Hiobsbotschaften


Predigt zu Hiob 14,1-6 
am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres 
in der Johanneskirche, der evangelischen Stadtkirche in Troisdorf

Als Gott der Herr die Welt schuf, am Anfang, da sprach er: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht. Und Gott schied das Licht von der Finsternis und nannte das Licht „Tag“ und die Finsternis „Nacht“.
Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

So ward am Anfang die Zeit.
Und sie wurde unterscheidbar, gegliedert, hat Rhythmus und Struktur: Abend und Morgen, Woche und Monat und Jahr.

Das Kirchenjahr mit seiner Abfolge von Sonntagen erinnert uns in dieser Zeit an Gottes Zeit: Seine Zeit und Geschichte mit uns Menschen, seine Verheißungen und seine Zukunft.

Heute, liebe Gemeinde, haben wird den Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres. Also nicht mehr den soundsovielten Sonntag nach dem Trinitatisfest, jener langen Zeit im Kirchenjahr, mit der man nicht so recht etwas anzufangen weiß, sondern endlich mal wieder ein Sonntag, der ein klar erkennbares Profil hat.

Worum geht es?

Am Ende des Kirchenjahres, wenn bei uns der Herbst seinen Höhepunkt erreicht und der Wind die Bäume entlaubt, erinnert uns das Kirchenjahr an unsere Vergänglichkeit, stößt uns an, zu bedenken, was unsere Gesellschaft allzu gerne zu verdrängen bestrebt ist: Das Sterben und den Tod.

Darum heute der Predigttext aus dem Buch Hiob, 14. Kapitel, die Verse 1-6.

Hiob kennen Sie vielleicht von den sprichwörtlich gewordenen Hiobsbotschaften: Den schlechten Nachrichten, die auf einen einprasseln: Freunde krank, Angehörige gestorben, Hab und Gut verloren…

Hiob, ein frommer Mann, so erzählt es die Bibel, wird zum Spielball einer Wette zwischen Gott und Teufel. Der wettet, dass man dem frommen nur genug Leid zufügen muss, und er wird Gott ins Gesicht absagen. Und so verliert Hiob Hab und Gut und erleidet den Tod seiner Lieben, wird krank am eigenen Leib und sitzt im Staub und hadert mit Gott und der Welt und des Menschen Dasein:

Der Mensch, vom Weibe geboren,
knapp an Tagen -
aber satt an Aufregung –
wie eine Blume geht er auf… - und wird abgeschnitten.
Und er flieht wie ein Schatten und bleibt nicht stehen.

Doch über einen solchen hältst Du deine Augen offen,
ja, ziehst ihn vor Dir zu Gericht.

Wer kann bewirken, dass von Unreinen Reines kommt?
Nicht einer!
  
Wenn festgesetzt sind bei Dir seine Tage,
die Zahl seiner Monate,
wenn Du seine Grenzen festgelegt hast,
und er sie nicht überschreiten kann,
so blick doch weg von ihm und lass ab,
dass er wieder, wie ein Tagelöhner, Gefallen haben kann an seinem Tag!

I.
Liebe Gemeinde, wenn sie von einem Prediger oder einer Predigerin denken, er oder sie stünde an Gottes Stelle, dann werden sie am Ende dieser Predigt enttäuscht sein. Denn sie werden finden, dass ich Hiobs Klage nicht ausreichend diskutiert, beantwortet und am Ende nicht zurückgewiesen und wiederlegt habe.

Müsste ein Prediger in Gottes Namen nicht dem Zweifel widersprechen.

Ich gebe zu, dass ich versucht bin, es zu tun. Zu sagen: Lieber Hiob, so geht das nicht! Die Vergänglichkeit des Menschen so zu gewichten. Ihn zu reduzieren auf eine verwelkende Blume und einen fliehenden Schatten, der am Abend immer länger wird, bis er sich letztlich ganz auflöst.

So einseitig kannst Du als frommer Mensch und ich als vielleicht frommer Christ nicht vom Menschen reden.

Und nicht von Gott. Denn Gott wirfst Du ja Erbsenzählerei vor, wenn er über ein so kurzes Leben dann auch noch zu Gericht sitzt. Das ist doch kleinlich, pedantisch und naiv.
  
