"Suchet der Stadt Bestes!"

Predigt zu Jeremia 29,7 im Nachtfalter-Gottesdienst zum Thema:
"Suchet der Stadt Bestes"

„Lange lieb ich dich schon, möchte dich mir zur Lust,
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du der Vaterlandsstädte
Ländlichschönste, soviel ich sah.“
Nein, nicht Troisdorf, wie auch.
Wäre - bei allem Respekt - wäre doch vermessen, wollte man ernsthaft Troisdorf mit Heidelberg messen
- allein der Amerikaner, Japaner, Koreaner wegen, die sich dort drängeln durch Hölderlins „fröhliche Gassen“

Ach ja, Hölderlin war der Dichter der „Ode an Heidelberg“, nur ein kleiner Mosaikstein im Touristikkonzept der romantischsten Stadt Deutschlands, oben ein Platz am Philosophenweg mit Blick auf’s Schloss.

Ein Bilderbuchmuseum aber hat die Bilderbuchstadt nicht, aber wir, und schon sind wir da, wo wir hingehören, in der Leidenschaft nämlich, für die Stadt, in der wir leben, Tag für Tag.

24 Stunden 1440 Minuten 86400 Sekunden.
Grauer Alltag oder rosarot. Je nachdem.

Der eine steht um 5 auf, der andere um 9.
Der eine sprungbereit und alles nach Maß:
Wecker klingeln und hoch: Waschen, Zähneputzen, Frühstück, Hut, Mantel, Haustür, Monatskarte, Bus.

Der andere schläft noch. Träumt vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Wälzt sich müde aus dem Bett.
Kopf brummt, Kaffee leer, Zigarette und Milch tut’s auch - oder doch ein Bier?

Alles unter den Dächern einer Stadt. Aber das ist ja ihr Reiz.
Grauer Alltag oder rosarot. Und alle sieben Tage Sonntag.
Noch Sonntag.
Vielleicht das Beste, was die Kirchen den Städten bieten.
Bringt nur kein Geld.

Und was tun wir heute? Geh’n wir in die Stadt?

„Lange lieb ich dich schon...“ - der Alltag ist viel prosaischer als des Dichters Kunst - und dennoch: Sag bloß nichts Schlechtes über die Stadt in der du Gast bist. Es könnte dich die Freundschaft kosten.

Irgendwas bindet uns immer an die Städte, in denen wir leben.
Bindet uns mehr, als der Job, der nur mal zufällig hier ist.
Und wenn du gehst, dann bleibt die Stadt ein Stück weit dein eigen.
Und du kennst die Sehnsucht nach ihr,
und sie lebt in dir vielleicht nur in Geschichten.

„Lange lieb ich dich schon...“
Du, die Stadt, in der ich das Licht der Welt erblickt,
du die Stadt in der ich erstmals geliebt,
du die Stadt... „Lange lieb ich dich schon...“

II.
„Jerusalem“. Mehr als Troisdorf und Heidelberg zusammen.
Königsstadt. Symbol nationaler Identität.
Stadt Gottes. Tempel. Zeichen seiner Gegenwart.

Und dann: Verheerender Krieg. Tempel zerstört. Deportation nach Babylon.

Da saßen sie nun – „hockend am babelwasser, aufgehängt die Saiten, deine tränen israel, rinnen um zion.“

Kollektive Depression mit autoaggressiven Tönen:

„Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte.
Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben,
wenn ich deiner nicht gedenke,
wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.“
Krampfhaftes Festhalten an dem Verlorenen.
Und reinliche Distanz zum Neuen und Fremden.

Vielleicht ein Anknüpfungspunkt für viele von uns heute.
Der Verlust der Heimat.

Keiner, beispielsweise, der diesen Gottesdienst mit vorbereitet hat, ist in Troisdorf geborgen. Nicht einmal alle wohnen in dieser Stadt.
Uns alle hat es durch die Welt geführt, bis wir, auf welchen Wegen auch immer, hier gelandet sind.

