Liebeshunger

Predigt zu Jesaja 5,1-7

Liebe Gemeinde, der Text, den wir soeben gehört haben, er ist ein kabarettistisches Meisterstück. Doppelbödig und von jener Art, bei der man erst kräftig mitlacht, sich auf die Schenkel klopft und grölt, um im nächsten Moment vor Schreck zu erstarren: Ich bin gemeint, und der Witz, ist nichts anderes als ein Spiegel, den uns die Kabarettisten der besseren Art wie die Narren der alten Zeit vor Augen zu halten wissen.

Vielleicht wird es uns noch einmal deutlicher, wenn wir den Text ein wenig inszenieren.

Stellen sie sich den Propheten vor, selber unreiner Lippen unter einem Volk unreiner Lippen, berufen, den Auftrag des leidenschaftlich liebenden Gottes auszuführen: Sünde aufdecken, Strafe ankündigen für Rechtsbruch, Bestechung und Betrug, für Luxusleben auf Kosten der Armen, Sauferei und Unzucht. Wie kann er dies an den Mann, an die Frau, unters Volk bringen?

Er geht nicht in den Tempel, sondern in die Gassen Jerusalems, aufs Weinfest geht er. Feucht-fröhlich-frivole Stimmung stell ich mir vor, wie ich sie kenne aus meiner moselländischen Heimat: Man trinkt, man singt, man grabscht und macht Zoten, ordinär und laut, Wein, Weib und Gesang.

Da steht einer auf, tritt vor und ruft in das Gekreische und Gegacker:

Hört mir zu!
Ich singe euch das Lied meines Freundes von seinem Weinberg.

Das spitzt die Ohren. Ein Bänkelsänger. Vom Weinberg seines Freundes will er singen. Eine Weibergeschichte. War doch der Weinberg ein Bild für die Geliebte, gerühmt von ihrem Liebhaber. Was reizt wohl mehr als das Liebesleben anderer...
Ohren auf und hören:

Auf fruchtbarem Hügel,
da liegt mein Stück Land,
dort hackt ich den Boden
mit eigener Hand,
ich mühte mich ab
und las Felsbrocken auf,
baute Wachtturm und Kelter,
setzte Reben darauf.

Und süße Trauben
erhofft ich zu Recht,
doch was dann im Herbst wuchs
war sauer und schlecht...

Die Zuhörer werden lustig... Die hat er schon mächtig hofiert, der Liebhaber, seine Geliebte, der Bauer seinen Weinberg. Aber ist wohl abgeblitzt. Vergebliche Liebesmüh. Statt der süßen Trauben, nur saures saftloses Zeug. Ich seh’ die Herren, wie sie den Frauen bedeuten, dass sie die besseren Liebhaber sind und sie sicher herum und ins Bett gekriegt hätten...

Da bricht der Prophet den Gesang ab und ruft die Menge zum Urteil auf:


Jerusalems Bürger,
ihr Leute von Juda,
was sagt ihr zum Weinberg,
was täten denn ihr da?
Die Trauben sind sauer –
entscheidet doch ihr;
War die Pflege zu schlecht?
Liegt die Schuld denn bei mir?

„Nein!“ grölen die einen im Chor. „Jetzt geht’s los!“ die andern: „Ausziehn, ausziehn... Das wolln wir sehn. Undankbares Weib...“

Der Prophet winkt ab. Sie spitzen die Ohren. Jetzt kommt’s...

Er singt, nun als Weinbergsbesitzer:

„Ich sage euch Leute,
das tue ich jetzt:
Weg reiß ich die Hecke,
als Schutz einst gesetzt;
zum Weiden solln Schafe und Rinder hinein –
und die Mauer ringsum – die reiße ich ein!

Zertrampelnden Füßen
geb ich ihn preis,
schlecht lohnte mein Weinberg
mir Arbeit und Schweiß!
Ich will nicht mehr hacken,
das Unkraut soll sprießen!
Der Himmel soll ihm
den Regen verschließen!“

Sie klatschen und Grölen. „Recht so. Haut se, haut se eine auf die Schnauze...“ Applaus.

Der Prophet winkt ab. Ruhe kehrt ein. Er blickt in die wartende Menge.

Seine Stimme ist fest:

Der Weinberg des HERRN
seid ihr Israeliten!
Sein Lieblingsgarten,
Juda, seid ihr!
Er hoffte auf Rechtsspruch –
und erntete Rechtsbruch,
statt Liebe und Treue
nur Hilfeschreie!

Dann tritt er ab. Er hat gesagt, was er sagen muss.

Deutlich wohl. Ja, aber ohne Draufhauen. Erotik statt Ausrottung, Liebeswerben und Liebesschmerz. Poesie und Augenzwinkern. Ein Lied vom Schmerz verschmähter Liebe, voller Leidenschaft eines um seine Menschen eifernden Gottes; von der Verletzlichkeit eines enttäuschten Liebhabers, vom Leiden an der Liebe, an ihrer Vergeblichkeit und Resonanzlosigkeit. Ob es das gibt, so wie zwischen Liebenden, dieses „Vergeblich“, „Alles-vorbei“, ob es das auch bei Gott gibt, jenen Tod der Liebe.


II.
Liebe Gemeinde, das kennen wir, die Erfahrung der Vergeblichkeit. Da strengst Du dich an, aber der Erfolg bleibt aus. Hast gepaukt nach bestem Vermögen, und doch wieder danebengehauen. Hast Bewerbung um Bewerbung geschrieben – umsonst. Hast wirklich alles gegeben für das Kind und dann war scheinbar alles falsch. Hast dich aufgeopfert in deinem Job – und dann sagen sie dir, du seiest zu alt. Das kennen wir, wenn Lebensträume scheitern.

