In der Schwäche liegt die Kraft

Predigt zur Jahreslosung aus 2. Korinther 12,9  am Neujahrstag 2012

„In einer Geschichte, die angeblich von Mark Twain stammt, hält ein Mann Ausschau nach dem größten General, der je auf Erden gelebt hat. Als er erfährt, dass der Mann, nach dem er sucht, bereits gestorben und im Himmel ist, reist er an die Himmelspforte, um ihn zu treffen. Der heilige Petrus zeigt auf einen ganz gewöhnlichen Menschen.


`Das ist nicht der größte General aller Zeiten´, protestiert der Mann. `Ich kannte diesen Menschen dort, als er noch auf Erden lebte, und da war er bloß ein Schuster.´


`Das weiß ich´, sagt Petrus. `Aber wäre er General gewesen, dann wäre er der größte von allen gewesen.´“


[Susan Cain: Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt, München 22011, 368].

Liebe Gemeinde, was sind wir in unserem Leben?


Schuster oder Generäle?

Menschen, die eher im Stillen, Verborgenen ihr Leben leben, oder solche, die vorne anstehen und das Kommando geben?

Zitiert habe ich die Geschichte aus dem Buch „Still“ der Amerikanerin Susan Cain. „Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt.“


Darin befasst sich die Autorin mit dem Unterschied zwischen introvertierten Menschen, also solchen, die eher auf sich bezogen, zurückgezogen, scheu oder gar ängstlich lieber den öffentlichen Auftritt meiden, lieber den Situationen, in denen man gesellig zu sein hat und gesprächig, aus dem Wege gehen, lieber für sich denken und arbeiten und sogenannten extravertierten Menschen, die als kommunikativ gelten, kontaktfreudig und gesprächig.


Und sie stellt dar, wie die amerikanische Gesellschaft und - ich ergänze – in ihrer Kopie auch die unsere – immer stärker geprägt und dominiert wird von dem Ideal der Extraversion -

und die Stillen im Lande immer weniger zu sagen haben, immer weniger Achtung genießen, verdrängt werden und in ihrer Eigenheit nicht akzeptiert werden.


Kinder, die für sich spielen, werden dem Psychologen vorgeführt und häufig leider auch therapiert.


Schüler müssen lernen sich und ihre Ergebnisse zu präsentieren.


Für die Vergabe eines Stipendiums für einen Auslandsaufenthalt wurde ich kürzlich erstmals nicht gebeten, ein Zeugnis für einen Schüler zu schreiben und sein ehrenamtliches Engagement zu würdigen, sondern sein Video auf Youtube in Facebook zu „liken“, denn das Stipendium erhält in dieser Organisation nicht etwa der, der durch Leistung oder soziales Engagement sich hervortut, sondern der, der innerhalb einer bestimmten Frist durch Likes in Facebook dokumentiert, wie vernetzt er ist, wie kontaktfreudig, wie beliebt und wie sehr in der Lage, für sich selbst zu werben.

An den Universitäten setzt sich Vergleichbares fort – nicht zuletzt in Konkurrenz zu den privaten Business-Schools.


Und auf einen guten Job darf hoffen, wer eloquent und von sich selbst überzeugt.


II.

In diese Gesellschaft hinein spricht nun die Jahreslosung die Worte des Apostels Paulus aus dem 2. Korintherbrief, in denen er Jesus Christus selbst zu Wort kommen lässt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Paulus schreibt da nach Korinth, einer pulsierenden, sicher lauten Stadt, wo er auf einer seiner Missionsreisen, von Athen kommend, Station gemacht hat. Er fand Arbeit und Herberge bei einem Zeltmacher namens Aquila und seiner Frau Priska und weilte wohl eine Weile in der Stadt. Das hat Nähe geschaffen. Aber auch Leiden.


Mit den Menschen in Korinth verbindet ihn eine wechselvolle Geschichte von Zuneigung und Entfremdung.


Er erlebt die Konkurrenz anderer Apostel und die Verunglimpfung durch seine Gegner: Er sei „mutig, wenn er fern sei“ aber „unterwürfig, wenn er anwesend sei“ (2. Kor. 10,1f.) und er sei „ungeschickt in der Rede“ (2. Kor. 11,6)…


Das klingt wie der Vorwurf, den sich introvertierte Menschen ausgesprochen oder unausgesprochen in unserer Gesellschaft machen lassen müssen.


Paulus also ein Schwacher. Einer, der nicht ins Ideal passt.


Und dazu noch von einer seltsamen Krankheit befallen, um derentwillen er dreimal zum Herrn betete.


Der aber sagte zu ihm: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“


III.

