Vater, vergib Ihnen, denn Sie wissen nicht, was Sie tun...
Infantile Gesellschaft und reifer Glaube...
Predigt zu Lukas 23,32-49 an Karfreitag 2017 in der Johanneskirche
Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden.Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu.Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Predigt zu Lukas 23,32-49 an Karfreitag 2017 in der Johanneskirche
Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden.Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu.Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
I.
„Und das Volk stand da und sah zu.
Aber die Obersten spotteten... Es verspotteten ihn auch die Soldaten...Aber
einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn...“
Allgegenwärtig der Spott und die
Häme. Das Ablachen auf Kosten anderer. Wer am Boden liegt oder am Kreuze hängt,
hat Spötter in Fülle.
Dem Gekreuzigten aber kommt kein
Protest über die Lippen, sondern „nur“ die Bitte an den Vater: „Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
„Denn sie wissen nicht, was sie
tun...“ Wie Kinder in der Phase ihres Trotzes nicht wissen, wo die Grenze ist,
die Grenze, die zu übertreten den anderen verletzt, entwürdigt, jenseits derer
der Schmerz beginnt und die Wut.
Sie wissen nicht, was sie tun...
Liebe Gemeinde, wir leben in einer in
weiten Teilen unreifen Gesellschaft. Der Vormarsch der Comedy, die Flut der
Blödsinn-Videos auf Youtube, der allgegenwärtige Spaß am Spaß, das Jagen von
Gag zu Gag, der Spott ist mir nur ein
Zeichen für meine Behauptung der Unreife unserer Gesellschaft. Der Populismus
ein anderes: Versprich einem Kind eine Süßigkeit, und Du hast es gewonnen…
Auf der anderen Seite der Medaille
stehen die kollektive wie die individuelle Unfähigkeit zu Trauern, Schuld
einzugestehen, Verantwortung zu übernehmen.
In unserem Kontext von Kirche etwa
sichtbar in der Sehnsucht nach einer Wohlfühlreligion, der es um die
Lebensthemen von Schutz und Bewahrung, Liebe und Geborgenheit, um die Erfüllung
tiefer menschlicher Sehnsüchte geht und um Fragen des Selbstwertes und der
Selbstwerdung. „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten…“ –
der Taufspruch-Hit der letzten zwei Jahre.
All dies Themen, die, befragt man die
Entwicklungspsychologie, ihren Ort in sehr frühen Phasen des menschlichen
Lebens, in der Kindheit, haben.
Andere Themen, die sich erst in
späteren Entwicklungsstufen des Lebens stellen, dazu gehört der Umgang mit
Schuld und Schuldgefühlen, mit ethischen Konflikten, mit der Begrenztheit und
Endlichkeit des Lebens, diese Fragen werden verdrängt und mit ihnen in der
Kirche die Passion, der Karfreitag und das Kreuz.
Längst ist der Karfreitag nicht mehr
der höchste protestantische Feiertag und auch das Osterfest mutiert zu einem
ähnlich dem Weihnachtsfest hoch kommerzialisierten
Frühlings-Freude-Einkaufs-Fest, dem die Ernsthaftigkeit der Todeserfahrung und
der Auferstehung fehlt.
Und das Volk steht da und schaut zu.
II.
Wie seinerzeit am Kreuz. Gafft und
glotz, sensationslüstern und letztlich unbeteiligt.
Und der am Kreuz?
Er ringt um diese und damit um unsere
teilnahmslose Gesellschaft bis zum letzten Atemzug.
Kein anderes Evangelium hat die Szene
am Kreuz derart ausgestaltet als einen großen Dialog, in dem der Gekreuzigte
bis zum Letzten das Gespräch aufrecht erhält zwischen dem Vater im Himmel und
den Leidensgenossen auf Erden: „Er ist ein Mittler worden“, heißt es in alter
liturgischer Sprache.
Auf dass die Zuschauer zu Beteiligten
werden. – Wie es am Ende heißt: „Und als alles Volk, das dabei war und
zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten
wieder um.“
Dazwischen aber das Ringen des
Gekreuzigten. Allein drei der sieben Worte Jesu am Kreuz sind bei Lukas
überliefert. Und sie sind allesamt Sondergut des Lukas, finden sich also in
keinem anderen Evangelium.
Hören wir hin:
III.