Reichlich naiv, wenn Gott Gericht hält, um Menschen gerecht zu machen und Unreine rein. Als könnte ein Gericht Menschen verändern. Es ist doch klar, was dabei herauskommt: Kann etwa ein Reiner kommen von Unreinen? Wer kann bewirken, dass von Unreinen Reines kommt? Nicht einer!

Wenn Gott, so die Argumentation, dachte mit Gericht und Strafe könnte er was bessern, hat er sich gründlich getäuscht.

Wie respektlos sind Deine Gedanken, Hiob, Gott gegenüber?

Und ganz und gar zynisch wirst Du, wo Du vom Tagelöhner sprichst.

Der Tagelöhner lebt ja bekanntlich von der Hand in der Mund, weiß am Morgen nicht, ob er am Abend was zum Essen hat, und am Abend nicht, ob der Morgen Lohn und Brot beschert.

Nur gezwungen lebt der Tagelöhner ausschließlich im Heute.

Du aber idealisierst diese Not und wünschst Dir und uns, wie ein Tagelöhner ohne einen Blick in die Zukunft nur im Heute zu leben.

Wie zynisch! Zeig mir, Hiob zeig mir den Tagelöhner, der Gefallen daran hat, dass er nicht erwarten kann, was morgen sein wird, dass er nicht ein Geringstes an Erwartungssicherheit für die Zukunft hat.

Im Übrigen, und jetzt wird es philosophisch, entziehst Du jeder Verantwortung den Boden, wenn du das Leben von der Zukunft abkoppelst.

Denn Verantwortung braucht Zukunft, braucht die Perspektive, dass mich morgen jemand nach meinem Handeln heute fragt: Kann ich dann das, was ich heute tue, morgen verantworten?
Wo soll das hinführen, wenn du, nur weil wir Menschen sterben müssen, uns abkoppeln willst von aller Zukunft und damit auch aller Verantwortung?

Wie gesagt: Ich bin versucht, Hiob zurechtzurücken. Denn ich bin ja Theologe. Hab‘ studiert. Kenne Paradeantworten auf seine Worte. Von Althaus, Barth, Berger, Bultmann bis zu Zahrnt und Zink quer durch die Literatur theologischer Denker von A bis Z. Was könnte ich parieren!

Und wäre am Ende doch nur - wie Hiobs Freunde – und es lohnt sich das einmal nachzulesen: Wie die Freunde kommen und all ihre Weisheit gegen die Klagen und Fragen und das Zweifeln Hiobs ins Feld führen, wäre am Ende doch wie sie nur ein leidiger Tröster, arrogant genug zu glauben, dass mit mir die Weisheit stürbe.

Klammer auf: Vielleicht ist das die eigentliche Versuchung, in der ich mit dem ganzen Theologenstand stehe. Zu meinen, wir hätten Antworten auf die Fragen des Lebens. Klammer zu.

Liebe Gemeinde, vielleicht ist das das erste, was es aus dem Hiobbuch und von Hiob zu lernen gilt: Misstraut den schnellen Antworten, die so sicher und unverrückbar daherkommen.

Misstraut auch den Theologinnen und Theologen, die eure Lebensfragen mit Richtigkeiten beantworten, die auf den brodelnden Topf der Fragen immer einen passenden Deckel zu setzen wissen:

Auf das Leid der Welt die Verborgenheit Gottes,
auf die Gewissensplagen das Kreuz,
auf den Tod, die Auferstehung.

„So ist das, Hiob und Genossen: christlich gesprochen. Basta!“ Na gut, immerhin schließen wir unsere Reden meist mit „Amen“…

II.
Wie aber dann, liebe Gemeinde, mit Hiob reden?

Und das ist ja keine abstrakte Frage. Denn die meisten von uns kennen Menschen in Situationen, die mit der des Hiob vergleichbar sind:

Menschen, die wie Hiob, der seine Kinder verlor, trauern. Trauern um Menschen, die ihnen nahestanden, die sie geliebt und geschätzt haben.

Die meisten von uns kennen Menschen, die wie Hiob von Schmerzen und Krankheiten gequält werden.

Die meisten von uns kennen Menschen, die wie Hiob an Gottes Gerechtigkeit zweifeln.

Ja, die meisten von uns haben selbst Trauer, Krankheit und Zweifel erlebt und erleben sie noch. Wie also mit dem Hiob neben uns und in uns reden?

