Kühnheit des Glaubens
Predigt zu Jesaja 7,1-14 (in Auswahl)
für solche, die keine Angst vor der Angst haben
Heilig Abend 2017 - Johanneskirche Troisdorf
Liebe Gemeinde, wer ernsthaft
verstehen will, was in der Heiligen Nacht geschah, muss sein Ohr den Propheten
Israels leihen.
Den Propheten Israels, die mit ihren Worten Wunden rissen in die Felder
der Gewohnheit und ein weit Entlegenes hereinholten für den Tagelöhner, der
längst nicht mehr wartet am Abend[1],
oder für die Mächtigen, gottlos sich ängstigend vor der Macht, die nicht ihre
eigene ist… Weshalb eine Religion, die im Judentum wurzelt und auf die
Propheten Israels hört, niemals unpolitisch sein kann… Auch wenn die
Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag uns Kirchen das zum Vorwurf macht…
Aber Gott mehr zu vertrauen als unserer Angst, wird spätestens da politisch, wo
Politik aus Angst gemacht wird.
Der König Ahas hatte Angst. Angst vor
den Herrschern aus dem Norden, den Aramäern und dem Nordstaat Israel, die ihn
mit Krieg bedrohten. Da tritt ihm der Prophet Jesaja entgegen und konfrontiert
seine und unsere Angst mit der Verheißung und Zusage Gottes: Ich bin mit Euch.
Ich lese den Predigttext aus Jesaja 7
Es begab sich zur Zeit des Ahas, … da zogen Rezin, der König von Aram,
und Pekach, …der König von Israel, herauf nach Jerusalem, um es zu bekämpfen...
Da wurde dem Hause David angesagt: Die Aramäer haben sich gelagert in
Ephraim. Da bebte ihm das Herz und das Herz seines Volks, wie die Bäume im
Walde beben vom Winde.
Aber der HERR sprach zu Jesaja: Geh hinaus, Ahas entgegen…und sprich zu
ihm: Hüte dich und bleibe still; fürchte dich nicht, und dein Herz sei
unverzagt vor diesen beiden Brandscheiten, die nur noch rauchen...
Und sprich zu ihm: So spricht der HERR: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr
nicht!
Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen
vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe!
Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht
versuche.
Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu
wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen?
Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist
schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel, das heißt:
Gott mit uns!
I.
„Und es waren Hirten in derselben
Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des
Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie und sie fürchteten
sich sehr…“
Liebe Gemeinde, es ist ja nicht so,
als hätte die Furcht keinen Platz im Glauben. Die Hirten auf dem Felde trifft
sie, wie sie den König Ahas draußen an der Wasserleitung vor der Stadt traf,
und selbst die Ostergeschichte des Evangelisten Markus endet in Zittern und
Entsetzen. „Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“ (Mk 16,8)
Es ist nicht so, als wüsste der
Glaube nicht um die Angst und wäre Furcht etwas, was wir uns als
Christenmenschen nicht erlauben dürften.
Das ist gut zu hören in diesen
Zeiten, die so reich sind an Anlässen zu Furcht und Angst: Ein amerikanischer
Präsident, der zumindest schon einmal rhetorisch zu allem bereit ist, ein
russischer Präsident, den Großmachtphantasien antreiben, ein türkischer Präsident,
der sich zum Diktator wandelt, ein Nordkoreanischer Präsident, der die Muskeln
spielen lässt, ein spanischer Regierungschef, der nicht zum Reden bereit ist, eine
polnische Regierung, die faschistoide Züge zeigt, ein israelischer Präsident…
ein saudischer Prinz… ein ägyptischer… ein syrischer….
Und sie bringen die Welt aus dem Lot…
wieder einmal…
Damals bei König Ahas war es das
aufstrebende Assyrische Reich, das seinen Herrschaftsbereich ausdehnen wollte.
Die Aramäer und der Nordstaat Israel wollten sich dieser Expansion mit
Waffengewalt entgegenstellen.
Ahas, König in Juda, liebäugelt eher
damit, sich zum Vasallen Assyriens machen zu lassen. Das wollen die Aramäer und
Israel durch Krieg verhindern: In Jerusalem einmarschieren, Ahab entmachten, einen
neuen König einsetzen…
Der König hat Angst. Und er hat allen
Grund dazu.
Nein, grundlos ist die Angst nie.
Weswegen es auch nicht darum geht, sie einfach weghaben zu wollen:
Das versprechen ja nur jene zu tun,
die Angst vor der Angst haben, die nicht aushalten können, dass es keine
einfachen Lösungen gibt; die nicht wahrhaben wollen, dass nichts so bleiben
kann, wie es ist; die ihre eigene Angst verdrängen, indem sie so tun, als wäre
sie die Angst der andren…
Es geht nicht darum, die Angst zu
verdrängen, sondern sich ihr im Glauben zu stellen: „Glaubt ihr nicht, so
bleibt ihr nicht!“ ruft der Prophet dem König zu. „Fürchtet euch nicht!“ die
Engel den Hirten.
II.
Wie aber soll das gehen?
Was heißt das: Glauben im Angesicht
der Furcht?