„Fremd bin ich eingezogen… fremd zieh ich wieder aus.“

Wir sind Wanderer zwischen den Welten. Migrantinnen und Migranten, von näher her oder weiter weg.

Da liegt sie nahe, die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, die begann schon als ich aus dem Schoß der Mutter gekrochen.

Formt sich leicht um in verklärte Bilder, einen Traum von Stadt.

So wie der Seher Johannes eine „heilige Stadt sieht, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen!

Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott wird mit ihnen sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein…“


Vielleicht sind das ja die Pole, zwischen denen wir zerrissen sind: Einer verklärten Heimat im Rücken und einem verklärten Bild von Heimat vor Augen. Und dazwischen: Fremde.

Und dann der Brief des Propheten aus Jerusalem,
der zerstörten Stadt, an die Verschleppten an den Flüssen Babylons, Jeremia 29:

„Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und eßt ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt euren Töchtern Männer, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn ihr’s wohlgeht, so geht’s euch wohl.“

Wort des Propheten.

Das mahnt, sich dem Neuen zu öffnen und einzulassen auf die fremde Stadt.

Wort des Propheten, das mahnt, die heidnische Stadt, das sündige Babel, ins Gebet zu nehmen.

Wort des Propheten, das klingelt in den Ohren einer manchmal depressiven Christenheit, die sich fremd vorkommt in kulturellen Kontext ihrer Städte, der die Eliten abhanden zu kommen drohen und die in ihrer babylonischen Gefangenschaft verunsichert nach der Gestalt des Glaubens fragt, die noch trägt. Im Zweifelsfall immer die Alte.

Lasst euch ein, sagt der Prophet.
Lasst euch ein auf neue Situationen. Regression, Rückschritte in glücklichere Zeiten haben noch niemandem geholfen. Und Visionen müssen geerdet werden.

Die Stadt in der ihr lebt, ist eure Stadt. Jerusalem mag eure Sehnsucht sein, Babel aber ist euer Leben. Darum: Baut Häuser, nehmt Frauen, lebt in der Stadt, arbeitet in der Stadt, spielt, und singt und liebt in der Stadt, in die euch Gott gestellt hat.

Habt keine Berührungsängste, sagt der Prophet.

Suchet der Stadt Bestes. Wollt das Beste für die Stadt und die Menschen, die darin leben. Das Beste - Schalom steht im Hebräischen. Frieden, Heil, Wohlergehen. Schalom, das letzte Wort des Segens, den wir sprechen: Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden - Schalom.

Suchet der Stadt Bestes - Segnet sie.

Und nehmt die Stadt ins Gebet. Sie mag so fremd sein wie sie will. Sie mag so feind sein wie sie will. Betet für sie.

Suchet der Stadt Bestes - das ist noch einmal mehr als unsere natürliche Zuneigung zu dem Ort unseres Lebens. Denn es nimmt ihn wahr als Ort unseres Glaubens: Gott will das Beste für diese Stadt. Es gibt keinen Ort, für den das nicht gilt und keine Flecken, an dem er nicht schon darauf hin wirken würde.

Und euer Glaube? - Bewährt sich gerade draußen, bewährt sich da, wo ihr nicht in Jerusalem lebt und im geschützten Raum des Tempels feiert, sondern da, wo die Fremde der Ort eures Lebens und Babel der Ort eures Glaubens ist. Denn gerade hier wird euer Glaube gebraucht:

In der Fremde braucht es Menschen, die um Heimat wissen, im Alltag Menschen, die den Sabbat halten, im Tempo der Stadt Menschen, die um Gottes langen Atem wissen, in der Kälte der Gesellschaft Menschen, die Erbarmen kennen, in Babel Menschen, die um Jerusalem wissen.

Suchet der Stadt Bestes - Vielleicht, liebe Gemeinde, sind es ja wir selbst, die das Beste sind, was unserer Stadt passieren kann, mehr noch als „fröhliche Gassen unter duftenden Gärten“.

Menschen, die neu beginnen, ganz neu. Denn da berühren sich Himmel und Erde, Vision und Leben, dass Frieden werde, Schalom werde unter uns.


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