Ich denke, vor allem: ehrlich. Und das heißt, uns einzugestehen, was auch wir Christenmenschen an Ängsten, an Fragen, an Klagen angesichts des Leides und es Todes mit uns führen.

Der Tod ist grausam und schrecklich. Alle Versuche, ihn zu versöhnen, ihn hinwegzureden: Die Euphemismen, die Schönrednereien unserer Todesanzeigen sind biblisch unbegründet. Die Banalisierung des Todes ist ein schwacher Trost.

Die Bibel weiß nichts von Reinkarnation und weiß nichts von einer ewigen Seele. Der Tod ist realistisch: Der Mensch vergänglich, vielleicht nicht gerade wie eine Schnittblume aus dem Garten.
Und dennoch ist er vergänglich und seine Zeit fast immer zu kurz.
Wer etwas anderes sagt, ist ein Lügenprophet.

Denn dieses Leben hat Gott gegeben, dass wir es in Freude und Verantwortung leben, dass wir es genießen in der Fülle dessen, was uns gegeben ist. Daraus reißt uns der Tod heraus.

So sind Tod und Leben unversöhnliche Gegensätze. Erst, wer wie Hiob über den Tod klagen gelernt hat, wird auch ermessen können, welche Hoffnung und Befreiung davon ausgeht, die Auferstehung der Toten zu glauben.

Wer nicht mit dem Alten Testament diesem Leben verhaftet ist und es liebt und am Tod leidet, wird auch nicht neutestamentlich von Auferstehung reden können.

Christen sind Protestleute gegen den Tod. Nicht gegen die Menschen, die unter ihm leiden und in seinem Angesicht klagen und denen allzuoft ein „Jetzt ist aber mal gut…“ vermittelt wird.

Wie also mit Hiob reden? So, dass ich mir und ihm eingestehe, dass ich ja seine Erfahrung teile, mit ihm im Staube sitze, an seiner Seite, nicht im gegenüber.

III.
Vielleicht geht es dann gar nicht darum, mit Hiob zu reden, sondern wie Hiob zu reden.

Das Klagen wieder zu lernen. Das Trauern. Das Ringen mit Gott. Das Ringen um Trost. Das deutsche Wort Trost hat es mit Trotz zu tun. Trotzig sein. Gott klagen!

Hiob hat im Klagen, nicht im Antworten seiner Freunde, Trost gefunden. Und das heißt im Deutschen Ursprung: Festigkeit.

Wenig später spricht er selbst:

„Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er sich über den Staub erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch noch so dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen!“ (Hiob 19,25)

Da spricht eine gewaltige Zuversicht für dieses nun doch so geplagte Leben. Da spricht ein beeindruckendes Gottvertrauen aus dem Munde Hiobs: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“

Vielleicht ist das eine Erfahrung, die der oder die Klagende gerade an dem widerständigen Gegenüber, an Gott macht: Ja, die Klage rechnet damit, dass mein Erlöser lebt.

IV.
Dreierlei also lerne ich an Hiob:

Erstens: Eine gesunde Skepsis gegen alle religiöse Besserwisserei: Das, denke ich, brauchen wir dringend, damit die Kirche des Wortes nicht die der Worthülsen ist.

Zweitens: Eine realistische und nicht beschönigende Weise, den Tod zu denken und von ihm zu reden. Das denke ich, brauchen wir in einer Gesellschaft, die den Tod mal verdrängt, mal ästhetisiert und in beidem banalisiert.

Und drittens lerne ich, dass Hiob mit seiner Klage bei Gott die richtige Adresse gesucht hat, die ihn eine angemessene Antwort finden lässt. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Das brauche ich für meinen kümmerlichen Glauben, der ja nicht stärker und reifer ist, dadurch, dass er paar theologische Bücher mehr gelesen hat, als andere.

Zu diesem noch ein Letztes:
Dass für mich auf meine Fragen und Begegnungen mit dem Tod die Auferstehung Jesu Christi die tröstlichste aller möglichen Antworten ist, weil ich daraus die Hoffnung schöpfe, dass Gott uns auch im Tod nicht aus seiner Gemeinschaft fallen lässt, das möchte ich ihnen nicht verheimlichen, sondern immer wieder neu und gerne predigen.
  

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