Jedenfalls nicht, sich mit religiösen
Floskeln selber trösten. Glaube, liebe Gemeinde, ist ein Wagnis. Zum Glaube
gehört Mut.
Der Mut, sich nicht mit religiösen
Phrasen zu begnügen, sondern Gott mit all seinen Verheißungen in den Ohren zu
liegen, nicht müde zu werden, ihn zu erinnern und zu fordern.
Mir macht es das Gespräch zwischen
dem Propheten und dem König deutlich:
„Du darfst Dir ein Zeichen fordern“ -
der Prophet.
Und der König: „Das will ich nicht,
ich könnte den Herrn versuchen“.
Da spricht einer völlig richtig aus,
was geboten ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen…“ Ja, das
ist richtig!
Aber richtiger Glaube, korrekter
Glaube, sie machen nicht nur Menschen müde, sondern auch Gott.
Die Provokation des Propheten ist die
Ermutigung zur Kühnheit des Glaubens, zur Chuzpe des Glaubens. Ihr Lieben,
lasst Euch doch nicht ins Korsett des rechten Glaubens zwingen, lasst Euch in
all Eurer Angst und dem Leiden an der Welt nicht besänftigen mit dem frommen
Gerede vom allmächtigen Gott oder dem holden Knaben im lockigen Haar.
Sondern habt den Mut, Gott
herauszufordern: „Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen.
Lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum
Lobpreis auf Erden“ Das ist der Appell eines späteren Propheten (Jes. 62,12)
unter dem Namen Jesaja.
Nicht die religiöse Besänftigung
hilft unserer Angst, sondern die Kühnheit des Glaubens. Die Kühnheit des
Glaubens, die sich nicht scheut, den in Versuchung zu führen, der selbst
Menschen versucht –
Das setzt ja die Vaterunserbitte „Und
führe uns nicht in Versuchung…“ voraus, dass Gott Menschen in Versuchung führt.
Sollten wir Gott weniger zumuten dürfen, als er uns zumutet?
Deshalb, liebe Gemeinde, ist der
Vorstoß des Papstes, die Bitte so zu formulieren, dass es nicht mehr Gott ist,
der uns in Versuchung führt, leider auch nur ein religiöser Weichspülgang.
Ein Gott aber, der nicht mehr in
Versuchung führt, an dem wir uns nicht mehr reiben, mit dem wir nicht mehr
ringen können wie Jakob am Jabbok, ein solch langweiliger Gott macht nicht nur
Menschen müde, sondern gar Gott selbst:
„Ist’s euch zu wenig, dass ihr
Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen?“
III.
Und dann setzt dieser Gott von sich
aus ein Zeichen: „Eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären,
den wird sie nennen Immanuel, das heißt: Gott mit uns“.
Welch eine Kühnheit bewiesen die
jungen Christen, dass sie dieses Prophetenwort auf den hindeuteten, den sie als
Gottes besonderes Zeichen, erkannten.
Es ist die Verkündigung der Geburt
Jesu durch Maria, die sie mit der Verheißung Jesajas in Verbindung brachten: Da
tritt der Engel zu Maria und spricht: „Siehe, du wirst schwanger werden und
einen Sohn gebären, dem sollst Du den Namen Jesus geben“ und gegenüber Joseph
spricht der Engel: Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was
der Herr durch den Propheten gesagt hat, der spricht: „Siehe, eine Jungfrau
wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen
Immanuel geben, das heißt: Gott mit uns.“
Das Zeichen, das Jesaja dem Ahas
ansagt, wird zum Zeichen für die Völker der Welt, den Tagelöhnern auf dem Felde
angesagt: Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden, das Kind in Windeln
gewickelt.
Welch eine Kühnheit, zu glauben, dass
in diesem Kind, Gott selbst zur Welt kommt. Dass in diesem herumlaufenden
Wanderprediger sich der Immanuel vorstellt. Dass sich in seinem Schrei am
Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“, dass sich
ausgerechnet in dieser Gott-Verlassenheit zeigen soll, dass Gott mit uns ist.
Aber, liebe Gemeinde, wer es nicht
wagt, den Glauben ins tatsächliche Leben zu holen, wer ihn in frommen Worten
und Liedern einlullt, statt ihn dem Praxistest des Lebens zu unterziehen, der
hat nicht verstanden, worum es in der Heiligen Nacht geht.
Darum, liebe Gemeinde, ist es gut,
heute den Propheten Israels, wenn sie denn einbrächen durch die Türen der Nacht
und ein Ohr wie eine Heimat suchten, unser Ohr zu leihen.
Und den Propheten, wenn sie
aufstünden jetzt
In der Nacht der Menschheit
Wie Liebende, die das Herz des
Geliebten suchen,
ihnen unser Herz zu geben,
ein Herz, das glaubt und vertraut,
das klagt und schreit und sich fürchtet... - und glaubt, der Angst zum Trotz.
Amen.
[1] Nelly
Sachs, Fahrt ins Staublose. Gedichte, Frankfurt a.M. 1961/1988, 92. ff. Den
Hinweis auf das Gedicht gibt Magdalene Frettlöh in GPM 72 (2017) 55ff.
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