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Das erste Wort Jesu am Kreuz ist bei
Lukas eine Bitte um Vergebung.
Lukas setzt damit in der Theologie
des Kreuzes einen eigenen Akzent: Nicht das Opfer Jesu am Kreuz bewirkt eine
Vergebung der Schuld, sondern die Fürsprache des leidenden Gerechten beim
Vater. Nicht Sühneopfer, sondern Fürbitte. Und sie geschieht um derer willen,
die sich keiner Schuld bewusst sind: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen
nicht, was sie tun.“
Und wer weiß schon, was er tut? Trotz
oder vielleicht gerade angesichts der Fülle an Informationen, die uns heute
zugänglich sind:
Die Dimension unseres Handelns in
einer globalisierten Welt ist für uns gar nicht mehr fassbar. Sie gleicht dem
berühmten Flügelschlag eines Schmetterlings, der jenseits des Ozeans zum Sturm
werden kann.
Wir könnten es vielleicht, aber wir
wissen nicht, was wir tun.
Jesu Vergebungsbitte gilt aber gerade
denen, die sich keiner Schuld bewusst sind. Sie ist auch nicht daran gebunden,
dass mir bewusst wird, dass ich schuldig bin in meinem Leben. Sie geschieht
ohne die Vorbedingung eines Schuldbekenntnisses, sondern sie ist gerade darin
begründet, dass wir uns keiner Schuld bewusst sind: „denn sie wissen nicht, was
sie tun.“
Mehr noch. Diese Bitte erfolgt auch
nicht in der Absicht, den anderen die Augen zu öffnen über ihre Schuld, sie
ihrer Schuld zu überführen und sie ihnen bewusst zu machen. Nein, am Anfang
steht die Vergebungsbereitschaft Gottes.
Und erst am Ende schlägst Du Dir an
deine eigene Brust und kehrst um.
IV.
Erst vor diesem Hintergrund ist der
Dialog mit den beiden Mitgekreuzigten zu verstehen.
Im Licht dieser vorbehaltlosen
Vergebung gelangt der eine zur reifen Erkenntnis über sich selbst und zu der
Bitte, im Gedenken Jesu aufgehoben zu sein, während der andere auf Distanz
bleibt, Spötter bleibt. Vielleicht ein wenig abtastend: „Bist du nicht der
Christus? Hilf dir selbst und uns!“ – Es könnte ja vielleicht doch was dran
sein...
Bei wie vielen Spöttern entdecke ich
diese unschlüssige Unsicherheit. Und es ist, als sollte ihr Spott ihnen nur
helfen, unbeteiligt bleiben zu können, die Fragen des Lebens nicht wirklich
stellen zu müssen.
Nun finde ich es aber wichtig, dass
Lukas in seiner Kreuzigungsgeschichte keine Aussage über diesen distanzierten
Zeitgenossen trifft. Es geht kein Wort der Verdammnis über die Lippen des
Gekreuzigten.
Dem anderen, dem, der sich einlässt
auf diesen Gekreuzigten, wird das Paradies verheißen. Daraus aber zu schließen,
dass der, der sich nicht darauf einlässt, verdammt würde, ist keine zwingende
Interpretation und kein gültiger logischer Schluss.
Es geht im Glauben an Jesus Christus
nicht um die ewige Verdammnis, sondern um das ewige Leben, es geht nicht um ein
Verstoßen, sondern um ein Gewinnen, nicht um ein Verurteilen, sondern um ein
Vergeben. Bis zum letzten Atemzug.
V.
Und nun das letzte Wort: „Vater, ich
befehle meinen Geist in deine Hände...“ Abba, steht da, Papa. Ganz
vertrauensvoll. In der Finsternis der Todesstunde legt Jesus seinen Geist, den
Odem des Lebens, zurück in Gottes Hände.
Die „Kunst zu Leben“ ist das eine,
die „Kunst zu Sterben“ das andere, was den Glauben ausmacht. In letzterer, der
„Kunst zu Sterben“ zeigt sich wohl, ob wir reif geworden sind im Glauben und
zum Leben.
Die unreife Gesellschaft amüsiert
sich zu Tode. Der reife Glaube aber lernt beizeiten das Sterben, um des Lebens
willen.
Darum, liebe Gemeinde, sollten wir
uns den Karfreitag nicht ersparen.
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