Mutterland Wort



Predigt zu Jesaja 55,6-13


Damit wir, liebe Gemeinde, heute schon einmal – wenigstens anfänglich – in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden, darum hören wir heute Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja, aus dem 55. Kapitel, die Verse 6 bis 13.

In den Kapiteln 40 bis 55 des Jesaja-Buches sind Worte eines uns unbekannten Propheten gesammelt, der mit dem Propheten Jesaja nicht identisch ist. Aus den historischen Umständen erkennen wir, dass zwischen beiden mehrere hundert Jahre dazwischen liegen. Der zweite Jesaja schreibt zur Zeit, als sich die Herrschaft der Babylonier, die den Tempel zerstört und die Oberschicht nach Babel deportiert hatten, als sich die Herrschaft der Babylonier ihrem Ende zuneigt. Hören wir den Propheten:


Suchet den HERRN, solange er zu finden ist;
ruft ihn an, solange er nahe ist.
Der Gottlose lasse von seinem Wege
und der Übeltäter von seinen Gedanken
und bekehre sich zum HERRN,
so wird er sich seiner erbarmen,
und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,
und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR,
sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde,
so sind auch meine Wege höher als eure Wege
und meine Gedanken als eure Gedanken.
Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt
und nicht wieder dahin zurückkehrt,
sondern feuchtet die Erde
und macht sie fruchtbar und lässt wachsen,
dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen,
so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein:
Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen,
sondern wird tun, was mir gefällt,
und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Denn ihr sollt in Freuden ausziehen
und im Frieden geleitet werden.
Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen
und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.
Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln. Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen
und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.


Erbarme dich /
Herr /
meiner Leere /
Schenk mir /
das Wort /
das eine Welt /
erschafft.
Amen.

Liebe Gemeinde, diesmal habe ich mit Worten der Dichterin Rose Ausländer gebetet.

Gebetet, dass das geschieht, was wir hören: Dass geschieht ein Wort, das mehr ist als hohle Phrase, ein Wort, das nicht leer bleibt, ein Wort, das eine neue Welt erschafft voll Freude und Friede.

Dass Rose Ausländer, die in Czernowitz, in der Bukowina, im Mai 1901 geborene Jüdin, in ihrer Biografie den Verlust der Heimat, das Leid vieler Menschen, das Zerbrechen von Beziehungen erleiden musste, dass sie erleben musste, das Gottlose dreist ihre eigenen Wege gingen und Übeltäter ihre Gedanken Wirklichkeit werden ließen, das trieb Rose Ausländer in die Emigration ins Wort:

„Mutterland“ heißt eines ihrer Gedichte:


Mutterland

Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer

Ich lebe in meinem Mutterland
Wort


Ich lebe in meinem Mutterland Wort.

Manchmal können wir uns ja in ihm heimisch fühlen, aufgehoben und geborgen, im Wort, das in mir nachklingt, mich tief drinnen berührt und von außen hüllt: „Ich liebe dich“, etwa ist so ein Wort. „Ich vertraue Dir!“, „Ich lass Dich nicht allein!“. Oder schlicht: „Du“



Wir wohnen
Wort an Wort

Sag mir
dein liebstes
Freund

meines heißt
DU


dichtet Ausländer.

II.
Liebe Gemeinde, in der Flut der Worte, des täglich auf uns einströmenden Schwalls an Phrasen heute einmal das Gefieder der Worte streicheln, das will ich gerne tun.

Will entdecken, wie wunderbar das Wort ist, das der Schöpfer uns in den Mund gelegt hat: Was wir mit ihm nicht alles tun können!

Lieben und Aufbauen und Helfen und Heilen mit dem Wort.
Aber auch: Verletzen, Niedertreten, Trennen und Töten.

Welch eine Macht: das Wort.

Wir kennen es ja aus dem Alltag: Worte, die uns gut tun. Worte, die uns Mut machen. Worte, die wir wie einen Schatz in uns tragen möchten auf ewig.

Wie wir aber auch jene kennen, die uns kleinreden, fertigmachen können, verletzten können, schlimmer als Faust und Tritt; - und sie hallen Dir nach und in dir drin, da kannst Du die Ohren zuhalten wie du willst.

Welch eine Macht: das Wort.

