"...damit diese Welt leben kann"



Predigt zu Johannes 6,47-51

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen…“

Liebe Gemeinde,

für den Evangelisten Johannes geht es ums Leben, wenn es um den Glauben an Jesus Christus geht, ums Leben von Anfang an.

Um des Lebens willen ist das Wort Fleisch geworden, weil Gott will, dass wir leben und dass diese Welt Leben hat.

Veronika aber beschließt zu sterben. 
 „Ihr Entschluss zu sterben hatte zwei einfache Gründe, und sicher würden viele Menschen sie verstehen, wenn sie sie in einer entsprechenden Erklärung darlegte.
 Der erste Grund war: Ihr Leben verlief gleichförmig, und wenn die Jugend erst einmal vorbei war, würde es nur noch abwärtsgehen. Sie würde altern, krank werden, Freunde verlieren. Letztlich würde Weiterleben nichts bringen, vermutlich nur mehr Leiden.

Der zweite Grund war: Veronika las die Zeitungen, sah fern und wusste, was in der Welt geschah. Nichts war so, wie es sein sollte, und sie konnte nichts dagegen tun. Und das gab ihr ein Gefühl vollkommener Ohnmacht.“(15)
Veronika beschließt zu sterben.

Was aber, ihr Lieben, lässt uns noch leben?

Ist es nur die Abgestumpftheit, die nicht wahrnimmt, wie viel Eintönigkeit und Sinnlosigkeit im Leben sind?

Veronika, die junge Frau aus Paulo Coelhos Roman „Veronika beschließt zu sterben“, „war zu dem Schluss gekommen, dass ihr Leben keinen Sinn hatte, weil alle Tage gleich waren“ (52), gerade in dem Moment, als sie fast alles erreicht hatte.

Oder lässt uns die Ignoranz gegenüber einer Welt, in der Nichts so war, nichts so ist, „wie es sein sollte“ leben?

Wovon leben wir?

II.
Im Johannesevangelium entfacht Jesus eine lebhafte Diskussion über das, was uns leben lässt, und das, was das Leben lebenswert macht.

Da hat er mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen 5000 Menschen satt gemacht und ein eindrucksvolles Zeichen göttlicher Macht gezeigt. Anschließend „zog er sich wieder auf den Berg zurück – er ganz allein“ (6,15).

Am nächsten Tag suchen ihn die Leute und finden ihn auf der anderen Seite des Sees, obwohl doch kein Boot hinübergefahren war.

Sie wundern sich: „Rabbi, wann bist du hierher gekommen?“ ( 6,25)

Er aber sagt zu ihnen: „Ihr sucht mich nicht, weil ihr die Zeichen verstanden habt, die ich vollbracht habe. Ihr sucht mich nur, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht ab für verderbliche Nahrung. Bemüht euch um Nahrung, die bis zum ewigen Leben vorhält.“

Und plötzlich steht im Raum, dass wir mehr zum Leben brauchen, als etwas zum Beißen zwischen den Zähnen, zum Arbeiten zwischen den Händen, zum Lieben zwischen den Schenkeln.

Veronika malt es sich aus, nach überstandenem Selbstmordversuch, das Leben, das sich für sie zu leben nicht lohnt:  

„Ich bin weiterhin jung, hübsch, intelligent, und ich werde weiterhin keine Schwierigkeiten haben, Männer kennenzulernen… Wir werden uns nicht viel zu sagen haben und es beide wissen… Ich ...versuche ein Buch zu lesen, schalte den Fernseher ein, um die ewig gleichen Programme zu sehen, stelle den Wecker, um zu genau derselben Zeit aufzuwachen wie am Tag zuvor, erledige mechanisch alle Aufgaben, mit denen man mich in der Bibliothek betraut. Esse ein Sandwich in der Grünanlage vor dem Theater, sitze auf derselben Bank wie immer zusammen mit anderen Leuten, die auch immer dieselben Bänke aufsuchen, um ihren Imbiss zu essen, den gleichen leeren Blick haben, aber vorgeben, mit unglaublich wichtigen Dingen beschäftigt zu sein….“ (28f.)

So kann es sein: Du hast, was Du zum Leben brauchst, aber Leben… Ist das schon Leben? Oder eher ein Vorgeben, mit unglaublich wichtigen Dingen beschäftigt zu sein, nämlich zu leben?

III.
„Was sollen wir tun?“ fragen die Leute Jesus.

Und der antwortet: „Glaubt an den, den Gott gesandt hat.“

Dazu fordern sie ein Zeichen, fordern das Außergewöhnliche, das, was die Eintönigkeit des Lebens bricht und knüpfen dazu an an das Manna, das Israel in der Wüste fand:

„Damals in der Wüste haben unsere Vorfahren das Manna gegessen. In der Heiligen Schrift steht: `Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.´ Darauf sagte Jesus zu den Leuten: `Amen, amen, das sage ich euch: Mose hat euch kein Brot vom Himmel gegeben. sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot Gottes ist der, der vom Himmel herabkommt und dieser Welt das Leben schenkt.´“ (6,31ff.)

„Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ (6,41)

Um es zu verstehen, liebe Gemeinde, müssen wir der Rede Jesu noch etwas weiter folgen:
"Amen, amen, das sage ich euch:
Wer glaubt, hat das ewige Leben.
Ich bin das Brot des Lebens.
Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen
und sind trotzdem gestorben.
Aber dies ist das Brot, das vom Himmel herabkommt.
Wer davon isst, wird nicht sterben.
Ich bin das Lebensbrot, das vom Himmel herabgekommen ist.
Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben.
Das Brot, das ich geben werde, ist mein Leib.
Ich gebe ihn hin, damit diese Welt leben kann." (47-51 – Predigttext)
IV.
„Wer glaubt, hat das ewige Leben – Ich gehe hin, damit diese Welt leben kann“,  sagt Jesus, und ich, ich beginne vorsichtig zu begreifen:

In der Wüste, im Auszug aus Ägypten, auf den Wegen unseres Lebens, da wird uns geschenkt, was wir zum Überleben brauchen. „Manna“ ist es, Nahrung auf dem Weg. Davon sollst Du sammeln, soviel du brauchst. Nicht mehr als das, was nötig ist für einen Tag. Gabe Gottes zum Leben im hier und jetzt. Unser tägliches Brot…

Zeichen seiner Verlässlichkeit und Treue. Luther hab ich im Ohr:
„Gott gibt das täglich Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.“
„Mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot“ - Missachtet es doch nicht, das täglich Brot, den gelebten Alltag, Güter und Gaben, die Menschen, mit denen wir es teilen in der Familie, in der Arbeit, der Schule. Ja auch: Die Eintönigkeit, die Wiederholung, das stets Gleiche… die Verlässlichkeit, mit der Gott gibt, was wir zum Dasein brauchen: Unser täglich Brot.

„Was heißt denn tägliches Brot?“ lässt Luther fragen und antwortet:
„Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und dergleichen.“
Nehmt es an mit Dankbarkeit, weil wir es zum Leben brauchen.

Aber verwechselt es nicht mit Leben. Nicht das „täglich Brot“ macht schon das Leben aus. Leben ist mehr:

V.
„Wer glaubt, hat das ewige Leben“, sagt Jesus. Und bricht mit einer bis heute gängigen Vorstellung, dass ewiges Leben ein Leben sei, dem erst nach dem Tod Relevanz zukommt.

„Wer glaubt, hat das ewige Leben“ – nicht erst irgendwann einmal, sondern hier und heute im Glauben.

Es ist dies ein Leben, das nicht aufgeht im Haben und Halten und sich nicht verliert im Einerlei und der Gleichförmigkeit des Alltags.

Ein Leben, das frei und mutig ist, anders zu sein, als das gelebte Leben, das loslassen kann und aufbrechen, das vertraut und hofft und liebt. Ohne Berechnung und Kalkül.

Ein Leben, das hingeben kann, um zu empfangen. Eines, das gelebt wird im Bewusstsein der Möglichkeiten die Gott uns schenkt. Das sich nicht bindet an die Zeit, dass den Augenblick ergreifen kann, das Vergangene nicht verdrängt, die Zukunft nicht fürchtet.

Ein Leben, das im Kontakt bleibt mit Gott in Lob und Dank, in Klage und Fürbitte, das eigene Leben und diese Welt in Gott gehalten weiß. Weil es unsere Zeit und unseren Raum von Gottes Ewigkeit umfangen weiß.

Ein Leben schließlich auch, das darum weiß, dass die Ewigkeit dem Tod die Macht nimmt. Der Tod, er lebt davon, dass er ein Ende macht.

In einem Leben aber, das um die Ewigkeit Gottes weiß, verliert der Tod seine Macht. Der Tod hat keine Macht, darum, ihr Lieben, ist der Tod auch nie eine Lösung. Nicht in den Konflikten, die wir austragen, nicht in dem Leiden, das wir leben.. . Der Tod hat keine Macht. Er ist darum keine Lösung für die, die glauben. Denn sie haben das ewige Leben.

VI.
„Ich gehe hin, damit diese Welt leben kann…“ Liebe Gemeinde, um des Lebens willen ist Christus in die Welt gekommen, hat Gott unter uns gelebt, gelitten, ist gestorben und auferstanden. „…damit diese Welt leben kann“.

Damit diese Welt leben kann, ist die Ewigkeit in die Zeit gekommen, ist Gott in die Welt gekommen, ist den Tod gestorben und auferstanden. Damit diese Welt leben kann hier und heute und in Ewigkeit und ich in ihr und, das schenke uns Gott, Veronika und alle, die des Lebens müde sind, mit uns.

Amen.

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