Bis auf die Haut..

Predigt zu Markus 1,40-45im Nachtfaltergottesdienst

Über fünfzigmal kommt in deutschen Bibelübersetzungen das Wort „Haut“ vor.

Da ist Mose, dessen Haut glänzte, als er vom Berge herabkam, auf dem Gott ihm die Tafeln des Bundes gab (2. Mose 34).

Da ist Hiob, der fromme Mann, um den der Satan mit Gott wettet: „Haut um Haut. Alles, was der Mensch hat, gibt er um sein Leben. Aber strecke doch einmal deine Hand aus und rühre sein Fleisch an und Gebein. Was gilt‘s, er wird dir ins Angesicht absagen.“ Und dann wird Hiob geplagt mit Geschwüren und trockener Haut, dass er in der Asche sitzt und sich mit Scherben scharbt.

Mit Abstand findet sich das Wort „Haut“ am Häufigsten im 3. Buch Mose in den Bestimmungen über den Aussatz. Dort ist geregelt, wie die Priester vorzugehen haben, wenn einer ein Geschwür an der Haut hat, „wenn bei einem Menschen an seiner Haut eine Erhöhung oder ein Ausschlag oder ein weißer Flecken entsteht …“ so soll man ihn zum Priester bringen.

„Und wenn der Priester die Stelle an der Haut sieht, dass die Haare dort weiß geworden sind und die Stelle tiefer ist als die übrige Haut, so ist es eine aussätzige Stelle. Wenn der Priester das an ihm sieht, soll er ihn unrein sprechen.“

Ist der Befund aber nicht klar, dann soll er den Menschen erst einmal sieben Tage einsperren und dann sehen, wie sich der Ausschlag entwickelt hat.

„Und wenn der Priester dann sieht, dass der Ausschlag weitergefressen hat auf der Haut, so soll er ihn unrein sprechen, es ist Aussatz.“ (3. Mose 13)

Warum mir das wichtig ist, das auszuführen? Weil in diesen Regelungen über den Aussatz die soziale Dimension der Haut fassbar wird.

Wer an der Haut erkrankt ist, erhält eine Qualifizierung - „unrein“ - , die sein Wesen betrifft, ihn selbst etikettiert, und erfährt in der Folge eine soziale Konsequenz: Den Ausschluss aus der Gemeinschaft.

Und damit spiegeln diese alten archaischen Regeln wider, wenn auch quasi in der negativen Kehrseite, was eine These unseres Gottesdienstes und seiner Vorbereitung ist, nämlich dass die Haut nicht einfach objektivistisch als ein Organ zu betrachten ist, sondern als der Spiegel des Inneren und seiner äußeren Bezüge.

Die Haut ist die Membran zwischen Innen und Außen. Und wenn wir heute in diesem Gottesdienst über die Haut reden, dann reden wir zugleich über das, was uns Menschen im Inneren bewegt und wie wir Nähe und Abgrenzung, Kontakt und Distanz nach außen, zu unserer Umwelt und den Menschen, die in ihr leben, für uns bestimmen.

II.
In diesen Kontext gestellt, will ich gerne eine biblische Geschichte erzählen, die unter die Haut geht. Sie erzählt von einem Hautkranken, einem Aussätzigen, und seiner Begegnung mit Jesus:

Da kommt zu ihm ein Aussätziger,
ihn, Jesus, anrufend
und kniefällig bittend:

„Wenn du willst, kannst du mich reinigen!“

Da wurde er erregt,
und seine Hand ausstreckend
rührte er ihn an
und sagt ihm:

„Ich will, Du sollst rein gemacht werden!“

Und sogleich ist der Aussatz von ihm weggegangen
und er ward gereinigt.

Da ging Jesus ihn heftig an
und trieb ihn sogleich weg
und sagt ihm:

„Hab acht!
Zu niemandem!
Gar nichts sagst du!
Sondern verschwinde!