III.
Der Prophet, den wir den zweiten Jesaja, Deuterojesaja nennen, weiß um die Macht des Wortes. Und braucht es drum mit aller Vorsicht: „Was soll ich predigen?“

Am Anfang seines Wirkens, als er den Auftrag erhält, zu predigen, da ist er sich seiner Verantwortung bewusst, weiß wohl, dass er nicht weiß, was er sagen soll: „Was soll ich predigen?“ fragt er.

Es ist ja nicht so, als wüssten wir immer das rechte Wort. Wer darum weiß, wie zerstörerisch ein falsches Wort sein kann, wird manchmal lieber schweigen, als Phrasen dreschen.

Der Prophet lässt sich Worte in den Mund legen, die helfen und heilen, aufbauen und ermutigen ein Volk, das deportiert wurde in die Fremde, vertrieben aus heiligem Land, dessen Tempel zerstört ist.


Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer

Ich lebe in meinem Mutterland
Wort


Ich lebe in meinem Mutterland Wort.

Vielleicht ist das die große Entdeckung des Propheten, dass dort, wo alles geraubt und verloren ist, ein Wort noch bleibt.

Wo das Volk zu resignieren droht, wo sie nicht glauben können, dass Gott noch für sie da ist, wo doch der Tempel zerstört ist, die Zeremonien und Opfer, der ganze Kult ein Ende gefunden haben, dass dort Gott nahe ist in seinem Wort.

„Suchet den HERRN, da er zu finden ist. Ruft ihn an, da er nahe ist.“ ist eine Übersetzung, die vielen Übersetzern angemessener erscheint, als Luthers „solange er zu finden ist.“

„Sucht ihn, da er zu finden ist“ – nicht im heiligen Lande und nicht im Tempel, sondern im Wort.
Ruft ihn an, da er nahe ist – nicht am Opferaltar, nicht im Kult der Priester, sondern im Wort.

Religionsgeschichtlich eine riesige Entdeckung, dass das Wort es tut, was der Kult nicht mehr vermag:

Die Nähe Gottes im Leben der Menschen erfahrbar werden zu lassen.

Nicht in jedem Wort, sondern in Gottes Wort.

Darum: „Was soll ich predigen?“ Die Bitte um das Wort, in dem Gott zu den Menschen kommt, ihnen nahe ist, sich finden lässt.

IV.
Die Worte, liebe Gemeinde, die dem Propheten geschenkt werden, haben es in sich, oder sollte ich lieber sagen: „Ihn“, den ewigen Gott, in sich.

Es sind Worte, die trösten und aufbauen, die Mut machen und heilen, die eine Welt erschaffen bis heute hin:

„Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat…“

„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

„Weißt du nicht? Hast Du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Ende der Erde geschaffen hat, wird nicht müde und matt…Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.“

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“

„Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre; ich will meinen Geist auf deine Kinder legen und meinen Segen auf deine Nachkommen.“

„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Worte eines, der im Wort zu leben weiß und in ihm Trost zum Sterben findet.

Wie viele Menschen wohl in Not und Bedrängnis, in Angst und Leid, sich an die Worte jenes Propheten hielten und sich von ihnen gehalten wussten.

Und darin genau das erfahren haben, was der Prophet am Ende seiner Worte schreibt: „Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein. Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“

Erfahren haben, dass das Wort Gottes tut, was es sagt.

V.

Erbarme dich /
Herr /
meiner Leere /
Schenk mir /
das Wort /
das eine Welt /
erschafft.


Genau um dieses Wort geht es, und das Wort, das eine Welt erschafft. Wie damals am Anfang, als Gott sprach und es wurde und siehe, es war sehr gut.

So auch jetzt sein Wort, das wachsen lässt, das Neues werden lässt, das Menschen verändert und die Schöpfung jubeln lässt.

Das ist kein Wort, das wir uns selber sagen können: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken….“ Sondern eines, dass wir uns schenken lassen müssen.

Glücklich der Mensch, dem es gegeben ist, im rechten Moment das rechte Wort zu sagen. Eines, das aufrichtet und befreit.
Das zur Freude verhilft und zum Frieden.

Das eine Welt erschafft, in der die Berge und Hügel vor uns her frohlocken und alle Bäume auf dem Feld in die Hände klatschen.

Ein Wort, das geschieht, dem HERRN zum Ruhm und zum ewigen Zeichen für alle Welt.

Erbarme dich /
Herr /
meiner Leere /
Schenk mir /und allen denen, die sich danach sehnen
das Wort /
das eine Welt /
erschafft.
Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wir stehen im Morgen - Liedpredigt

„…s’ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!“

Fröhlich soll mein Herze springen