Und Liebesträume auch. Was ist schmerzlicher, als eine Liebe, die kein Herz findet? Als jenes Leiden an einer Liebe, die nicht erwidert wird, bei der dir die kalte Schulter gezeigt wird?

Liebe Gemeinde, der Prophet wagt es, die Schmerzen des „Umsonst“ auf Gott zu beziehen. Er ist kein gefühlloser, unwandelbarer, aseptischer Gott. Auch kein nur „lieber Gott“, kein Harmonie- und Wunschgott. Ihn treibt eine unruhige Liebe, eine, die Angst kennt und Sorgen, die auf Verletzungen mit Enttäuschung reagiert oder brennender Geduld. Darin ist sie der Liebe zwischen Menschen vergleichbar. Auch darin, dass sie Antwort haben will. Aber sie zwingt nicht. Sie gibt dem Geliebten die Freiheit, daraus das Gegenteil zu machen: Rechtsbruch, Liebesabbruch.

Gott also ganz menschlich! Diese Menschlichkeit seiner Liebe und ihrer Ratlosigkeit macht auch die Ankündigung der Preisgabe als letzte Möglichkeit verständlich. Der „allmächtige“ entäußert sich bis zum Eingeständnis seiner Ohnmacht: „Ich kann auch nichts mehr tun!“.


III.
Liebe Gemeinde, vielleicht ist das die Erfahrung Gottes, die die meisten von uns teilen. Sein Schmerz enttäuschter Liebe äußert sich nicht in Hass und Vergeltung, sondern nur in Unterlassung von Hege und Pflege.

So erleben sich viele, die enttäuscht werden vom Leben und sich selbst überlassen sind. Preisgegeben, ganz auf sich geworfen, nicht mehr angesprochen, angesehen, berührt. Kein Wort hören, keinen Blick finden.

Gottes Schweigen ist sein Gericht über die Welt. Der „Deus absconditus“, der verborgene Gott, wie Luther es nannte, der geschehen lässt, was geschieht. Der die Welt ihrer Autonomie überlässt, längst bevor die Welt diese Autonomie, diese Unabhängigkeit für sich selbst eingefordert hat.

Das aber ist der Habitus, die Grundhaltung der Welt in der Moderne: Ihre Autonomie, ihre Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit.

Wie mag es Gott ergehen, wenn er auf unsere moderne Welt schaut, wenn er die Menschen seines Wohlgefallens nicht mehr berühren kann, weil sie sich nur noch auf sich selbst verlassen?

Geht es ihm wie einem Vater, einer Mutter, die den Kummer eines in die Pubertät geratenen Kindes nicht lindern kann, weil das Kind alles, nur nicht diesen Trost will? Weil da kein Herankommen mehr ist?

Oder ist es die resignierte Verzweiflung, weil die Menschen die ihnen gewährte Freiheit so brutal verkehrt haben in Rücksichtslosigkeit. Der Schmerz über die Jahrhunderte der Gewalt, der Ausbeutung und Kriege und Vernichtungen von Lebensgrundlagen?

„Wohlan“, heißt es wenig später bei Jesaja (7,13): „wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist’s euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen?“

Liebe Gemeinde, ist Gott der Welt müde geworden? Hat er resigniert und aufgegeben?

IV.
Ihr Lieben, ich glaube, wenn dem so wäre, wir hätten diesen Text heute nicht zu hören bekommen. Wenn Gott aufhören würde, um uns und unsere Liebe zu werben, wir säßen nicht hier.

Die Liebe ist ins Gelingen verliebt. Gottes Liebe erst recht. Und so schickt er denn immer wieder und wieder seine Boten aus, verschont selbst seinen eigenen Sohn nicht, um wachzurütteln, aufzurütteln, um zu werben um die Menschen, die er liebt.

Dies ist der eine Auftrag, den wir als Christenmenschen in der Welt haben. Gottes liebendem Werben heute und hier in Troisdorf, mitten in der Stadt, Stimme und Gestalt zu geben.

Kreativ dürfen wir dabei sein, und frech und dreist – wie der Prophet auf dem Fest. Aus der Rolle zu fallen, oder sich der Formen zu bedienen, die der Welt gefallen, um als Kirche gehört zu werden, dazu macht mir der Prophet noch einmal Lust und Mut.

Sich nicht im Tempel mit richtigen Predigten zu verschanzen, sondern auf die Straßen und Gassen zu gehen, nahe bei den Menschen zu sein, auf dass sie hören und spüren: Gott liebt diese Welt. Der eine Auftrag: Gottes Liebesboten in der Welt zu sein.

Es kommt aber noch ein anderen Auftrag hinzu an uns als Kirche, und das ist der, Fürsprecherin für diese Welt bei Gott zu sein.
Die Bibel kennt eine ganze Reihe Geschichten, in denen Gott sich aus der Welt und von seinem Volk zurückziehen will und wo es einzelne oder Gruppen waren, die seine Treue einforderten.

Im Prophetenbuch bei Jesaja habe ich den Vers gefunden: „O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden“ (62,6f).

Also nicht nur vor den Menschen für Gott eintreten ist unsere Aufgabe, sondern umgekehrt ebenso, vor Gott für die Menschen und diese Welt einzutreten. Gott auf- und wachzurütteln, ihn anzufeuern, dass er nicht müde und matt wird, sondern der Hüter Israels ist, der nicht schläft noch schlummert.

Dazu verleihe uns der barmherzige Gott Wort und Stimme.
Amen.

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