Inkulturation des Evangeliums

Ansprache zu Lukas 2
An Heilig Abend 2015


Weihnachten weltweit: Rund um den Globus wird sie erzählt, inszeniert, gefeiert, diese eine Geschichte von dem Gott, der Mensch wird.

Erzählt in unterschiedlichen Sprachen,
inszeniert in vielfacher Gestalt,
gefeiert auf unzählige Weisen.

Vor ein paar Wochen zur Freude der Hochkulturellen hier gesungen als Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs mit Pauken und Trompeten und heute erzählt als Youtube-Video der Jugendkultur. Die eine Geschichte.

Die eine Geschichte, die es ja so gar nicht gibt.

Schon die Evangelisten erzählen sie vielstimmig. Markus kennt sie gar nicht. Johannes packt sie in Philosophie: Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott…
Matthäus erzählt sie ohne Krippe und Herberge als Fluchtgeschichte. Nur Lukas liefert die Bilder von Hirten und Engeln, weiß aber nichts von den drei Weisen aus dem Morgenland.

Wir selber haben uns längst aus ihren unterschiedlichen Erzählungen die unsere zusammengestellt.

Die Weihnachtsgeschichte, liebe Gemeinde, gibt es nur in der Vielzahl der Geschichten, die die Menschen erzählt haben, gefeiert, inszeniert.

II.
Und diese Geschichten, die wir daraus machen, sind geprägt von der Kultur, in der wir leben, von der Zeit und der Geschichte, die wir erleben.

Die Theologie spricht von der „Inkulturation des Evangeliums“, also dass das Evangelium, die gute Nachricht von der Liebe Gottes, Form und Gestalt annimmt der Kultur, in der es erzählt wird. Das Evangelium kriecht sozusagen in die Kultur hinein, findet seinen Platz im Petersdom in Rom ebenso wie in der Wellblechhütte der Favelas Südamerikas, wird anders erzählt in der Untergrundgemeinde in Teheran als in einer deutsch-protestantischen Volkskirche, spricht eine andere Sprache im zerbombten Aleppo als hier in der frisch-renovierten Johanneskirche.

Das Evangelium kriecht hinein in die Kultur und Lebensumstände der Menschen, um Glauben zu wecken, Hoffnung zu wagen, Liebe zu üben. Eine andere Sprache spricht es nicht als die der Menschen, die es hören sollen und denen die Zusage der Liebe Gottes gilt.

Schon Paulus hatte das erkannt, wenn er sagte: Ich bin den Juden wie ein Jude geworden und den Griechen wie ein Grieche. Ich bin allen alles geworden, nur um einige zu gewinnen. (1. Kor 9)

Inkulturation des Evangeliums.

Die gute Nachricht in tausenderlei Form und Gestalt, geprägt von der Kultur in der wir leben, erzählen, feiern…

III.
Darf das denn sein? Geht da nicht was verloren? Muss ich nicht, nein mehr noch, muss nicht die Kirche Hüterin sein der einmal erzählten Erzählung und der einmal gefundenen Form?

Liebe Gemeinde, es entspräche nicht dem, was da erzählt wird, wenn wir so denken, tun und handeln würden, und wäre auch nicht angemessen für den Gott, von dem wir reden.

Was wird erzählt? Und: Von welchem Gott reden wir?

Erzählt wird, dass Gott sich selbst aufgab und Mensch wurde. Mensch in einer ganz konkreten Geschichte – wie es ja gerade der Evangelist Lukas zu erzählen versucht: Zur Zeit des Kaisers Augustus, als Cyrenius Landpfleger in Syrien war… An einem ganz bestimmten geschichtlichen Ort: Bethlehem, ein Provinznest der Weltgeschichte bis dahin…

Gott geht ein in Zeit und Geschichte und Kultur der Menschen.

Von Gott her, liebe Gemeinde, ist Glaube immer zeit- und immer ortsgebunden.

Muss immer neu erzählt und inszeniert werden in der Kultur, in der wir leben, die uns prägt.

Warum ist mir diese Inkulturation des Evangeliums heute und in diesem Gottesdienst so wichtig?

