Nicht müde werden...

Predigt zu Lukas 12,35-38 zum Ewigkeitssonntag 2011

Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.

Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie.

Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.

Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.
I.
„Wunderlicher Satz `Die Zeit vertreiben´
- sie zu halten wäre das Problem“.

Fühlt es sich so an heute Morgen, wie Rainer Maria Rilke dichtet?

„Sie zu halten, wäre das Problem.“

Die Zeit zerronnen.

Ist es wirklich schon ein Jahr, dass wir ihn zu Grabe trugen?

Schon längst vergangen.

Aber in mir drin, da ist das Gewesene noch nah in Schmerz und Trauer, die sich melden von Zeit zu Zeit, wenn ich sie denn nicht vertreibe.

 

Liebe Gemeinde, unsere Erfahrung der Zeit ist geprägt vom Erleben ihrer Flüchtigkeit und Vergänglichkeit.

Der Kirchenvater Augustin sah in der Zeit bloß die „bewegte Folge flüchtiger Augenblicke“.


Eigentlich gibt es gar keine Zeit, keine Gegenwart. Denn entweder ist sie schon gegangen oder sie kommt erst noch.


Aber die Gegenwart ist nicht greifbar.

Sie geht immer schon über in die Vergangenheit
und weicht gleich schon der Zukunft.

Bei näherer Betrachtung löst sie sich auf:


„Was von ihr entflogen ist, ist vergangen, und was von ihr noch übrig ist, ist künftig“, sagt Augustin.

So findet der Mensch, der in der Zeit lebt, keinen Halt, nur Unruhe und Vergänglichkeit. Und erst an der Grenze der Zeit findet Augustin eine Zeit, die Bestand hat: Gottes Zeit – die Ewigkeit.


„Ruhelos ist unser Herz“, schreibt Augustin, „bis es Ruhe findet in Dir.“


Ob es uns gelingt, heute zur Ruhe zu kommen, trotz der Zeit, die immer weiter flieht, der Erinnerungen, die uns im Gestern halten, der Sorgen, die der morgige Tag uns macht?


II.

Zur Ruhe kommen.

Wenn ich Jesu Gleichnis höre, dann habe ich ein Bild der Ruhe vor Augen und im Herzen.


Nacht ist es, alle Arbeit getan.

Die rührigen Hände dürfen ruhen.
Der Herr außer Haus.
Und sein Gesinde zündet die Kerzen an und wartet.

Warten.


Hat keinen guten Ruf bei uns.

Gilt als vertane Zeit.
Unhöflich, wer andere warten lässt.
Ineffizient, schlecht organisiert.
Zeitfresser. Unproduktiv.

Jetzt aber wird es zur Tugend: Warten.

Wird zur gefüllten Zeit.

Gefüllt von der Er-wartung dessen, was kommt.
Warten auf den, der kommt.

Warten holt diese Zukunft hinein in die Gegenwart.


Wie anders der Alltag jener, die warten können.

Stille sein.
Die Hände in den Schoß legen.
Beten.
Meditieren im Schein der Kerzen.
Inne halten.
Sich ausstrecken nach dem, der kommt.

In der flüchtigen Zeit einen Freiraum schaffen.

Einen Haltepunkt.
…bis er kommt.

Ruhelos ist mein Herz, bis es Ruhe findet in dir.


III.

Und er wird kommen.
Wir wissen nicht wann. Zur zweiten oder zur dritten Nachtwache. Am Ende der Zeit.
Oder nach Wochen der Trauer.

Oder am kältesten Punkt des Ausgebrannt-Seins.
Oder wenn dein Auge bricht, der Tod uns zum Übergang wird in sein Reich.
Oder dann, wenn ein Kind zur Welt kommt.
Oder im Arm des Menschen, den du liebst.

Wir wissen es nicht.


Für den, der nicht warten kann, wird es unerträglich. Wo ist Gott? Warum müssen wir leben, so oft, mit der Abwesenheit des Kommenden?


Ruheloses Fragen, das sein Recht hat, das Klage werden muss im Angesicht Gottes. Nur wer seiner Trauer, seiner Klage, seiner Wut Raum und Gestalt gibt, wird frei werden, zu warten.


Und dann mag es sein, unverhofft, dass er kommt.

 

Und plötzlich wandelt sich die Welt.

Finde ich mich wieder nicht mehr als Knecht der Vergänglichkeit, sondern als Gast der Ewigkeit.

Darf sitzen am Tisch des Herrn und er selbst tischt auf.

Und unser Mund wird voll Lachens sein und unsere Zunge voll Rühmens.

Und irgendwann, am Anbruch eines neuen Morgens im Morgenlicht, merken wir, dass wir die Zeit vergessen haben.


Ein schönes Bild für das, was in der Begegnung mit Gott geschieht.


Die Erfahrung, dass wir, die wir meinen, in unserem Leben so viel tragen zu müssen, plötzlich erfahren, selbst getragen zu werden.


Dass wir, die wir so oft kämpfen und arbeiten müssen, um einen Platz in der Gesellschaft, einen Platz im Leben, um’s täglich Brot, dass wir plötzlich merken: Es wird uns geschenkt, wir sind Gäste, geladen und bewirtet.


Dass wir, die wir manchmal um uns selbst kreisen und um das, was wir tun müssen, plötzlich Gemeinschaft erfahren, Liebe und den Blick für andere.


Er kommt. Und der, der kommt, wir kennen ihn gut, ist er doch der Herr des Hauses.


IV.

Darum: Seid wachsam. Lasst Eure Lichter brennen. Und Eure Lenden umgürtet sein.

Das Bild erinnert an den Exodus, die Herausführung aus Ägypten. Als sie sich bereit machen sollten für jene Nacht, in der die Freiheit ihren Zug nahm.


Bereit sein zum Aufbruch. Das Leben nicht verpassen. Das wirkliche, das freie.


Nein, auch als Wartende sind wir keine Pantoffelhelden, die als Zuschauer des Lebens auf dem Sofa sitzen, schläfrig von Bier und Bildern.


Nein, wir sind Pilger.


Bereit aufzubrechen, wann immer es an der Zeit ist, das Leben zu leben in der Er-wartung der Begegnung mit Gott und in der Freiheit gegenüber Mächten und Gewalten und sei es selbst der Tod.


Seid wachsam!


Auf dass ihr nicht jenen Augenblick verpasst, in dem euch Gott begegnet. Momente des Glücks und der Seligkeit.


Lasst Eure Lichter brennen, auf dass ihr in aller Dunkelheit erkennen könnt die Schönheit des Lebens, das wir leben dürfen und der Menschen, mit denen wir es teilen dürfen und der Ewigkeit, von der wir gehalten sind in Zeit und Raum.


Seid wachsam und werdet nicht müde, zu hoffen, dass er kommt.


„Nicht müde werden“

Ich liebe die Verse Hilde Domins:

„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.“

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