Zeige dich selbst dem Priester
und bringe deiner Reinigung wegen dar,
was Mose geboten hat,
zum Zeugnis für sie!“

Der aber ging hinaus
und fing an vieles zu verkünden
und die Geschichte auszubreiten,
so dass Jesus nicht mehr öffentlich in eine Stadt hineingehen konnte,
sondern draußen an einsamen Orten war.

Sie aber kamen zu ihm von überall her.

Eh wir uns jetzt daran festbeißen, dass in dieser Geschichte ein Wunder erzählt wird… das wäre so eine rein objektivierende Sicht der Haut… lasst uns noch einmal klarbekommen, dass es um mehr geht, nämlich um die Geschichte eines Menschen in völliger Isolation, in der absoluten Abgrenzung.

Die ist nicht frei gewählt, sondern ist ihm gesellschaftlich aufgezwungen. Umso schlimmer.

In diesem Kontext beginnt das Wunder schon mit dem ersten Satz: „Da kommt zu ihm ein Aussätziger!“

Denn für gewöhnlich hätte er ja das Weite zu suchen gehabt, der Aussätzige, er, geplagt von Geschwüren der Haut, er gekleidet in zerrissenen Kleidern, ungeschoren  und ungepflegt die Haare an Kopf und Bart, verhüllt, wie es geboten war seit Moses Zeiten, mit Klappern und Rufen „unrein, unrein“ vor sich selber, stellen sie sich das vor, vor sich selber warnend, ausgestoßen aus den befestigten Städten, der heiligen Stadt Jerusalem zuallererst, verdrängt in Wüsten und Einöden, verworfen aus dem Lande der Lebendigen.

Ein Aussätziger ist niemals nur an seiner Haut krank, sondern beschädigt in seiner ganzen Existenz, an Leib und Seele und Geist und in seinen sozialen Bezügen krank.

Und umgekehrt: Wer beschädigt ist in seiner Existenz, wer krank ist an Leib und Seele und Geist, wer in den sozialen Bezügen, in Nähe und Abgrenzung leidet, der gleicht einem solchem Aussätzigen.

Schwer zu ertragen.

Erinnern Sie sich an Hiob…? „Er wird dir ins Angesicht absagen…“ Der Satan spekuliert darauf, dass das kein Glaube aushält.

III.
Aber dieser Aussätzige kommt nun zu Jesus, fällt auf die Knie und bittet ihn: „Wenn du willst, kannst Du mich reinigen?“

Was alles drinsteckt, in diesem kurzen Gebet: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen!“

                 Da komm ich zu dir, mein Gott,
                 als nackte Haut.

                 Habe sie zu Markte getragen,
                 meine Haut, der Anerkennung wegen,
                 oder der Eitelkeit oder nur so,
                 weil ich nicht wüsste zu leben,
                 wäre da nicht der ewige Trott.

                 Da komm ich zu dir, mein Gott,
                 mit meiner unreinen Haut.

                 Kratze den Dreck, den schwarzen,
                 auf meiner Haut, den giftigen Staub
                 der sich bleiern legt wie der Smog,
                 Mitesser unseres Wohlstandes,
                 da hilft kein Clerasil.   

                 Da komm ich zu dir, mein Gott,
                 mit meiner wunden Haut.

                 Lecke die Wunden, die sie bedecken,
                 meine Haut, die Wunden,
                 die die Gasse mir schlägt,
                 wenn sie übel redet
                 oder mein Ich, wenn es nicht wagt ich zu sein.
                
                 Da komm ich zu dir, mein Gott,
                 als ehrlich Haut.
                
                 Sehne mich nach Zärtlichkeit,
                 auf meiner Haut, und Liebe.
                 Nach dem Du, das sich fühlen lässt
                 und nach dir, Gott, nicht als Idee,
                 sondern als der, der unter die Haut geht.

                 Mein Gott, wenn du willst,
                 kannst du mich reinigen.

Das, liebe Gemeinde, ist schon etwas Besonderes: Dass er sich zu seiner Qual stellt: Ich bin unrein!