Weil die Welt sich verändert hat. In dieser veränderten Welt ist es mehr denn je nötig, dass wir ein positives Verhältnis finden zur Vielfalt der Kulturen.

Nicht nur – aber es sei in diesem Gottesdienst einmal erwähnt – nicht nur der unterschiedlichen Kulturen zwischen Jung und Alt:

Da will ich euch aus der jungen Generation nur Mut machen, auch in den Fragen von Religion und Glaube eure eigene Kultur zu gestalten.

Ihr müsst Eure Wege finden, zu fragen, zu glauben, zu feiern… Und wenn es nicht unsere sind, dann, liebe Erwachsene, dann lasst uns nicht glauben, die Welt ginge unter, wenn sie sich nicht weiter so dreht, wie wir es gerne hätten… In Klammern sei gesagt: Vielleicht ist ja auch nur noch zu retten, wenn es nicht so weiter geht, wie wir das wollen… Klammer zu.

Nein, wenn Kirche Zukunft haben soll, dann nur mit den Menschen, denen die Zukunft gehört.

Mehr noch aber als die Unterschiede zwischen Jugendkultur und Erwachsenenkultur bewegen mich in diesen Tagen die unterschiedlichen Kulturen im Blick auf Heimat und Fremde.

Bis vor kurzem noch hieß Weihnachten weltweit für uns noch: Wir betrachten das Weihnachtsfest fremder Völker und Kulturen vom europäischen Standpunkt aus etwa so wie die Kinder die Affen hinter der Glasscheibe im Zoo. Fern und distanziert.

Aber so ist die Welt nicht mehr. Spätestens in diesem Jahr haben wir es zu spüren bekommen. Die Welt kommt zu uns. Kommt mit fremden Kulturen und Lebensgeschichten im Gepäck. Klopft plötzlich an unsere Grenzen, kommt an an unseren Bahnhöfen, steht plötzlich mitten in unserem Land, sitzt mit einem mal in unseren Schulen und geht durch unsere Straßen. Die Welt ist plötzlich hier!

Es gibt Menschen, denen macht das ungeheure Angst. Und wer weiß, wie viele heute hier sitzen, die ihre Angst teilen. Angst vor der Überfremdung. Angst davor, dass wir unsere Kultur verlieren könnten. Angst vor dem Untergang des Abendlandes.

Mit der Weihnachtsgeschichte kann ich Ihnen nur zurufen: „Fürchtet Euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren!“

Euch heute!

Die Geschichte von dem Gott, der Mensch wird, der eingeht in konkrete Geschichte und sich feiern lässt in konkreter Gestalt, liebe Gemeinde, diese Geschichte wird auch heute und in Zukunft erzählt werden.

Manchmal weiter so, wie wir sie kennen und von unserem Herkommen her mögen: Das Weihnachtsoratorium Bachs – ich wette - wird nicht totzukriegen sein.

Aber sie wird auch neue Form und Gestalt gewinnen, sich verändern im Gespräch und im Zusammenleben mit den Menschen, die hierhin kommen, die ihre Geschichten, ihre Kultur mitbringen. In der Begegnung mit ihnen werden auch wir uns verändern. In der Begegnung, vielleicht auch in der manchmal notwendigen Konfrontation, werden sich Kulturen verändern.

Aber für uns Christenmenschen ist das kein Grund, Furcht und Sorge zu haben. Denn weil Gott ein Gott ist, der mitgeht und seine gute Nachricht eine, die dem hier und heute immer wieder neu gilt, wird das Evangelium auch Einzug halten in die Kultur, die wir jetzt noch gar nicht kennen, die Kultur, die erst noch werden wird.

Aber noch einmal: Das Evangelium ist nichts Statisches, das es zu verteidigen gilt, sondern ein Ereignis, das hier und dort geschieht, dann und wann. Weil Gott kein zeitloses ewiges und unveränderliches Sein ist, sondern einer, der mitgeht durch Zeit und Raum, der Mensch wird, uns Menschen zu Gute, darum braucht kein Christenmensch Angst zu haben vor dem, was kommt.

Fürchtet Euch nicht! Nicht vor dem Fremden, nicht vor der Veränderung, nicht vor der Vielfalt, nicht vor dem Widerspruch, fürchtet euch nicht!



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