früheres Leben zwischen Spittel- und Gendarmenmarkt: Den „Bunker“, wie er das Gestrüpp an der Leipziger Straße nennt, wo er in einem blauen Plastiksack über Tag sein Hab und Gut verstaute, wenn er früh morgens zur Arbeit ging: Flaschensammeln im Revier, das Pfand am Abend eingelöst und gleich ausgegeben für Bier, Wein oder Schnaps, ehe er dann nach zehn Uhr sich sein Lager aus Pappe und Zeitungspapier in einem Spielhäuschen auf dem Spittelmarkt bereitete, bei Wind und Wetter – er hat es überlebt.

II.
Ezechiel hat sein Zuhause verloren.

Nebukadnezar II, der babylonische König, hat den Sohn eines Priesters am Tempel von Jerusalem deportiert. Mit der ersten Gruppe der Verschleppten sitzt er an den Flüssen Babylons und weint.

Ein Heimatloser, entwurzelt.  Der dann auch noch erleben muss, wie rund 10 Jahre später in einem neuen Feldzug die Babylonier auch noch den Tempel schänden und zerstören.

Den Tempel, jenen Ort, an dem nach seinem Glauben Gott Wohnung genommen hatte – zerstört. Gott ein Obdachloser… Unerträglich für den Priestersohn.

Vielleicht darum verheißt Ezechiel eine neue Zukunft und wird zum Propheten, malt, wie alle Heilspropheten ein Bild einer besseren Welt als Verheißung in die finsteren Gedanken, damit die in Schwermut betrübten, das Haupt erheben und Hoffnung schöpfen:

Friede wird sein. Das Volk wird zurückkehren und sie werden im Lande wohnen können - für immer, Kinder und Kindeskinder, sesshaft und frei und ohne Bedrängnis. Ein Herrscher aus dem eigenen Volk wird regieren, nicht einer aus Gnaden der Besatzer. Und Gott wird wieder einziehen in seinen Tempel, wird unter ihnen wohnen und ihr Gott sein.

III.
Weihnachten. Maria und Josef auf dem Weg zwischen Nazareth und Bethlehem, fern ab von Jerusalem und dem Tempel. Die Schwangere gebiert ein Kind. Der, von dem Himmel und Erde, Engel und Hirten und Weise aus fernen Landen künden, er sei Gottes Sohn, der wird in eine Krippe gelegt, denn sie hatten keinen Raum in der Herberge.

Später wird der Menschensohn sagen: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“

Und als er Einzug hält in Jerusalem, ohne Königswürde auf einem Esel reitend, da stürzt er im Tempel die Tische der Händler und Wechsler um und brüskiert eine Elite, die sich im Kult ebenso wie im alltäglichen Leben wohlig eingerichtet hatte.

Liebe Gemeinde, die Geschichte Jesu Christi erzählt die Geschichte des wohnungslosen Gottes weiter, des Gottes, der kein Obdach findet in den hohlen Ritualen des Tempels, den Opfern und Gebeten, dem die starren Mauern der Religionen kein Zuhause bieten, weil er nicht will. Des Gottes, der sich gemein macht mit den Menschen ohne ein Dach über dem Kopf und ein Bett für die Nacht.

Ein für alle mal macht die Geschichte des Jesus von Nazareth klar: Gott wohnt nicht in Tempeln und Kirchen, sondern will unter Menschen wohnen.

Kein Ort, liebe Gemeinde, wäre heilig genug. Kein Kult, liebe Gemeinde, würdig genug, keine Religion und Dogmatik weit genug, als dass sie Gott als Wohnung dienen könnten.

Und der Mensch?

IV.
Jener Mensch, der seinesgleichen das Obdach verweigert, der Mensch, der vertreibt und zerstört, in die Flucht treibt und ertrinken lässt…

Der Mensch, der die Würde des Menschen mit Stiefeln dröhnend niedertritt mehr als genug…?

Machen wir uns nichts vor. An uns liegts nicht!

Gott wird Mensch und wohnt als Mensch unter Menschen -
nicht, weil der Mensch heilig wäre.

Nicht, dass er per se der Erwählung Gottes würdig wäre.

Nein, liebe Gemeinde, dieser Mensch ist nicht aus sich heraus so heilig und so würdig, dass Gott unter ihm wohnen will.

Aber, und das hat Luther immer wieder unterstrichen: Es liegt nicht an unserem Verdienst und Würdigkeit, dass Gott sich unser annimmt, sondern gerade darum, weil wir sind, wie wir sind: Hilflos gegen das Böse, verstrickt in alles, was das Leben bedroht vom ersten Atemzug an, ohnmächtig gegen das Wüten der Welt, zaghaft in der Liebe und im Vertrauen – weil wir sind, wie wir sind, kommt Gott zu uns.

Gottes Liebe, sagt Luther, findet nicht vor, was sie lieben könnte, sondern sie schafft sich erst, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.

Gottes Liebe findet nicht vor, was sich zu lieben lohnte, sondern sie schafft sich dass, was sie liebt.

Gottes Liebe - führt Luther aus - „liebt, was sündig, schlecht, töricht und schwach ist, um es gerecht, gut, weise und stark zu machen, und so viel mehr sich verströmt und Gutes schafft. Darum nämlich, weil sie geliebt werden, sind die Sünder „schön“, nicht aber werden sie geliebt, weil sie „schön“ sind.“

V.
Damit wird klar: Gott wohnt unter den Menschen, damit es unter den Menschen anders wird, besser, schöner, liebenswerter, gerechter, weiser.

Damit der Mensch es lernt, den Menschen zu sehen, nicht nur den, der schön und liebenswert ist, sondern um Gottes willen auch den, der „nichts“ ist, wie Luther sagt:

Der Verstand freilich kann sich natürlicherweise nicht mit dem befassen, was nichts ist, das heißt mit dem Armen und Bedürftigen, sondern nur mit dem, was etwas ist, mit dem Wahren und Guten. Daher urteilt er nach dem Schein und nimmt das Ansehen des Menschen wichtig und urteilt nach dem, was augenscheinlich vorliegt.

Wo Gott aber unter uns Menschen wohnt, da lernen wir, dass Liebe sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, um es zu genießen, sondern dorthin, wo sie das Gute den Armen und Bedürftigen austeilen kann. Denn „Geben ist seliger als nehmen“.

Ich will unter ihnen wohnen, liebe Gemeinde, wenn es denn einen Ort gibt, an dem Gott wohnen will, dann ist es die Liebe. Und wenn es einen Tempel gibt, an den sich Gott bindet, dann jener, in dem Gottes Geist die Menschen zur Liebe leitet und führt:

Wisst Ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? fragt Paulus (1. Kor 3,16)

Doch, liebe Gemeinde, muss ich sagen, doch, ich weiß es. Seit jener Geschichte von dem Kind im Stall, den Liedern der Engel auf den Feldern, dem Rufen der Hirten und Beten der Weisen, doch ich weiß es: Gott will unter uns wohnen. Lassen wir ihn nicht draußen vor der Tür…

Amen.

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