Dass er sich seine Not auf die Schulter lädt und vor Gott bringt, alle Grenzen zwischen heilig und unheilig, zwischen rein und unrein missachtend, die Not seines Lebens vor Gott trägt und darauf hofft, dass der ihm in Jesus nahe kommt,

IV.
Wie er nun so bittend daliegt auf seinen Knien, der Aussätzige, der mit den Geschwüren an Haut und Seele, da wurde Jesus erregt und er streckte seine Hand aus, gebietend wie einst Mose dem Schilfmeer, und rührte ihn an.

War das nicht die Terminologie des Satans in der Wette um Hiob: „Aber strecke doch einmal deine Hand aus und rühre an sein Fleisch und Gebein…“
So kann er sich täuschen, der Satan.

Denn es ist diese Berührung, dieser Kontakt, diese Nähe, die Jesus dem Ausgestoßenen schenkt, die heil macht. Weil sie nicht die Oberfläche heilt, sondern den tiefen Schaden, den dieser Menschen, den viele Menschen leiden: Dass Nähe und Distanz, das Abgrenzung und Berühren in kein gutes Maß kommen.

Da wurde er erregt und seine Hand ausstreckend rührte er ihn an, ihn den Aussätzigen, den zu berühren der Ekel verbietet oder die Angst vor Ansteckung.

Ach ja, der Ekel, den ich mir nicht eingestehe und der mich doch überkommt angesichts des Eiters in der Beuge des Süchtigen oder wenn ich rieche den Penner auf seiner Platte aus Müll, Korn und Urin. Und die Angst, die Sklavenhalterin der Seele, die mich nicht frei lässt zur zärtlichen Geste, - es könnte ja ansteckend wirken. Das passt nicht ins Machtspiel, das wir spielen. Darum wahren wir die Distanz. Er aber rührte ihn an.

V.
Und dann die Antwort: „Ich will, du sollst rein gemacht werden.“ Und sogleich ist der Aussatz von ihm weggegangen und er ward gereinigt.

Nach allem, was gesagt ist, mag uns dieser Teil des Wunders gar nicht mehr so wunderlich vorkommen. In der Tat, da ist der Aussatz schon von ihm gefallen, wo Jesus ihn berührt, die Schranken durchbricht, sich nicht geniert, diesen Menschen anzufassen. Da ist das Wunder längst schon passiert.

Und wenn nun der Körper dieses Kranken mit seiner Heilung antwortet, dann könnten uns die Mediziner vieles zur Erklärung beitragen, die Ärztinnen und Ärzte, die so viel über die Bedeutung der Seele für die Erkrankung des Leibes zu sagen wissen.

Doch was hätten wir gewonnen, wenn wir dieses Wunder erklären könnten und einem Aussätzigen sagen: „Pass mal auf, ist alles ganz einfach, klärt sich medizinisch ganz leicht. So und so...psychosomatisch. Verstanden?“

Würde der nicht sagen: „Mir stellt sich das aber ganz anders da: Ich bin Gott begegnet und da wurde ich rein.“ Und wer weiß, vielleicht würden wir gar einen Glanz entdecken können auf seiner ehemals so kranken Haut.

Wo Gott Menschen anrührt, da kann ein Mensch heil werden, nicht nur an der Haut, sondern an Leib und Seele und in all seinen Bezügen. Da ändert sich das Leben radikal.

In unserer Geschichte übrigens deutlich darin, dass Jesus sozusagen in die Haut des Aussätzigen schlüpft, einen Rollentausch vornimmt, einen fröhlichen Wechsel: Am Ende der Geschichte ist es Jesus, der in den Wüsten und Einöden gezwungen ist zu leben, während der ehemals Aussätzige seine Geschichte dem großen Publikum zu Markte trägt.

Bis auf die Haut… sucht Gott die Nähe der Menschen, trägt unsere Krankheit und lädt aufr sich unsere Schmerzen, auf dass wir Leben hätten (vgl. Jes 53,4).

Wenn uns diese Geschichte berührt, dann ist’s gut.
Amen.

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