Welch ein Widerspruch zu den oberflächlichen Idealen nicht erst unserer Gesellschaft. Dass Gott unsere Maßstäbe auf den Kopf stellt und da, wo wir so schnell dabei sind, Defizite auszumachen und zu benennen, da seine Zusage spricht: Ich bin gerade darin mächtig.


Also keine Therapie, die seine Krankheit heilen soll. 

Kein Persönlichkeits-Training, das ihn seine Redeängste überwinden lässt.

Gott verändert ihn nicht. 


Sondern nimmt ihn so in den Dienst, wie er ist. So schwach. So krank. So angefochten.

Du bist okay. Du bist gerade so wie du bist, für mich wichtig und richtig. In Dir, in all Deiner Schwachheit und Begrenztheit, bin ich mächtig.


Das ist die Zusage, die in der Jahreslosung zu hören ist und die gerade all denen gilt, die in unserer Gesellschaft nicht vorne an stehen, nicht im Rampenlicht, nicht als die gelten, die beliebt und vernetzt sind.


„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“


IV.

Wie wahr wird dies im Rückblick auf Israels Geschichte:

Mose etwa war ein Stotterer, der selber an seiner „schweren Zunge“ litt und deshalb gerne scheu zurück gewichen wäre. Aber Gott spricht ihn an, erteilt ihm den Auftrag, das Volk heraus zu führen. Kein lauter Volksheld, sondern ein stiller Mensch, der bereit ist, Gottes Werkzeug zu sein.


Jeremia fühlt sich viel zu jung … und wird doch als Prophet berufen.


„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig…“


Es sind eben nicht zwangsläufig die, die den Mund am weitesten aufreißen können, die sich Gott zu seinen Boten erwählt. Es sind nicht zuerst die Extravertierten, die sich selbst zu rühmen im Stande sind, mit denen Gott seine Geschichte schreibt.


Sondern oft jene, die als Stille im Lande scheinbar wenig zu sagen haben.


In denen will Gott sich mächtig erweisen in einer Welt, die immer wieder die Macht denen verleiht, die am lautesten danach rufen.


V.

Ich komme zurück auf den Anfang: „…wenn er General gewesen wäre…“ – Was bin ich in meinem Leben: Schuster oder General?

Gewiss, die Stillen im Lande lassen sich gerne in die Ecken drängen und anderen den Vortritt.

Gewiss: Wir verweisen gerne auf die Schwächen, um unsere Untätigkeit zu legitimieren.

Die Jahreslosung aber schiebt dieser Ausrede einen Riegel vor: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“


Mose hat dies kapieren müssen wie Jeremia auch und Paulus erst recht:

Schwachheit ist kein Argument, nicht mächtig zu werden im Dienst Gottes an den Menschen, weil Gott in unserer Schwachheit wirken will, mächtig werden will. Gerade mit uns und unseren Schwächen das Heil in der Welt stark machen will.


VI.

Übrigens, um das Bild rund zu machen. Richtig übersetzt heißt die Jahreslosung gar nicht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“, sondern „Meine Kraft ist in den Schwächen mächtig!“

Und gewinnt damit noch einmal einen stärkeren Realitätsbezug. Denn wir sind ja nicht Schwache, sondern haben Schwächen. Auch als Starke.


Niemand ist nur das eine oder das andere – wir haben immer Anteil an beidem. 


Paulus war kein Schwacher. Mose erst recht nicht.

Und du bist es auch nicht.


Wir haben Schwächen.


Und hören in den Worten Jesu, dass diese Schwächen nicht nur annehmbar sind, sondern Gott selbst in diesen Schwächen unter uns seine Kraft mächtig erweisen will.


Die Jahreslosung also macht mir Mut. Nein, nicht dazu, meine Schwachheiten zu überwinden, nicht dazu, mich anzustrengen um den Normen zu entsprechen und dementsprechend anders zu werden, sondern sie macht mir Mut zu entdecken, welche Gnade in der Schwachheit liegt.


Was würde unsere Gesellschaft gewinnen, wenn Sie wieder sensibel würde für die Stillen im Lande und das, was sie zu sagen haben.


Vielleicht mehr Tiefgang und weniger Oberflächlichkeit, mehr Liebe und weniger Klischees, mehr Sensibilität, mehr Verantwortungsbewusstsein und weniger Aktionismus…


Geb’s Gott, dass seine Kraft auch im neuen Jahr in unseren Schwächen mächtig ist.

Kommentare

  1. Ich habe bisher zwar nur die Zeit gehabt den Text kurz zu überfliegen, aber ich freue mich schon aufs richtig lesen. DANKE :-)

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  2. danke, dass kommt gerade richtig und gibt Kraft.

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