Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser

oder: von Chaos und Kosmos, Leben und Tod.
Predigt zu 1. Mose 1 in der Sommerkirchen-Reihe "Wasser"

Ernest Hemingway erzählte 1952 in einer Novelle den Kampf des alten Fischers Santiago mit dem Meer.

84 Tage hat er ihm keinen Fisch entreißen können, als er wieder hinausfährt, weit hinaus in den Golf. Noch einmal will er es wagen, will siegen im Kampf gegen das Meer, den Hunger und die Vergeblichkeit.

Und es geschieht. Ein riesiger Fisch beißt an, der Kampf beginnt. In den blutig werdenden Händen hält der Fischer das Tau, an dem der Fisch zieht, hinaus aufs offene Meer, den Fischer samt Boot.

Zwei Tage kämpft er mit dem Tier, ehe es ihm gelingt, den erschöpften Fisch mit der Harpune zu töten.

Dann schleppt er das Tier am Haken durchs Meer zurück, die vermeintliche Trophäe eines Sieges hinter sich.

Doch Haie greifen an, der Fischer verliert seine Harpune, kämpft weiter verzweifelt mit dem Messer, bis es bricht, gegen die Räuber aus dem Meer. Doch sie bleiben Sieger.

Als er endlich erschöpft das Ufer erreicht, hängt an seinem Haken nur noch ein Skelett.

„Der alte Mann und das Meer“ gilt als Sinnbild des Kampfes des Menschen mit der Natur.

Eines Kampfes, der ewig ist, nie enden wird und nicht zu gewinnen ist.

Am Ende siegt die Natur eben doch über alle Kraft, alle Technik, alle Vernunft und alles Können des Menschen.  So war es, so ist es, so wird es bleiben.

Wer dazu jenseits der Literatur einen Anstoß zum Nachdenken braucht, der schaue sich doch noch einmal die Bilder der Flut in diesem Sommer an.

Die zerstörerische Macht des Wassers, die vernichtende Kraft der Fluten.

Menschen, Häuser, Hab und Gut, Vieh und Wagen… Die Macht der Zerstörung… Das Wasser.

Also nicht nur das erfrischende, belebende Element in heißen Tagen, nicht nur die Quelle des Lebens, nicht nur …

II.
Liebe Gemeinde,
die ersten Seiten der Bibel haben eine Ahnung davon, wenn sie die Geschichte des Wassers und mit ihr die Geschichte des Lebens und seiner Bedrohung so erzählen:

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war Tohuwawohu: wüst und leer, Irrsal und Wirrsal, Chaos schlechthin.

Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.

Jenem Element, das für sich genommen, noch kein Raum des Lebens ist. Tehom, nennen es die ersten Verse der Bibel: Urmeer, Abgrund, Chaos.

Ein Raum, in dem Leben an und für sich nicht möglich ist.

Und mehr ist das nicht und mehr wäre da nicht, wäre da nicht das schaffende, ordnende Wort unseres Gottes, der sprach: Es werde Licht.

Licht und Wasser, da erhält die lebensfeindliche Macht das Potential, Leben zu ermöglichen.

Alles Leben kommt aus dem Wasser. Und wenn die Weltraumforscher nach dem Potential für Leben auf fremden Sternen forschen, dann suchen sie nach diesem ursprünglichen Element: Wasser.

Inmitten nun dieser unendlichen Urflut, dieser Tehom, da schafft Gott einen kleinen, begrenzten Raum, in dem das Leben möglich wird:

„Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern.

Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so.
Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.“

Stellen sie es sich vor wie eine Taucherglocke inmitten des Meeres.

Dieser begrenzte Lebensraum, wird nun gestaltet mit Meer und Land und Gras und Kraut und Tier und Mensch.

Eine alte Erzählung der Schöpfung, die im Kern die Botschaft trägt, dass die Schöpfung der Flut, der Kosmos dem Chaos, das Leben dem Tode abgerungen ist.

In der biblischen Erzählung übrigens ganz nüchtern, fast schon naturwissenschaftlich. Erzählen die Mythen der Umwelt in jener Zeit von Götterkämpfen aus denen die Welt entstand, so hält die Bibel dagegen: Es braucht keine Gegengötter, das Leben ist den lebensfeindlichen Kräften und Gesetzen abgetrotzt.

Und sie behalten ihre Kraft auch nach dem siebten Tag.
Die lebensfeindlichen Mächte sind dem Leben zu eigen.
Das Wasser spendet Leben und bedroht es zugleich.
Die Natur ist Leben und nimmt es auch.

Gott muss immer wieder dem Leben das Leben abringen.

III.
Ein Weltbild, liebe Gemeinde, das sich für uns zu bedenken lohnt.
Denn es stellt unsere Haltung zum Leben noch einmal auf eine andere Grundlage.

Wir sind doch wohl eher so gestrickt, dass wir für normal halten, was die Bibel als Wunder begreift:

Dass Leben ist, ist nicht normal, sondern Wunder.
Dass Gesundheit ist, ist nicht normal, sondern Wunder.
Dass Ordnung ist, ist nicht normal, sondern Wunder.

Denn eigentlich ist das andere: Die lebensbedrohende Flut, die Mächte, die dem Leben feindlich sind, das Chaos, die Katastrophe.

Dass wir gesund sind, liebe Gemeinde, wir halten es für das, was eigentlich sein müsste und begreifen die Krankheit als Katastrophe. Dabei aber ist die Gesundheit das Wunder.

Dass Flüsse in ihren Betten laufen halten wir für das Normale und erschrecken über die Katastrophe, wenn sie wieder einmal über die Ufer treten.

Die Sicht unseres ersten Schöpfungsberichtes legt uns den Blickwechsel nahe: Dass die Katastrophe nicht der Alltag ist, das ist das Wunder.

Das Wunder, dass ein Gott schafft, der mit aller Macht den Kosmos gegen das Chaos, das Leben gegen den Tod möglich macht.

Mit aller Macht, aber nicht mit Allmacht.

Als am 1. November 1755 in Lissabon die Erde bebte flohen die Menschen zum Strand. Dort wurden sie von 15 Meter hohen Tsunami-Wellen ins Meer gespült. 60.000 Menschen fanden den Tod. Die katholische Kirche interpretierte die Naturkatastrophe als Strafe des allmächtigen Gottes für eine sündige Menschheit.

In Deutschland vor allem löste die Katastrophe ein kritisches Nachdenken aus, das in die Aufklärung mündete, an deren Wiege vorwiegend Protestanten standen.

Wer es heute versteht, das Erbe der Aufklärung anders als bloß historisch-kritisch mit der Bibel zu verbinden, macht überraschende Entdeckungen, die oft mit tradierten Dogmen im Konflikt liegen.

Die tradierte Auffassung von der Allmacht Gottes jedenfalls ist der Bibel fremd. Gottes Macht steht dort stets im Konflikt mit fremden und Gegenmächten.

Nicht der von Gott geschaffene Kosmos ist das Allumfassende, sondern das Chaos, in dem der Kosmos Gottes nur einen begrenzten und gefährdeten Lebensraum ausmacht.

Nicht das Hereinbrechen der Katastrophe ist eigentlich die Ausnahme, sondern ihr Ausbleiben.

Dass wir leben, ihr Lieben, das ist das eigentliche Wunder, das wir vielleicht nie recht zu begreifen und zu würdigen in der Lage sind.

Vor dem wir nur Staunen können: Kommt her und seht an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern.

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